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Buch von Mitch Winehouse über Tochter Amy:Zeuge des Verfalls

Fürsorglich, schüchtern, zielstrebig: Mit diesen Attributen wird die verstorbene Soul-Sängerin Amy Winehouse selten in Verbindung gebracht. Vater Mitch versucht nun, ihr Bild in der Öffentlichkeit posthum zurechtzurücken und erinnert in seinem Buch "Meine Tochter Amy" an die privaten Seiten der Sängerin. Trotzdem lässt er kaum einen peinlichen Skandal aus.

Vanessa Steinmetz

Über Amy Winehouse zu schreiben, bedeutet oft, ihr nicht wirklich gerecht werden zu können. Anstatt von ihrem Ausnahmetalent und ihren Erfolgen zu schwärmen, tauchen unweigerlich Bilder von Torkel-Auftritten vor dem inneren Auge auf. Videosequenzen, die sie beim Crack-Rauchen zeigen. Paparazzi-Fotos, auf denen sie viel zu kurze Kleider trägt, unter denen sich ein ausgemergelter und von Drogen gezeichneter Körper erahnen lässt. Ausblenden lassen sich diese Bilder nicht: Mit Drogen und Alkohol betäubte sich die "Rehab"-Sängerin nicht nur; sie ruinierte auch ihr unbestreitbares Talent. Vor einem Jahr - im Alter von 27 Jahren - ging sie an ihrem Leben zugrunde.

Amys Vater, Mitch Winehouse, hat die Erinnerungen an seine Tochter jetzt in einem Buch veröffentlicht. In "Meine Tochter Amy" skizziert er die Drogenexzesse der britischen Sängerin detailreich. Unter anderem berichtete er davon, wie er ihr während eines Alkoholentzugs Wodka gibt, damit sie aufhört zu keuchen und zu schwitzen.

Er will damit anderen Eltern helfen, die mit der Sucht ihrer Kinder fertigwerden müssen, sagt er. Ums Geldmachen ginge es ihm nicht, jeder Cent des Buches solle in die "Amy Winehouse Foundation" fließen, die Einrichtungen für chronisch kranke Kinder unterstützt. Und trotzdem kommen bei der Lektüre der Biografie unweigerlich unangenehme Fragen auf.

Fragen wie die, warum er, unmittelbar nachdem seine Tochter in Oslo einen desaströsen Auftritt hingelegt hatte, ein Interview zu ihrer Drogensucht gab und so ihr Innenleben unweigerlich nach außen stülpte. Warum er einen Brief seines Schwiegersohns Blake Fielder-Civil, den dieser während der turbulenten Beziehung an die Sängerin schrieb, an Journalisten der News of the World weitergab. Warum er eine Schlammschlacht mit dessen Eltern über die Verantwortung für die Drogensucht der Kinder über die britischen Klatschpresse ausfocht, obwohl er die Medien mitverantwortlich macht für den tiefen Fall seiner Tochter. Und warum er ihre peinlichen Aussetzer und demütigenden Szenen ein Jahr nach ihrem Tod in seinem Buch noch einmal in Erinnerung ruft.

Verstörendes Auf und Ab

Mitch Winehouse beschönigt wenig. "Ich bin jemand, der Klartext redet", konstatiert er gleich zu Beginn seines Buches. Und so berichtet er auch, wie er seine Tochter in den Jahren vor ihrem Tod immer wieder vollgedröhnt auffindet. Das eine Mal ist sie unfähig zu reden oder will "Küsse und Knuddeln" von ihrem Vater, ein anderes Mal ist sie so betrunken, dass sie sich den ganzen Tag übergibt. Er berichtet davon, wie sie sich vor Fotografen und Musikern lächerlich macht, in unpassenden Momenten johlt und klatscht und im Sport-BH zum Abendessen erscheint.

Immer wieder habe er sie angebrüllt, heimlich geweint und ihr das Versprechen abgenommen, clean zu werden und die Finger vom Alkohol zu lassen. Unzählige Male habe er sie zum Entzug geschickt, nur Stunden später sei sie wieder aus der Klinik getürmt. Ein verstörendes Auf und Ab. Dazu kommen Zeilen, in denen er darüber schreibt, wie Amy ihm von Menstruationsbeschwerden erzählt und ihn zum Dessous kaufen schickt. Dinge, die er als Vater nicht hören wollte - aber trotzdem dem Leser genauso wenig vorenthält.

Vielleicht schildert er diese Szenen auch deshalb so eindrücklich, weil er eben nicht nur die Reputation seiner Tochter, sondern auch die eigene wiederherstellen will. Auf 256 Seiten beschreibt Mitch Winehouse vor allem, wie er sein eigenes Leben dem seiner Tochter opfert, wie er sie bestärkt, obwohl er keinen Ausweg sieht. Wie er ihren rauschgiftsüchtigen Mann und einen Drogendealer vom Hof jagt, damit Amy nicht wieder rückfällig wird. So will er wohl seinen Kritikern - und vielleicht auch sich selbst - beweisen: Ich war ein verantwortungsvoller Vater. Ich konnte sie nicht retten. Und wer sollte schon darüber richten?

Aber Mitch Winehouse, der unter anderem als Taxifahrer arbeitete und nach dem Erfolg seiner Tochter selbst als Sänger das Rampenlicht suchte, zeigt auch eine andere Seite seiner Amy. Die Familie war sehr künstlerisch, immerzu wurde Musik gehört. Schon früh verschaffte sich das schwarzgelockte Mädchen mit ihrer durchdringenden Stimme dort Gehör. Er berichtet aus der Kindheit der Grammy-Gewinnerin. "Im Alter von einem Jahr lernte sie laufen. Dann begann sie etwas schwierig zu werden", schreibt er.

Neben den Fotos, die die Ausnahmekünstlerin als Ballerina und umringt von ihren Klassenkameraden zeigen, zeichnet der Autor das Bild eines Mädchens, das schon früh zur sturen Querdenkerin wurde. "Das Einzige, was ihr in der Schule gefiel, waren die Aufführungen", hält er fest. Deshalb bewarb sie sich mit zwölf Jahren an einer Theaterschule in London, heimlich. Ihr Motivationsschreiben enthielt folgende Sätze: "Ich will, dass die Leute meine Stimme hören und für fünf Minuten ihre Probleme vergessen. Ich will als Schauspielerin und Sängerin in Erinnerung bleiben, für ausverkaufte Konzerte und Shows im West End und am Broadway."

Der Weg dorthin schien ihr vorbestimmt: Schon ihr Debütalbum "Frank" bescherte ihr 2003 große Aufmerksamkeitund wurde allein in Großbritannien dreimal mit Platin ausgezeichnet. Drei Jahre später veröffentlichte sie ihr zweites Album "Back to Black" und feierte damit ihren endgültigen Durchbruch.

Doch die Show war ihre Sache eigentlich nicht; auf der Bühne fühlte sie sich nie wirklich wohl, das entging auch ihrem Vater nicht. Manchmal drehte sie sich sogar mit dem Rücken zum Publikum oder schaute schüchtern auf ihre Gitarre, die sie zu Beginn ihrer Karriere noch dabeihatte. Später betäubte sie ihr Lampenfieber mit Alkohol. Warum ihr Vater zuließ, dass sie auch in schlimmer Verfassung auf die Bühne gezerrt wurde, ist eine der Fragen, mit denen man als Leser zurückgelassen wird.

Kinderwunsch half beim Entzug

Abgesehen von ihrer musischen Begabung und Begeisterung für Ella Fitzgerald und Girlgroup-Pop der sechziger Jahre beschreibt Mitch Winehouse seine Tochter als mütterlichen Typ, der sich gerne um andere kümmerte und sich auch selbst Kinder wünschte - obwohl sie wohl wusste, dass ihr Körper zu dem Zeitpunkt schon zu geschunden war, um problemlos schwanger zu werden. Drei Jahre, bevor sie leblos und mit mehr als vier Promille Alkohol im Blut aufgefunden wurde, hatte sie ihre Drogensucht nach Überzeugung des Vaters überwunden. Ihr Kinderwunsch soll dabei eine große Rolle gespielt haben.

Wie wichtig ihr die eigene Familie war, zeigt eine Szene aus dem Buch. Als Mitch seine Tochter zum letzten Mal sieht, hat Amy auf einem Tisch vor sich Fotos ausgebreitet. Jedes einzelne davon nimmt sie in die Hand und erzählt ihrem "Daddy" davon. "Schau mal, war Omi nicht schön?" fragt sie, ein anderes Bild zeigt sie mit ihrem Bruder, auch das nimmt sie hoch und beide betrachten es.

Solche Momente sind kostbar, vor allem für einen Vater, der ständiger Zeuge des physischen und psychischen Niedergangs seiner Tochter wurde. Dass er sie teilen und in das Gedächtnis ihrer Fans und Kritiker injizieren will, ist verständlich. Damit "sein Mädchen" nicht nur als drogensüchtige Sängerin in Erinnerung bleibt - sondern auch als fabelhafter Mensch.

Mitch Winehouse: Meine Tochter Amy. edel-Verlag, 256 Seiten, 19,95 Euro. Erscheinungstermin: 5. Juli 2012

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