Bundesverfassungsgericht:Gesetz gegen Kinderehen ist verfassungswidrig

Bundesverfassungsgericht: Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat über die Rechtmäßigkeit von Kinderehen entschieden.

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat über die Rechtmäßigkeit von Kinderehen entschieden.

(Foto: Uli Deck/dpa)

Die Karlsruher Verfassungsrichter haben sich gegen die Rechtmäßigkeit eines pauschalen Verbots von im Ausland geschlossene Kinderehen ausgesprochen.

Die Richter des Bundesverfassungsgerichts haben entschieden, dass ein pauschales Verbot von im Ausland geschlossene Kinderehen nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Seit 2017 gelten im Ausland geschlossene Ehen automatisch als unwirksam, wenn einer der Partner bei der Eheschließung unter 16 Jahre alt war.

Grundsätzlich sei der Gesetzgeber zwar befugt, aufgrund des Alters Ehen abzuerkennen. Allerdings müsse ein Gesetz Regelungen zum Umgang mit annullierten Ehen enthalten. Was geschieht mit Unterhaltsansprüchen? Wie steht es um die Möglichkeit, eine Ehe nach Erreichen der Volljährigkeit auch in Deutschland weiterzuführen? Diese Fragen seien im Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen nicht beantwortet, begründen die Verfassungsrichter ihre Entscheidung. Die Vorschrift bleibt jedoch zunächst in angepasster Form in Kraft. Das Gericht hat den Gesetzgeber aufgefordert, bis 30. Juni 2024 Zeit, eine neue verfassungsgemäße Regelung zu schaffen.

Die große Koalition hatte die Anerkennung von Kinderehen 2017 untersagt, weil vor dem Hintergrund gestiegener Flüchtlingszahlen auch immer mehr minderjährige Verheiratete nach Deutschland gekommen waren. "Kinder heiraten nicht, Kinder werden verheiratet", hatte damals der ehemalige Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) gesagt. Seither gilt: Man muss volljährig sein, um heiraten zu können. War ein Partner während der Eheschließung erst zwischen 16 und 18 Jahre alt, soll die Ehe durch richterliche Entscheidung aufgehoben werden. War einer von beiden noch unter 16, ist die Ehe automatisch unwirksam. Diese Grundsätze gelten auch, wenn die Ehen nach ausländischem Recht wirksam geschlossen wurden.

Im Karlsruher Urteil geht es nur um die letzte Gruppe, also die unter 16-Jährigen. Der Bundesgerichtshof (BGH) hätte die neue Vorschrift im Fall eines syrischen Paares anwenden müssen, hielt sie aber für verfassungsrechtlich problematisch, weil die Wirksamkeit der Ehe generell und ohne Rücksicht auf konkrete Umstände versagt werde. In einer solchen Situation sind Gerichte verpflichtet, das Verfahren auszusetzen und eine Entscheidung des Verfassungsgerichts einzuholen.

In dem Fall ging es um ein Mädchen, das 2015 in Syrien mit 14 Jahren vor einem Scharia-Gericht einen sieben Jahre älteren Mann geheiratet hatte. Wenig später flüchteten beide nach Deutschland. Hier wurde die Jugendliche von ihrem Mann getrennt und in einer Einrichtung für weibliche minderjährige Flüchtlinge untergebracht.

Zum Vormund wurde das städtische Jugendamt bestellt. Dieses wollte vor Gericht durchsetzen, dass die Jugendliche ihren - einstigen - Ehemann nur noch einmal die Woche für drei Stunden unter Aufsicht treffen darf.

Auf Anforderung der Verfassungsrichter hatte Ende 2020 das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht eine ausführliche Studie zu den Regeln und Gesetzen in Bezug auf derartige Eheschließungen in anderen Staaten vorgelegt. In Ländern wie der Schweiz, den Niederlanden oder Schweden sei die Anerkennung von im Ausland geschlossenen Kinderehen seit einigen Jahren ebenfalls stark einschränkt, der deutsche Weg sei dennoch noch restriktiver, heißt es in der Studie.

Die europäischen Nachbarn ließen demnach Hintertüren offen. Sobald beide Partner das 18. Lebensjahr erreicht haben, werde nach schwedischem und niederländischem Recht der Fehler "geheilt" - die Ehe ist doch wieder wirksam. In der Schweiz bestehe die Möglichkeit, dass eine Ehe im "überwiegenden Interesse" der Eheleute gerichtlich anerkannt wird.

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