Bremen:Nachts wandern für mehr Sicherheit

Nein, Nachtwandern ist nicht die nächtliche Variante des Nordic Walking. Es kommt zwar aus Skandinavien, aber als Sport kann man es nur bedingt bezeichnen.

Von Dorothea Salzmann

Monika Wenzel sitzt unruhig auf ihrem Stuhl. Heute geht es das erste Mal raus zu einem Nachtwanderer-Einsatz, und die rüstige Endfünfzigerin kann kaum erwarten, dass es losgeht. Sie war schon eine Nachtwanderin, als diese Idee noch gar nicht von Schweden nach Bremen herübergeschwappt war.

Nachtwanderin, Bremen, Dorothea Salzmann

Spät in der Nacht im Einsatz: Nachtwanderer in Bremen

(Foto: Foto: Dorothea Salzmann)

"Ich habe mir oft Sorgen um meine Tochter gemacht, wenn sie nachts unterwegs war. Und dann hab ich mich auf den Weg gemacht und sie begleitet. Ohne dass sie es merkte, natürlich", erinnert sich die fröhliche, kleine Frau. "Inzwischen ist meine Tochter verheiratet, hat selbst schon Kinder und wohnt in Schweden. Als ich jetzt aus den Medien von der Initiative erfahren habe, war ich sofort dabei."

Übergriffe auf Busfahrer

Eltern und Großeltern von Jugendlichen schließen sich der jungen Bremer Initiative der Nachtwanderer an. Sie alle eint die Sorge um die Jugendlichen im Nachtleben und der Ärger über die Ignoranz vieler Erwachsener bei Auseinandersetzungen.

Zwischen grauen Hochhäusern an einer schlecht beleuchteten Ecke kommen die Nachtwanderer heute zusammen; sogar ein Manager der Bremer Straßenbahn AG beteiligt sich: Klaus Otten ließ kürzlich eine Erhebung über gewalttätige Übergriffe auf Busfahrer und Fahrgäste durchführen. Das Ergebnis schockierte ihn: Mehr als 30 Fahrer meldeten innerhalb kürzester Zeit Übergriffe in ihren Fahrzeugen. Seitdem ist Klaus Otten dabei.

Nachtblaue Westen mit dem gelben Logo machen aus den Individuen eine einheitlich auftretende Gruppe. Der Bahnhofsplatz am Hafen ist das erste Ziel an diesem Abend. Eine laute Auseinandersetzung von türkischen Jugendlichen dringt herüber. Der Tonfall wird aggressiver.

Gegen die "Wegguck-Mentalität"

Eine klassische Situation für Nachtwanderer. Klaus Otten schlendert zu den fünf Jungs, stellt sich schweigend zu ihnen und spricht sie dann an: "Guten Abend." Schweigen. "Sind Sie von der Polizei?", fragt einer der Jungs. Misstrauen. "Nein, wir sind Nachtwanderer. Habt ihr schon mal von uns gehört?" Vergessen ist der Streit, ein Gespräch entsteht.

Echtes Interesse bei den Jugendlichen, besonders, als sie hören, dass all die Erwachsenen wegen ihnen nachts um die Häuser ziehen. Immer wieder erstauntes Nachfragen: "Ihr macht das ohne Kohle?" Die Stimmung ist umgeschlagen. Es fühlt sich auf einmal wieder gut an zwischen den Wartehäuschen am Bahnhof. Sicherer. Ruhiger.

Die Wiege der Initiative ist Stockholm. "Wir brauchen Erwachsene, die sich kümmern", lautet das Motto der dortigen Nachtwanderer. Seit 1987 sind hier Erwachsene nachts auf den Straßen unterwegs, statt besorgt wachzuliegen und auf die Rückkehr ihrer halbwüchsigen Kinder zu warten. Inzwischen zählt man in Schweden jährlich etwa 200000 Nachtwanderer, über 300 Orte verteilt.

Auch in Norwegen, Dänemark und Estland macht die Initiative Schule. In vielen Orten sank die Jugend-Kriminalität nachweisbar, weil die Nachtwanderer im Einsatz waren. "In unserer Gesellschaft hat sich eine Wegguck-Mentalität eingeschlichen. Dagegen wollen wir angehen", sagt der Bremer Mitinitiator Lasse Berger.

Nachts wandern für mehr Sicherheit

Im Notfall wird die Polizei verständigt

Die Gruppe fährt im Bus durch die dunklen und einsamen Straßen eines ruhigen Stadtteils. Die Nachtwanderer mischen sich unter die Fahrgäste. Die Busfahrerin ist froh, auf ihrer nächtlichen Tour begleitet zu werden: "Ich fahre sonst keine Nachtschichten. Normalerweise ist um 21 Uhr für mich Feierabend. Das ist auch gut so, denn man hört doch immer wieder von Übergriffen. Und es ist für alle Beteiligten wieder attraktiver, mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs zu sein."

Langsam füllt sich der Bus. Was im hinteren Teil des Wagens geschieht, kann ein Busfahrer nur schlecht überblicken. Konflikte, oft angeheizt durch Alkohol, eskalieren manchmal, weil die Beteiligten auf engem Raum aufeinander treffen und sich dieser Situation nicht entziehen können.

Oft reicht es schon, wenn einer der Nachtwanderer sich zu einem potentiellen Aggressor setzt und ihn in ein Gespräch verwickelt - weshalb die Nachtwanderer auch froh wären, wenn sie türkische und russische Eltern in ihren Reihen hätten. Manchmal allerdings ist auch handfeste Hilfe gefragt, wenn ein betrunkener Jugendlicher zusammenklappt oder die Gewalt eskaliert. Dann wird der Busfahrer oder über Funk die Polizei verständigt. Die Nachtwanderer verstehen sich nicht als Bürgerpolizei oder Sozialarbeiter. Aber sie wollen weiterführende Hilfe vermitteln, wenn es nötig ist.

Ein Zeichen von Zivilcourage

Gemeinsam mit einigen Jugendlichen schlendern sie zu einer nahe gelegenen Disco. Südamerikanische Rythmen dröhnen aus der überfüllten Bar. Den beiden breitschultrigen Türstehern mit kahl geschorenen Köpfen sind die Nachtwanderer keine Unbekannten.

"Na, schon Schlimmes verhindert?", werden sie mit breitem Grinsen von den sonst eher grimmig dreinschauenden Secrets empfangen. Auch die Polizei sieht das Engagement der freiwilligen Helfer mit Wohlwollen. "Was die Nachtwanderer leisten, ist ein gutes Zeichen von Zivilcourage", lobt der Sprecher des Bremer Innenressorts, Markus Beyer.

Wachhabende Beamte und die jeweils aktive Nachtwanderer-Gruppe wissen voneinander. Sollte ein Eingreifen der Polizei nötig werden, melden sich die Nachtwanderer per Handy.

"Was ist eigentlich, wenn uns Nachtwanderern bei einem Einsatz etwas passiert?", fragt Monika Wenzel plötzlich. "Alle Teilnehmer sind unfall- und haftpflichtversichert", beruhigt Klaus Otten seine neue Mitstreiterin.

Diese gähnt hinter vorgehaltener Hand. Es ist inzwischen 2.50 Uhr. Ein langer Tag für Monika Wenzel, die jetzt noch dreißig Kilometer nach Hause, ins Bremer Umland, zurücklegen muss. Und doch, die gute Sache ist den Einsatz wert, da ist sie sich nach diesem ersten Mal sicher.

Durch leere, dunkle Straßen ziehen die müden, aber zufriedenen Nachtschwärmer zurück zum Bewohnertreff "Dünenwind". Dort werden die Westen wieder im Schrank verstaut - bis zum nächsten Einsatz.

(SZ vom 24.3.2005)

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: