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SZ-Serie "Ein Anruf bei ...":"Die einfachste Möglichkeit, in Wien ein Beet anzulegen"

Christoph Schwarz hat in einem Cabrio Minze, Ampfer und Rosmarin angebaut - und das mitten in Wien. Gespräch über eine kuriose Aktion mit gesellschaftspolitischer Botschaft.

Interview von Oliver Das Gupta

Christoph Schwarz ist österreichischer Künstler und Filmemacher. Vor einigen Monaten bekam der 40-Jährige ein gelbes Cabrio geschenkt und hatte eine Idee: Er bepflanzte mit Freunden den Peugeot 306 mit Kräutern - und das mitten in Wien. Die Aktion "Cabriobeet Straßenkräutzer" hat aber auch eine gesellschaftspolitische Botschaft.

SZ: Herr Schwarz, es ist schwer, Sie zu erreichen. Wo sind Sie denn gerade?

Christoph Schwarz: Als Betreuer auf einem Kinderlager im Lungau.

Also in den Bergen im Bundesland Salzburg statt daheim in Wien. Wer gießt denn Ihr Cabrio, wenn Sie weg sind?

Freunde aus der Nachbarschaft kümmern sich. Es ist ja ein Gemeinschaftskräutercabrio.

Haben Sie eigentlich etwas gegen Ihr Cabrio?

Ganz und gar nicht! Wie kommen Sie denn darauf?

Na, den Kräutern scheint es ja ganz gut zu gehen, aber beim Auto bin ich mir nicht so sicher.

Keine Sorge, dem Cabrio geht es prima.

Also ich weiß nicht, so aufgeklappt den Regen- und Gießkannengüssen ausgeliefert.

Das Cabrio ist mit Teichplane ausgelegt und hat einen Wasserablauf. Unter der Erde verbirgt sich eine Holzkonstruktion, darauf bester Wurmhumus und ein Dutzend Kräuter. Wie Sie sehen, haben wir uns viel Mühe gegeben. Jetzt kann jeder sich dort ein paar frische Blätter Minze, Blutampfer oder Rosmarin holen, wenn er möchte. Das Auto steht im 9. Wiener Bezirk, dem Alsergrund.

Klingt nett, aber für ein paar Kräuter betreiben Sie so einen Aufwand?

Da gibt es noch einen weiteren Grund. Mein Freundeskreis und ich würden ja noch lieber ein echtes Kräuterbeet in Wien anlegen - aber das ist so gut wie unmöglich im öffentlichen Raum. In Wien dienen die Seitenflächen in Straßen und Gassen vor allem dem Abstellen von Autos.

Das ist allerdings kein Alleinstellungsmerkmal von Wien.

Eben! Es ist so, als ob man die Städte um die Autos herumgebaut hätte. Parkplätze gibt es innerorts in Hülle und Fülle, obwohl es doch gerade in urbanen Räumen Sinn machen würde, Flächen auch anders zu nutzen, etwa für ein Kräuterbeet.

Ein Beet in der Stadt - kriegt man das so schwer hin?

Oh ja, das ist sogar äußerst schwer zu realisieren. Wenn man auf einem Parkplatz irgendwas verändern will, ist das mit einem immensen bürokratischen Aufwand verbunden. Und selbst dann ist es nicht sicher, dass es klappt. So kam es zur Idee mit dem Cabrio: Es ist die einfachste Möglichkeit, in Wien ein Beet anzulegen.

Verkürzt: Kräuterbeet nein, Kräutercabrio ja, weil es ein Auto ist?

Man muss einfach nur zur Zulassungsstelle und hat innerhalb von 20 Minuten alles erledigt. Dann kauft man sich eine Bezirksparkvignette und kann den Wagen irgendwo hinstellen. So kam es zum Gemeinschaftskräutercabrio. Mittlerweile ist es auch ein Treffpunkt, zweimal haben wir dort schon gemeinsam einen Aperitif mit Nachbarn und Freunden genommen. Es gibt so viel ungenütztes Potenzial im öffentlichen Raum.

Nun haben Sie allerdings eine Anzeige erhalten wegen des Cabrios.

Genauer gesagt handelt es sich um einen Abschleppbescheid. Der Magistrat lässt nicht fahrtüchtige Autos abschleppen - dabei ist das Kräutercabrio fahrtüchtig.

Also zumindest dann, wenn man die Erde vom Fahrersitz entfernt. Wie lange dauert das Freibuddeln?

Etwa eine halbe Stunde. Und dann haben wir es umgeparkt, um zu zeigen, dass es funktionsfähig ist. Nun steht es drei Gassen weiter.

Bald wird es kalt, und die Kräuter welken. Was passiert dann mit dem Cabrio?

Vielleicht entsteht dort eine Suppenküche, vielleicht baut jemand einen Schneemann drauf. Alles noch offen, aber nur bis März: Dann beginnt die Kräutersaison.

Und wie lange soll die Aktion dauern?

Zumindest bis August 2022. So lange ist das Cabrio nämlich zugelassen.

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