Süddeutsche Zeitung

Britisches Erbrecht:Nur ohne meine Tochter

  • Fünf Frauen haben Großbritannien verklagt, weil im britischen Hochadel nur Männer Titel und Vermögen erben können.
  • Die Regelung führt auch dazu, dass Frauen sich nicht für bestimmte Sitze im House of Lords bewerben können.
  • Die Frauen fordern Gleichberechtigung. Titel sollen geschlechtsneutral vergeben werden, ein Erbe an das älteste Kind gehen.

Von Cathrin Kahlweit, London

Im Jahr des Herrn 2018 hat das Vereinigte Königreich ein sehr schönes Jubiläum, 100 Jahre Frauenwahlrecht, mit der Errichtung einer Statue gefeiert. Die Suffragette Millicent Fawcett steht nun als erste Frau zwischen den Heroen britischer Geschichte auf dem Parliament Square. Eine Frau ist Premierministerin, eine Frau ist Königin, und die Hochzeit des Jahres hat eine erklärte Feministin zur Duchess of Sussex gemacht. Sogar die Thronfolge bei den Royals wurde vor ein paar Jahren so geändert, dass sie jetzt immer an den oder die Erstgeborene fällt - also auch an eine Frau.

Ist Großbritannien ein Vorzeigeland für die Gleichberechtigung? Wenn das so wäre, würden jetzt vermutlich nicht fünf adelige Damen aus England vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen und ihr Land verklagen. Der Name der Kampagne: "Töchter-Rechte", Daughters' Rights. Das Ziel: Die Abschaffung des Prinzips der männlichen Primogenitur. Denn tatsächlich, man mag es kaum glauben, erben im britischen Hochadel (Schottland macht da einige Ausnahmen) nach wie vor nur Söhne Titel und Vermögen. Was die fünf, die ältesten Töchter der Earls of Ronaldshay, Balfour und Macclesfield sowie der Viscounts Long of Wraxhall und Torrington, fordern, ist: dass Erbtitel geschlechtsneutral vergeben werden - und das Erbe an das älteste Kind geht.

Wie bizarr das geltende Recht ist, war auch für Laien leicht zu erkennen, als in der Erfolgsserie Downton Abbey der Erbe des großen Anwesens, ein Neffe des Earl of Grantham, zu Tode kommt und seine drei Töchter leer ausgehen. Es erbt stattdessen ein entfernter Verwandter. Dass das nicht nur Filmstoff, sondern bittere Realität ist, zeigen Fälle wie jener des Earl of Northesk, dessen ältester Sohn sich umbrachte. Northesk hinterließ Frau und drei Töchter. Die älteste der drei verfasste eine Petition, um den Titel weiter tragen zu dürfen, aber der ging an einen Cousin achten Grades.

Es gibt Dutzende solcher Fälle, Gegner des archaischen Rechts erzählen sie mit Entsetzen. Es gehe dabei nicht nur um Fragen der Gleichberechtigung, sondern auch um ökonomische Katastrophen: Wo sich weit und breit kein männlicher Erbe findet, gehen Titel und Vermögen verloren.

Seit Jahren wird vergeblich versucht, die männliche Primogenitur abzuschaffen; weibliche Mitglieder adeliger Familien gründeten unter dem Namen "Gleichberechtigung für Frauen im Adelsstand" eine Gruppe, die sich selbstironisch "die Hasen" nannte. Lord Lucas, Mitglied des Oberhauses, der ein Fan der Gleichberechtigung ist, brachte 2011 einen Initiativantrag ein. Der Vorstoß firmierte sinnigerweise unter "Downton Abbey Bill", was zusätzliche mediale Aufmerksamkeit brachte - aber das war es dann auch. Initiativanträge brauchen die Unterstützung der Regierung. Und die mochte diese Rebellion gegen jahrhundertealte Traditionen nicht unterstützen: wohl zu kompliziert, und zu viel Ärger für zu wenig Gewinn, kommentiert Lord Lucas trocken.

1999 war das House of Lords grundlegend reformiert worden

Das alles führt nun dazu, dass sich weiterhin nur Männer auf einen der 92 für den Erbadel vorgesehenen Plätze im House of Lords bewerben können, die per Abstimmung vergeben werden. 1999 war das House of Lords grundlegend so reformiert worden, dass nur noch 92 Sitze vererbbar sind, die große Mehrheit der Peers aber wird seither ernannt. Stirbt ein Erb-Peer, können die anderen einen Nachfolger bestimmen. Die Bewerberlisten sind lang, ein Sitz im Oberhaus ist mit Prestige und Einfluss verbunden.

Dieses Prozedere, sagen die klagenden Töchter von "daughters rights", verstoße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. In der sei neben dem Diskriminierungsverbot schließlich auch das Recht auf freie Wahlen festgeschrieben. Ihr Rechtsanwalt, Paul Hardy von der Londoner Großkanzlei DLA, argumentiert, es könne nicht sein, dass Frauen über den Umweg der männlichen Primogenitur quasi davon ausgeschlossen seien, sich ins Oberhaus wählen zu lassen. Eine Mit-Initiatorin der Kampagne, Charlotte Carew Pole, schimpft: "Das ist eine der letzten, vom Staat sanktionierten Diskriminierungen, und das muss geändert werden."

Beim Monarchie-Magazin "Majesty" verfolgt Redakteur Joe Little den Feldzug der Frauen mit Sympathie. Jetzt, nachdem die royale Erbfolge in Großbritannien modernisiert wurde, sei es auch Zeit, die Primogenitur abzuschaffen. "Besser spät als nie."

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SZ vom 17.07.2018/cat
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