Bundesverfassungsgericht :Bundesverfassungsgericht kippt Teile von Polizei-Gesetz

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Eine Polizistin steht vor einem Streifenwagen. (Foto: David Inderlied/dpa/Illustration)

Kritiker beklagen seit Jahren, dass Bundesländer ihre Polizeigesetze immer weiter verschärfen. Jetzt beanstandet Karlsruhe etliche Vorschriften in Mecklenburg-Vorpommern - und macht strenge Vorgaben. Innenminister Pegel sieht aber nicht nur den Nordosten betroffen.

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Karlsruhe/Schwerin (dpa/mv) - Das Bundesverfassungsgericht schützt Bürgerinnen und Bürger vor allzu großzügig ausgestalteten Ermittlungsbefugnissen der Polizei. Die Richterinnen und Richter erklärten etliche Vorschriften im 2020 reformierten Sicherheits- und Ordnungsgesetz (SOG) von Mecklenburg-Vorpommern für verfassungswidrig, wie sie am Mittwoch mitteilten. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), die das Verfahren in Karlsruhe mit angestrengt hatte, sprach von einer Grundsatz-Entscheidung, die auch der Verschärfung von Polizeigesetzen in anderen Bundesländern rechtsstaatliche Grenzen setze.

Auch nach Ansicht von MV-Innenminister Christian Pegel (SPD) hat das Karlsruher Urteil Bedeutung über den Nordosten hinaus. In anderen Bundesländern gebe es ähnliche Regelungen wie in MV, sagte Pegel am Mittwoch in Schwerin. Der Minister kündigte an, dem Landtag bis Jahresende einen Entwurf zur Änderung des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes vorzulegen. Dabei würden die Vorgaben aus Karlsruhe „eins zu eins“ umgesetzt, versicherte er.

Der stellvertretende Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit Mecklenburg-Vorpommern, Rolf Hellwig, bot Hilfe bei den erforderlichen Änderungen an. Die Behörde hatte sich bereits Gesetzgebungsverfahren kritisch geäußert, so Hellwig.

Ein Teil der Vorschriften wurde vom Bundesverfassungsgericht direkt für nichtig erklärt. Andere Vorschriften bleiben mit Einschränkungen in Kraft. Hier seien nicht die Befugnisse an sich verfassungswidrig, sondern nur die Ausgestaltung, hieß es aus Karlsruhe.

Ein zentraler Punkt in der fast 100-seitigen Entscheidung ist der Schutz des sogenannten Kernbereichs privater Lebensgestaltung beim Einsatz von V-Leuten und verdeckten Ermittlern. Ausgeschlossen ist demnach „das staatlich veranlasste Eingehen einer intimen Beziehung zum Zweck der Informationsgewinnung“. Auch darf niemand als V-Person gewonnen werden, um den eigenen Ehepartner zu bespitzeln.

Kommen im Einsatz trotzdem zu private Informationen zur Sprache, muss der verdeckte Ermittler oder die V-Person laut Gericht einen Rückzieher machen, solange er oder sie sich damit nicht in ernste Gefahr bringt - also „für Leib oder Leben“. Werden doch heikle Informationen erlangt, dürfen diese nicht weitergegeben werden. In Mecklenburg-Vorpommern sind diese Punkte nicht sichergestellt.

Andere Beanstandungen betreffen längerfristige Observationen, das Ausspähen und Abhorchen von Wohnungen, Online-Durchsuchungen und die Überwachung von Telekommunikation zum Beispiel übers Handy. Hier geht es jeweils darum, dass die Maßnahme schon in einem zu frühen Stadium erlaubt ist. Nach der Karlsruher Entscheidung ist in der Regel eine konkretisierte oder sogar dringende Gefahr erforderlich.

GFF-Verfahrenskoordinator David Werdermann teilte mit, die Polizei müsse auch dann die Grundrechte achten, wenn es um die Abwehr schwerer Straftaten gehe. „Die Polizeirechtsverschärfungen in verschiedenen Bundesländern, die Überwachung weit im Vorfeld einer Gefahr zulassen, verletzen das Grundgesetz.“

Die GFF hat in Karlsruhe gegen Polizeigesetze verschiedener Länder geklagt. Nach ihrer Auskunft gibt es vor allem in Bayern und Sachsen Vorschriften, die ähnlich wie in Mecklenburg-Vorpommern eine Überwachung schon weit im Vorfeld einer konkreten Gefahr erlauben.

Für die Verfassungsbeschwerde zu Mecklenburg-Vorpommern hatte sich die GFF mit dem Bündnis „SOGenannte Sicherheit“ zusammengetan. Unter den Beschwerdeführern waren eine Klimaaktivistin, eine Strafverteidigerin, ein Journalist mit den Themengebieten Extremismus und Migration sowie zwei Personen mit Kontakten in die Fußball-Fanszene. (Az. 1 BvR 1345/21)

Für die Opposition war das Urteil aus Karlsruhe absehbar. Die innenpolitische Sprecherin der Grünen im Landtag, Constanze Oehlrich, sagte: „Die SOG-Novelle war ein Scheitern mit Ansage.“ In Sachverständigenanhörungen des Landtags vor der Verabschiedung des Gesetzes sei darauf hingewiesen worden, dass der Entwurf in der Verfassung gewährleistete Grundrechte verletze. „Doch die damalige rot-schwarze Landesregierung wischte diese Bedenken vom Tisch.“

Der FDP-Fraktionschef René Domke forderte die Einsetzung einer unabhängigen Kommission zur Evaluierung des SOG sowie die Entwicklung einer „Überwachungsgesamtrechnung“. Einen Antrag dazu kündigte er für die Landtagssitzung im März an. In den vergangenen Jahren habe es die Tendenz gegeben, die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger immer weiter einzuschränken und erst nach gerichtlichen Entscheidungen zu überarbeiten.

Der Innenpolitiker der seit Herbst 2022 mitregierenden Linken, Michael Noetzel, bezeichnete es als „äußerst fragwürdig, Gesetze auf den Weg zu bringen, die bewusst übers Ziel hinausschießen, um von Gerichten die verfassungsmäßigen Grenzen ausloten zu lassen“. Ann Christin von Allwörden von der CDU-Fraktion forderte, dass die Polizei auch nach dem Karlsruher Urteil „moderne Ermittlungsmöglichkeiten“ brauche. Das SOG hatte unter dem damaligen Innenminister Lorenz Caffier (CDU) seine heutige Gestalt bekommen.

© dpa-infocom, dpa:230131-99-427804/6

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