Brüssels freundliche Seiten:Die korrekte Krümmung von Essiggurken

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Die Europäische Union steht im Ruf, schwerfällig und bürokratisch zu sein, dabei haben ihre Regelungen viele positive Auswirkungen auf das tägliche Leben. 19 Beispiele von Ausrede bis Vertreterbesuche.

Euro

Danke Brüssel - für den Euro! (Foto: Foto: AP)

Man saß in Paris im Bistro, bestellte einen Café au lait und musste erst mal rechnen: 19 Francs durch 3,4. Inzwischen ist der Café au lait zwar noch viel teurer, aber die Mathematik entfällt. Und das Umtauschen glücklicherweise auch.

Strände

96 Prozent von Europas Küsten sind so sauber, dass man bedenkenlos dort schwimmen kann. Jährlich untersucht die EU-Kommission die Wasserqualität an Stränden und in Binnengewässern. 200 Umweltgesetze schützen die europäischen Küsten vor Verschmutzung.

Freiheit

Wer sich im Job verändern oder der Arbeitslosigkeit entkommen will, kann das im Ausland tun - das ist dank "Arbeitnehmerfreizügigkeit" problemlos möglich. Jeder kann prinzipiell in jedem EU-Land arbeiten. Genauso hat jeder Europäer das Recht, sich zum Beispiel für den Ruhestand dauerhaft in einem anderen EU-Land niederzulassen. Sieben Millionen EU-Bürger tun das bereits.

Hymne

Auch Leute, die klassische Musik verschmähen, lernen wenigstens dieses eine Stück kennen, seitdem 1985 der Chor aus dem vierten Satz von Beethovens 9. Symphonie zur Europahymne erklärt wurde. Immerhin. Schillers Text ("Freude schöner Götterfunken") gehört übrigens nicht dazu - offiziell gültig ist nicht die Chorfassung, sondern eine Instrumentalversion.

Schulden

Die EU hat uns gezeigt: Schulden sind keine Schande! Zwar ist auch Deutschland durch den Stabilitätspakt dazu verpflichtet, bei der Neuverschuldung drei Prozent des Bruttoinlandproduktes nicht zu überschreiten. Doch wenn wir es trotzdem tun, hat das praktisch keine Folgen. Also: Geben wir weiter Geld aus und freuen uns, wie locker wir geworden sind!

Telefonieren

Im Jahr 1997 kostete ein Zehn-Minuten-Ferngespräch innerhalb Deutschlands umgerechnet 2,88 Euro. Für zehn Minuten in die USA musste man umgerechnet 7,41 Euro bezahlen. Das war vor der Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes. Heute kostet das gleiche Gespräch innerhalb Deutschlands acht bis zwölf Euro-Cent, das gleiche Telefonat in die USA elf bis zwölf Euro-Cent.

Fußball

Im Jahr 1995 hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass Spieler, deren Vertrag abgelaufen ist, ohne Ablösesumme zu einem anderen Verein wechseln können. Das war das so genannte Bosman-Urteil. Die Sammlung von Spitzenkickern beim FC Bayern ist seither noch deutlich imposanter geworden.

Freie Fahrt

Wer noch vor ein paar Jahren in Budapest einen Unfall verursachte, kam bei der ungarischen Polizei mit seiner deutschen Fahrlizenz nicht weit. Seit dem 1. Mai 2004 existiert nun der EU-weit anerkannte Führerschein. Und: Bei Verlust bekommt man sofort einen Neuen.

Was Brüssel mit preiswerten Flügen zu tun hat, erfahren Sie auf der nächsten Seite.

OP-Behandlung

Dank der Europäischen Krankenversicherungskarte ist dafür gesorgt, dass jeder EU-Bürger im Urlaub innerhalb der EU medizinisch versorgt wird. Ob man sich in Palermo den Meniskus operieren lassen will, ist eine andere Frage.

Statistiken

Die EU veröffentlicht Unmengen von Statistiken und damit eine sprudelnde Quelle für Positivschlagzeilen: Deutschland ist zum Beispiel stärkste Handelsnation. Platz zwei geht, weit abgeschlagen, an Holland! Und obwohl die Wirtschaft brummt, haben wir den Energieverbrauch um 1 Prozent gesenkt.

Ausreden

"Tut mir leid, aber da sind uns wirklich die Hände gebunden. EU-Vorschrift", lautet eine beliebte Rechtfertigungsfloskel von Politikern. Der Vorteil: Uns allen kann die EU als Sündenbock dienen. Ein Kunde beschwert sich im Gemüseladen über die Wassertomaten aus Holland? Wieso denn? Alles EU-Norm!

Billigflieger

Nach Nizza für 39,90 Euro? Möglich macht das die Liberalisierung des Flugverkehrs in der EU. Die Preise für Sondertarife sind von 1992 bis 2000 um 41 Prozent gesunken. Allein 2003 sind Economy-Flüge europaweit fast zehn Prozent billiger geworden.

Brüssel

Jetzt mal ehrlich: Welche Gründe gab es früher, nach Belgien zu fahren? Zumindest dessen Hauptstadt ist durch die EU und die neuen Gegensätze nun hip geworden: Hier stehen die Glaspaläste an besseren Dorfstraßen, in den Kneipen betrinken sich steife Beamte mit Erdbeerbier, und trotz seiner 142000 Einwohner halten die Amerikaner Brüssel jetzt für eine gefährliche Millionenmetropole.

Sechs weitere Gründe, die EU zu lieben, lesen Sie auf der nächsten Seite,

Vertreter

Dank der europäischen Haustürwiderrufsrichtlinie (85/577/EWG) ist kein Verbraucher an einen an der Haustüre zustande gekommenen Vertrag gebunden: Es gibt immer die Möglichkeit, solch einen Vertrag zu widerrufen.

Urlaub

Europaweit gilt: Mindestens vier Wochen im Jahr darf jeder Beschäftigte im Urlaub ausspannen. Früher variierte die Dauer des Jahresurlaubs von Land zu Land. Heute müssen Arbeitnehmer zudem mindestens einen arbeitsfreien Tag pro Woche haben - neben dem Anspruch auf elf Stunden täglicher Ruhezeit.

Notruf

In mittlerweile mehr als 30 europäischen Ländern kann man mit der 112 die örtliche Notrufzentrale erreichen. Darunter sind also schon einige Nicht-EU-Staaten. Das neue Ziel ist der mehrsprachige Ausbau des Notrufservices.

Medikamente

Dank der Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs ist der europäische Arzneimittelmarkt wesentlich durchlässiger geworden. Auch der Versandhandel mit Medikamenten ist jetzt in Deutschland erlaubt, das ist für die Kunden meistens günstiger.

Werbung

"Kaufen Sie Sugar-Flakes, nur sie decken den Tagesbedarf an wertvollen Mineralien!" Dank der EU darf der Hersteller nicht mehr verschweigen, dass die Sugar-Flakes außerdem zur Hälfte aus Zucker bestehen.

Unterhaltungswert

Was wäre die tägliche Zeitungslektüre ohne absurde EU-Bürokratengeschichten. Die Regelungs- und Vereinheitlichungswut der Europabeamten gehört zum festen Repertoire aller Politikspötter. Unsere Lieblingsrichtlinien widmen sich der Sicherheit von Traktorsitzen, der Bestattung von Haustieren sowie der korrekten Krümmung von Essiggurken.

© SZ vom 24.03.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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