SZ-Kolumne "Bester Dinge":Besser sehr viel zu spät

(Foto: Stadtbücherei Mönchengladbach/dpa)

In Mönchengladbach wird ein Buch nach sechzig Jahren zurückgegeben. Samt Entschuldigungsbrief.

Von Oliver Klasen

Menschen, die viel Wert auf Pünktlichkeit legen, versuchen ihre Erwartung oft mit Anekdoten zu rechtfertigen. "Die Tagesschau kommt um acht, nicht um zwei nach acht", pflegte etwa der frühere Leiter einer Journalistenschule allen zu sagen, die zu spät kamen - und so angeblich ihre Karriere gefährdeten. Er sagte es freilich in Unterschlagung der Tatsache, dass Judith Rakers ja nicht erst Sekunden vor Sendungsbeginn im Funkhaus aufschlägt, mithin die beiden Situationen in keiner Weise vergleichbar sind.

Russlands Regierung legte einst ebenfalls Wert zwar nicht auf Pünktlichkeit, aber doch auf den richtigen Moment im Lauf der Geschichte: "Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben", dieser Satz, gerichtet 1989 an DDR-Machthaber Erich Honecker, wird dem damaligen sowjetischen Staatschef Michail Gorbatschow zugeschrieben. Gorbatschow wünscht man sich gerade zurück, jedoch hat er selbst den Satz wohl nie exakt so gesagt. Ausgerechnet einer der berühmtesten Zuspätkomm-Sprüche hat also ein Authentizitätsproblem.

Das, was sich dieser Tage in Mönchengladbach ereignet hat, ist hingegen bestens dokumentiert - und eine frohe Botschaft für alle Verspäteten und Verpeilten. Volle sechzig Jahre zu spät nämlich gab ein Mann ein Buch zurück, das er in der Stadtbücherei ausgeliehen hatte. Es lag in einem Päckchen aus Frankreich, mit einem zweiseitigen handgeschriebenen Brief, in dem der 81-Jährige "tausendmal um Entschuldigung" bat, wie die Bibliothek mitteilte. Auf Mahngebühren habe man verzichtet. Wer sehr spät kommt, den behandelt das Leben gnädig.

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