Süddeutsche Zeitung

3-D-Künstler Ian Padgham:Fritten auf Rädern

Zum belgischen Nationalfeiertag kursiert ein Video von Straßenbahnen in Pommestüten-Form - Täuschung oder Wirklichkeit?

Von Oliver Das Gupta

Pommes Frites verhalten sich zu Belgien wie das Gulasch zu Ungarn und Paella zu Spanien: Man assoziiert die Speise mit dem Land - und das durchaus mit Stolz. So dachten offenkundig auch die Brüsseler Verkehrsbetriebe und präsentierten anlässlich des Nationalfeiertages am 21. Juli einen besonderen Gag: einen 12-Sekunden-Clip, auf dem zu sehen ist, wie überdimensionale Tüten voller krosser Kartoffelstängel durch die Straßen der Hauptstadt rollen, als Trambahnen identifizierbar an Fenstern, Fahrgeräuschen und dem typischen Gebimmel. Man fühlt sich an Festzugswagen des Kölner Karnevals erinnert.

Schnell verbreitete sich das kurze Video über soziale Netzwerke und rief gerade außerbelgisch bemerkenswerte Reaktionen hervor: Ein österreichischer Diplomat fragte frotzelnd bei Twitter, ob Wien nun mit einer "Käsekrainer-Bim" reagieren würde, ein anderer Social-Media-Teilnehmer schlug eine Chicken-Wings-Straßenbahn für Atlanta vor, und nicht wenige fragten, auf welcher Linie die Fritten-Tram denn unterwegs sei.

Nur: Die Pommestüten auf Schienen gibt es nicht. Die Sequenz ist ein Werk von Ian Padgham, einem 3-D-Künstler, der sich auf kurze Videos zwischen Illusion und Wirklichkeit spezialisiert hat: In einem Clip stellte er den Stau in einer französischen Stadt nach, nur dass statt Autos brummelnde Flaschenkorken auf die nächste Grünphase warten. Eine andere Arbeit zeigt, wie Stücke von Schokokuchen auf einem Fluss herumschippern.

Vom Ticketabreißer im MOMA zum Videokünstler

Das Spiel mit der Täuschung scheint Padgham großen Spaß zu bereiten, er scheint allgemein ein Witzbold zu sein. Auf die Frage, welche "Tools", welche Werkzeuge er für seine kuriosen Werke verwende, antwortet Padgham: "Zählt Whiskey?"

Geboren wurde der Autodidakt vor 39 Jahren in Kalifornien, sein Weg zum beruflichen Erfolg verlief nicht geradlinig. Er studierte mittelalterliche französische Kunstgeschichte in Berkeley und lebte dann - wie er selbst sagt - ein paar Jahre in Paris als hungernder Künstler. Daraufhin soll er im Baugewerbe und im Einzelhandel gearbeitet und Eintrittskarten im Museum of Modern Art in San Francisco abgerissen haben. Und dort, in dieser Heimstätte des Kreativen, kam er auf den Kurznachrichtendienst Twitter.

Und dann entwickelte er seine Fertigkeiten, die ihn zum "visual artist" machten: Mit dem Smartphone und entsprechender Software, mit Zeichnungen, Selbstporträts und Knetmasse setzte er immer ausgefallenere Ideen immer ausgefeilter um. Hunderte animierter Videos hat Padgham inzwischen konzipiert und verwirklicht, für Elektronikhersteller und Brauereien, für Sportartikelfirmen und die Region Aquitanien, wo er lebt. In Paris war er mit einer französischen Malerin zusammengekommen, das Paar ging in die USA, zog dann zurück nach Frankreich, als Donald Trump Präsident wurde. Inzwischen wohnt die Familie mit den Kindern in Bordeaux.

Hochoffizielles Dementi der Verkehrsbetriebe

Padgham ist sich durchaus der Gefahren bewusst, die mit den immer ausgefeilteren Möglichkeiten der virtuellen Bilderwelt einhergehen. "Wir haben jetzt schon so viele fake news, und die Vorstellung, dass optische fake news dazukommen, ist beängstigend", sagte er einmal.

Padghams Werke sind darauf ausgerichtet, dass man ihre Künstlichkeit beim genaueren Hinsehen erkennen kann. Das Tram-Motiv hat es Padgham besonders angetan: Einmal ließ er ein riesiges Baguette durch die Straßen von Bordeaux zischen, ein anderes Mal sah man eine Flasche Rotwein fahren. Letztgenannter Clip wirkte so echt, dass die örtlichen Verkehrsbetriebe dementieren mussten: "Stellt euch mal vor, wie ein Straßenbahnfahrer in einem solchen Gefährt seine Arbeit verrichten müsste."

Den Belgiern hat der smarte US-Amerikaner noch ein weiteres Video beschert: Tim, den rasenden belgischen Comic-Reporter, lässt er zu Hiphop-Klängen tanzen, Hund Struppi und Kapitän Haddock sind nicht zu sehen, dafür die rot-weiß bemalte Rakete aus dem legendären "Tintin"-Heft von 1954 mit dem Titel "Schritte auf dem Mond".

Und mit Blick auf die jüngsten Raumfahrtabenteurer schreibt Padgham zu seinem Video einen Satz, der den Belgiern schmeicheln dürfte: "Lange vor Bezos, Branson und Musk gab es Tintin."

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