Süddeutsche Zeitung

Rauchverbot:Tür zu, Kippe aus

Der Bundesrat hat über ein Rauchverbot im Auto beraten, wenn Kinder oder Schwangere an Bord sind. Aber greift das nicht zu weit in die Rechte des Einzelnen ein? Über die Grenzen der Freiheit im privaten Raum.

Von Anna Fischhaber und Oliver Klasen

Nur neun zusätzliche Wörter wollen die Antragsteller in das Bundesnichtraucherschutzgesetz - kurz BNichtrSchG - einfügen, um eine Gruppe zu schützen, für die Tabakqualm besonders gefährlich ist. "In geschlossenen Fahrzeugen in Anwesenheit von Minderjährigen oder Schwangeren" soll das Rauchen künftig streng verboten sein, bei Verstößen würde ein Bußgeld bis zu 3000 Euro drohen. Fünf Bundesländer stellten an diesem Freitag im Bundesrat den Antrag vor. Die Länderkammer überwies ihn danach an die Ausschüsse für Gesundheit und Jugend, die in der letzten Septemberwoche darüber beraten. Sollte der Bundesrat den Antrag annehmen, müsste noch der Bundestag darüber abstimmen.

In Ländern wie Griechenland, England, Frankreich, Italien und Österreich ist das Rauchen längst verboten, wenn Kinder im Auto sitzen. Und auch in der deutschen Gesellschaft ist kaum Widerstand zu erwarten. Selbst 78 Prozent der Raucher, das zeigt eine Umfrage, befürworten ein Rauchverbot im Auto, wenn Kinder dort sitzen.

Aber hätte das Gesetz nicht besser in die Achtzigerjahre gepasst, als Vati den Wagen mit der Zigarette im Mund gen Italien in Urlaub lenkte, während auf der Rückbank die Kinder saßen, wo gegen den beißenden Rauch allenfalls das spaltbreit geöffnete Fenster etwas Linderung brachte? Ist nicht heute, in einer Gesellschaft, in der die Zahl der Tabaksüchtigen stetig zurückgeht, in der Raucher zum Teil sogar sozial geächtet sind, ein solches Gesetz obsolet geworden?

Jede Maßnahme, die zum Nichtrauchen motiviert, ist sinnvoll

Nein, findet Katrin Schaller. Sie ist zuständig für Tabakprävention und Tabakkontrolle beim Deutschen Krebsforschungszentrum. "Wir begrüßen auch die kleinen Schritte. Jede Maßnahme zum Schutz der Bevölkerung, jede Maßnahme, die zum Nichtrauchen motiviert, ist eine sinnvolle Maßnahme ", sagt sie. Aus Sicht der Gesundheitsprävention sei die Initiative vollkommen berechtigt. Die Rauchkonzentration im Auto sei wegen des begrenzten Raumes "sehr schnell sehr hoch", und Kinder seien beim Passivrauchen eben besonders gefährdet, weil sie eine höhere Atemfrequenz hätten und ihre Entgiftungssysteme noch nicht voll entwickelt seien.

Der Anteil der Raucher geht seit Jahren steil zurück. Der Tabakatlas des Deutschen Krebsforschungszentrums von 2015 beziffert die Zahl der Raucher auf 24,5 Prozent. Schaller wendet sich dennoch gegen den Eindruck, das geplante Gesetz bestrafe etwas, was ohnehin kein Mensch tut, der bei Vernunft ist. Denn aus dem Tabakatlas ergibt sich auch, dass Kinder außer in der Wohnung vor allem im privaten Pkw Qualm ausgesetzt sind. Zwar rauchen demzufolge etwa zwei Drittel der Raucher, die Kinder haben, im Auto nicht, das bedeutet aber im Umkehrschluss, dass "hochgerechnet auf die Bevölkerung in Deutschland schätzungsweise etwa 800 000 Kinder und Jugendliche im Auto ihrer Eltern passiv rauchen", sagt Schaller.

"So klein ist das Problem nicht", sagt auch Eva Walther, Sozialpsychologie-Professorin an der Uni Trier. Zumal es bei dem Gesetz auch um die symbolische Wirkung geht - und um Prävention. Es sei in der Forschung gut belegt, dass Kinder, deren Eltern vor ihnen im Auto rauchen, ein signifikant höheres Risiko haben, selbst zu Rauchern zu werden.

Dennoch löst die Initiative bei manchen Ablehnung aus: Warum greift die Politik, die den Nichtraucherschutz in Kneipen noch immer nicht flächendeckend durchgesetzt hat, nun ausgerechnet in einen privaten Raum ein? Das Auto sehen viele als Ort, an dem sie, obschon sie sich in der Öffentlichkeit bewegen, eine große Freiheit genießen. Tür zu, Musik an, sie können hier laut singen, fluchen und eben auch rauchen.

Wie sensibel gesetzliche Eingriffe in die Freiheit der Autofahrer sind, zeigt etwa die Debatte um ein Tempolimit auf Autobahnen ("Freie fahrt für freie Bürger") oder ums Anschnallen. "Als die Gurtpflicht 1976 eingeführt wurde, ging das bis vor das Bundesverfassungsgericht", erzählt Martin Burgi, Professor für Öffentliches Recht an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Ein Fahrer habe damals argumentiert, er schade unangeschnallt nur sich selber. Ohne Erfolg. Das Gericht befand, ein angeschnallter Fahrer könne nach einem Unfall besser anderen helfen.

Beim Rauchverbot im Auto beim Fahren mit Kindern und Schwangeren sei der Fall noch klarer: "Hier wird Dritten geschadet", erklärt Burgi, und: "Privater Raum heißt nicht, dass hier jegliches Verbot ausgeschlossen ist."

Der Jurist bringt ein extremes Beispiel: Jemand begeht in der eigenen Wohnung einen Mord - auch das ist nicht erlaubt, privater Raum hin oder her. Burgi will nicht ausschließen, dass das Rauchverbot im Auto der erste Schritt für ein Verbot auch in den eigenen vier Wänden in Anwesenheit von Minderjährigen ist. "Zumindest für Einraumwohnungen, wo es keine Fluchtmöglichkeiten gibt, wäre das denkbar."

Wer das für unmöglich hält, sollte sich mit Sebastian Frankenberger unterhalten. Das Volksbegehren des früheren ÖDP-Politikers veränderte 2010 völlig überraschend das Kneipenleben in Bayern und führte zum bundesweit strengsten Rauchverbot. Frankenberger erhielt noch Jahre nach dem Volksbegehren Drohungen, inzwischen lebt er "unerkannt und entspannt" in Österreich, wie er am Telefon erzählt. "Wir Bayern sind anders", das habe er stets gehört, wenn er argumentiert habe, dass in Ländern wie Australien, wo strikte Rauchverbote gelten, kaum noch geraucht werde. Inzwischen wird das Rauchverbot in Gaststätten nicht mehr hinterfragt. "Heute ist es normal, in der Kneipe zum Rauchen vor die Tür zu gehen. Wir leben in einer Gesellschaft, wo Rauchen zurückgedrängt wird", sagt Frankenberger. Die aktuelle Gesetzesinitiative hält er für "längst überfällig": "Es sollte selbstverständlich sein, dass, wo Kinder sind, nicht geraucht wird."

Aus einem Verbot wird eine gesellschaftlich akzeptierte Norm

Aber wären andere Maßnahmen nicht dringender? Die Rauchverbote in Gaststätten ausweiten? Die Tabaksteuer weiter erhöhen? "Die Politik ist bei Tabakkontrollmaßnahmen sehr zögerlich. Wir haben eine starke Tabaklobby in Deutschland", sagt Katrin Schaller vom Krebsforschungszentrum. Also greift die Politik eben ins Private ein und versucht, durch Gesetze Verhaltensänderungen zu erzwingen.

Schaller glaubt, dass das funktioniert: "Als das Rauchverbot in den Kneipen kam, hieß es auch: Dann rauchen die Leute eben zu Hause mehr. Aber das Gegenteil ist der Fall: Die Leute haben gesehen, dass es funktioniert, und gehen inzwischen auch daheim öfter mit der Zigarette nach draußen." Aus einem Verbot, das zunächst als Freiheitseinschränkung empfunden wird, könne eine gesellschaftlich akzeptierte Norm werden, sagt auch Sozialpsychologin Walther. Langfristig strebe der Mensch nach Dissonanzreduktion, wie Psychologen diesen Mechanismus nennen. "Der Widerspruch zwischen gesellschaftlich erwartetem Verhalten und inneren Einstellungen löse sich irgendwann auf.

Vielleicht würde schon ein "Reframing" helfen, wie es Walther ausdrückt. Nicht das Verbot, sondern der Schutz der Betroffenen würde dann im Fokus stehen. BNichtrSchG klingt eben nicht gerade motivierend. Wie wäre es mit "Gesetz zum Schutz der Gesundheit von Kindern und Erwachsenen im Auto", wie Walther vorschlägt? Dagegen kann nun wirklich niemand etwas haben.

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Quelle:
SZ vom 20.09.2019
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