Brief der Germanwings-Hinterbliebenen:"Stehen Sie zu Ihrer Verantwortung"

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  • Zu wenig Geld, zu wenig Offenheit, zu wenig Sorge um die Angehörigen der Opfer - das sind die zentralen Vorwürfe, die aus einem Brief an Lufthansa-Chef Carsten Spohr hervorgehen.
  • Das Schreiben stammt von den Angehörigen der 16 Schüler und zwei Lehrerinnen aus Haltern am See, die bei dem Absturz der Germanwings-Maschine im März ums Leben gekommen sind.

Die Angehörigen einiger Opfer der Germanwings-Katastrophe haben sich im Streit mit der Lufthansa direkt an den Konzernchef Carsten Spohr gewandt. In einem Schreiben, das ihr Anwalt veröffentlichte, werfen sie dem Unternehmen vor, zu wenig Verantwortung gegenüber den Hinterbliebenen zu übernehmen. Es geht um Anteilnahme, die Schuldfrage - und Geld.

Der Brief ist von Müttern und Vätern der 16 getöteten Schüler aus Haltern am See unterschrieben, sowie von Ehemann und Verlobtem der beiden Lehrerinnen, die mit im Flugzeug saßen. Sie alle haben bei dem Crash in den französischen Alpen am 24. März mindestens einen Angehörigen verloren.

Sie betonen darin, dass der Schmerz, den eine Familie durchleidet, wenn ein Angehöriger plötzlich aus dem Leben gerissen wird, nicht mit Geld aufzuwiegen ist ( PDF). "Eine Zahlung der Lufthansa kann uns unsere Kinder nicht mehr zurückgeben. Sie können uns aber ein klein wenig der alltäglichen Lebenssorgen nehmen, die uns in unserem Schmerz zusätzlich belasten", heißt es. Manche der Angehörigen könnten seit der Katastrophe nicht mehr arbeiten, alle seien voller Sorgen.

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Die Familien, die im März Angehörige beim Germanwings-Absturz verloren hatten, geben sich nicht mit der angebotenen Entschädigung zufrieden. Sie halten den Betrag von 25 000 Euro für "zu wenig".

"Mit Geld ist das nicht zu heilen. Sie können nur versuchen, uns stattdessen zusätzliche Sorgen zu nehmen. Etwa um die Finanzierung der Ausbildung der Geschwisterkinder, etwa um die Kosten der Pflege unserer Eltern. Sorgen, die viele Menschen haben. Sorgen, die uns gegenüber unserem Schmerz klein erscheinen. Sorgen aber, die bei uns noch schwerer wiegen, weil wir nicht wissen, ob unser Schmerz uns im Alltag bestehen lässt."

Die Angehörigen betonen die besondere Verantwortung der Lufthansa. "Wenn ein Mitarbeiter eines Handwerksunternehmens bei Ihnen zuhause ein Fenster beschädigt, steht das Unternehmen selbstverständlich dafür gerade. Umso mehr, wenn dies mit Absicht geschieht. Was Sie uns Eltern als Anerkennung unseres Leides angeboten haben, ist kein 'dafür gerade stehen'".

Die Lufthansa äußerte Verständnis für die Wut der Betroffenen. Sprecher Andreas Bartels sagte zugleich: "Wir bedauern sehr, dass nun eine Verschärfung des Tons reingebracht wird." Ein Antwortschreiben Spohrs werde es nicht geben.

Das Angebot der Lufthansa - zu niedrig, finden Anwälte

Die Lufthansa hatte nach dem Absturz, der nach bisherigen Erkenntnissen von Copilot Andreas Lubitz absichtlich herbeigeführt worden war, 50 000 Euro für jedes Opfer an die Angehörigen gezahlt. Zusätzlich hat die Fluggesellschaft den Hinterbliebenen jeweils 25 000 Euro Schmerzensgeld angeboten, sowie eine Zahlung von 10 000 Euro an Eltern, Kinder und Lebenspartner.

Die Frage, wie das Schmerzensgeld in einem Fall wie der Germanwings-Katastrophe berechnet werden könne, sei schwierig, erklärte Anwalt Elmar Giemulla, der Hinterbliebene der Opfer des Germanwings-Absturzes, vertritt, bereits am Wochenende: "Eine Antwort kann jedoch sicher gegeben werden: Nicht mit 25 000 Euro." Ein derart niedriges Angebot habe er in seiner Zeit als Anwalt bislang noch nie erlebt. Die Opfer hätten minutenlange Todesangst ausgestanden.

Chronologie
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Um 10.01 startet die Germanwings-Maschine mit 150 Menschen an Bord in Barcelona. Eine knappe Stunde später lässt offenbar der Copilot sie an einem Berg zerschellen. Was über die Zeit dazwischen bekannt ist.

Auch das Angebot der Lufthansa, nächsten Angehörigen wie Eltern, Kindern oder Lebenspartnern ohne weitere Prüfung jeweils ein Schmerzensgeld von 10 000 Euro zu zahlen, wies der Anwalt als unangemessen zurück. Die Gruppe sei zu klein gefasst, zudem müsse der Betrag "im unteren sechsstelligen Bereich liegen", forderte er.

Eltern erwarten Entschuldigung der Lufthansa

Sein Anwaltskollege Christof Wellens, der ebenfalls mehrere Opferfamilien betreut, bezeichnete die angebotenen Summen als "Brotkrumen" und warf der Lufthansa vor, bei der Frage des Schmerzensgeldes vorzugehen wie bei Tarifverhandlungen. Zudem hätten viele Hinterbliebene das Gefühl, das Unternehmen verhalte sich zu verschlossen.

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Auch das sprechen die Familien der Opfer aus Haltern in ihrem Brief an: "Herr Gauck, Frau Merkel und Frau Kraft haben mit uns gesprochen. Sie nicht. Sie waren für Ihre Kunden da, nicht für uns. Eltern, die Sie persönlich zur Beisetzung ihres Kindes eingeladen haben, bekamen noch nicht einmal eine Antwort von Ihnen. Wir hatten erwartet, irgendwann in diesen schweren Tagen eine Entschuldigung von der Lufthansa zu hören."

© Sz.de/dpa/feko - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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