Süddeutsche Zeitung

USA:Aber niemand fragt Britney

Kurz bevor ein Gericht erneut über das Selbstbestimmungsrecht von Britney Spears entscheidet, erscheint eine Dokumentation der "New York Times". So gut wie jeder aus ihrem Umfeld kommt zu Wort.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Von wem man schon lange nichts mehr gehört hat: Britney Spears. Das klingt zunächst verwirrend, denn so selten äußert die Sängerin sich gar nicht. Auf ihrem Instagram-Account war zum Beispiel erst am Dienstag wieder ein Eintrag zu lesen: "Denkt immer daran: Was immer man glaubt, über das Leben einer anderen Person zu wissen, ist nichts, verglichen mit der tatsächlichen Person hinter der Kamera." Auch Aussagen vor Gericht kann man nachlesen, in Akten findet sich unter anderem das Zitat, sie habe "Angst vor ihrem Vater". Der ist seit Januar 2008 Britney Spears' Vormund, zunächst mit allumfassender Zuständigkeit für sie als Privatperson und für ihre Finanzen, seit 2019 beschränkt sich seine Vormundschaft auf die Marke Britney Spears - auch wenn es mittlerweile Einschränkungen gibt. An diesem Donnerstag steht mal wieder ein Gerichtstermin in Los Angeles an.

Von wem man also lange nichts gehört hat, ist: die ungefilterte Britney Spears. "Ich würde sagen, dass jeder, der sie in den vergangenen fünf, zehn Jahren interviewt hat, das unter strenger Bewachung ihrer Aufseher getan hat", sagt Joe Coscarelli. Er ist Journalist bei der New York Times, die am vergangenen Freitag den Dokumentarfilm "Framing Britney Spears" veröffentlicht hat. Coscarelli ist einer der Protagonisten, ebenfalls zu Wort kommen einstige Wegbegleiter wie etwa die frühere Freundin und Assistentin Felicia Culotta, der Paparazzo Daniel Ramos oder Anwalt Adam Streisand. Wer nichts sagt: Britney Spears.

Es heißt, dass die Zeitung versucht habe, sie zu kontaktieren, doch die letzte Szene des Films ist ein schwarzer Bildschirm, auf dem steht: "Wir wissen nicht, ob die Anfrage sie erreicht hat." Das klingt objektiv, ist es aber nicht - es impliziert, dass es Leute gibt, die solche Anfragen an die 39-Jährige abblocken.

Unglaubliche Fälle von Sexismus

Britney Spears trug mal ein Shirt, auf dem stand: "I am the American Dream". Der Film zeichnet ihr Leben nach und somit auch, wie der amerikanische Traum zum Albtraum wurde, in dem eine unfassbar reiche Künstlerin nicht mal mehr über den Kauf einer Tasse Kaffee entscheiden darf.

Es werden die richtigen Fragen gestellt wie zum Beispiel: Warum wurde eine Frau, die seit Anbeginn ihrer Karriere unglaublichem Sexismus ausgesetzt war (und zum Beispiel von Journalisten gefragt wurde, ob sie Jungfrau sei), unter Vormundschaft gestellt - und Leute wie Charlie Sheen, Dennis Rodman und Marilyn Manson dürfen nach wie vor tun, was immer sie wollen? Nur gibt es keine Antwort darauf.

Es werden Archivaufnahmen gezeigt, in denen Spears sagt: "All die Anwälte und Doktoren und Leute, die mich jeden Tag analysieren - wenn das nicht wäre, würde ich mich so befreit fühlen, dann könnte ich endlich ich selbst sein. Bis dahin habe ich das Gefühl: Die hören mich, aber sie hören mir nicht zu. Die hören nur, was sie hören wollen." Die Aussage ist freilich bekannt, unter anderem deshalb gibt es die Fan-Bewegung #FreeBritney, die sie von der Vormundschaft befreien will; unter anderem deshalb haben sich andere Prominente wie Sarah Jessica Parker, Miley Cyrus oder Bette Midler mit ihr solidarisiert. Sängerin Hayley Williams sagt: "Kein Künstler heutzutage müsste diese Folter ertragen, die Medien, Gesellschaft und Misogyne mit ihr veranstaltet haben."

Von wem es keine Aussage gibt, zumindest keine, bei der zweifelsfrei geklärt ist, dass sie auch wirklich von ihr stammt: Britney Spears im Februar 2021.

Vorerst keine Auftritte mehr

Es geht bei der Anhörung am Donnerstag wieder mal um die Vormundschaft über Britney Spears, die Privatperson. Vor allem aber geht es um Britney Spears, die Künstlerin und wertvolle Marke. Der Unterschied ist wichtig, weil die Privatperson laut Gerichtsunterlagen gesagt hat, dass die Künstlerin nicht mehr auftreten werde, solange ihr Vater Jamie involviert ist. Derzeit ist Jodi Montgomery für die Privatperson verantwortlich, das soll sie bis September bleiben, dagegen hat Spears nichts, sie scheint durchaus Hilfe haben zu wollen.

Allerdings hatte ein Gericht im November entschieden, dass sich Vater Jamie die Vormundschaft über die Künstlerin Spears mit der Treuhandgesellschaft Bessemer Trust (BT) teilt. Darüber wird debattiert werden, deshalb ist diese Anhörung so wichtig. Sollte das Gericht entscheiden, dass BT die alleinige Kontrolle über die Finanzen bekommt, wäre Britney Spears zwar noch immer nicht so frei, wie es ihre Fans fordern. Aber die Vormundschaft würde Leuten anvertraut, die Spears selbst als Helfer haben will. Ihr aktueller Lebensgefährte, der 27 Jahre alte Sam Asghari, sagte dem Magazin People, er freue sich auf eine "normale, wunderbare gemeinsame Zukunft".

"Framing Britney Spears" ist ein trauriger Film, weil detailliert gezeigt wird, wie viele Leute davon (vor allem finanziell) profitiert haben, die Sängerin zu dem zu machen, was sie nun wohl ist. Der Film scheitert aber auch (ebenso wie dieser Text), weil er das Hauptproblem, das er identifiziert hat, selbst fortsetzt: Mal wieder reden allerlei Leute über Spears und erlauben sich Urteile, während keiner hört, was Spears selbst zu sagen hat.

Der klügste Satz im Film stammt von Filmemacher Michael Moore, und es ist umso trauriger, dass dessen Aussage bereits 13 Jahre alt ist: "Warum lassen wir sie nicht einfach in Ruhe?"

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5202360
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/nas
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.