Prozess in Oslo:Verteidigung fordert Freispruch für Breivik

Geir Lippestad folgt dem Wunsch seines Mandanten: Breiviks Verteidiger führt in seinem Schlussplädoyer aus, warum der Massenmörder nicht geisteskrank sei. Er fordert Freispruch für den Angeklagten oder eine "möglichst milde" Gefängnisstrafe.

Lena Jakat

Hellblaue Krawatte, weißes Hemd, schwarzer Anzug, starrer Blick. Anders Behring Breivik zeigt keine sichtbare Reaktion, als die Vorsitzende Richterin Wenche Elizabeth Arntzen ihm mit ruhiger Stimme seinen Wunsch verwehrt. Der Attentäter von Oslo hatte darum gebeten, dass sein Schlusswort im Fernsehen übertragen wird. Das Gericht habe sich entschieden, sagt Arntzen, nicht von der bisherigen Regelung abzuweichen. Sie nimmt dem Angeklagten damit sein Publikum, schrumpft seine Bühne auf die Größe des Gerichtssaals 250 im Osloer Tinghuset.

Zeitstrahl: Breivik - vom Extremisten zum Massenmörder

Im Prozess gegen Breivik in Oslo hat seine Verteidigung gefordert, den Angeklagten für zurechnungsfähig zu erklären - und ihn freizusprechen. Dem Antrag der Staatsanwaltschaft, den Attentäter in der Pschiatrie unterzubringen, sei nicht zu folgen, sagte Breiviks Anwalt Geir Lippestad, sondern dem Angeklagten sei eine "möglichst milde" Gefängnisstrafe zu gewähren.

Es ist der letzte Verhandlungstag im Strafverfahren gegen den Mann, der am 22. Juli 2011 77 Menschen tötete und Norwegen in ein "nationales Trauma" stürzte, wie es Staatsanwältin Inga Bejer Engh gestern formulierte. Es ist der Tag des Abschlussplädoyers der Verteidigung. Lippestad ergreift das Wort, kündigt an, etwa drei Stunden sprechen zu wollen. Staatsanwältin Inga Bejer Engh hatte am Donnerstag gesagt, sie habe sich oft daran erinnern müssen, dass die Ereignisse, die im Gerichtssaal verhandelt würden, real seien. Er könne das gut nachvollziehen, sagt Lippestad.

Das Recht, Verantwortung für die eigenen Taten zu übernehmen

Der Jurist mit der randlosen Brille beginnt seine Ausführungen damit, die rechtlichen Rahmenbedingungen für Unzurechnungsfähigkeit zu diskutieren. Es sei ein fundamentales Menschenrecht, die Verantwortung für die eigenen Taten übernehmen zu dürfen, sagt Lippestad. Die Argumentationslinie der Verteidigung baut darauf auf, Breivik als politischen Aktivisten darzustellen. Der Islamhasser sei ein Extremist, kein geisteskranker Triebtäter. "Warum sollte jemand so viel Zeit in die Erstellung dieses Werks legen, wenn er keine politische Agenda verfolgt?", fragt Lippestad mit Blick auf das 1500-seitige Pamphlet 2083, das Breivik in der Zeit nach 2006 verfasste und an diverse Medienhäuser versandte.

Lippestad, der zu Beginn des Prozesses wegen der betont selbstbewussten Darstellung seines Teams in die Kritik geraten war, unterstreicht seine Worte mit entschlossenen Gesten. Breivik sitzt direkt neben Lippestads Rednerpult, konstant im Blick der TV-Kameras und doch reduziert auf eine Nebenrolle. Zu seiner Linken beobachtet Vibeke Heim Baera ihren Kollegen, macht sich hin und wieder Notizen. Der Verteidiger spricht über Breiviks Verständnis vom "Krieg" gegen das, was er "islamische Invasion" nennt, argumentiert, der Begriff sei nicht Beleg für seine Verwirrungen, sondern übliches Vokabular im rechtsextremen Milieu. "Breivik entschied sich, zu töten. Das ist es, was Terroristen tun." Der Angeklagte selbst hat im Prozess einmal gesagt, wäre er ein islamistischer Terrorist, würde niemand nach seiner Zurechnungsfähigkeit fragen.

Freispruch oder eine "möglichst milde Gefängnisstrafe": Diese Forderung steht am Ende von Lippestads Plädoyer. Freispruch, weil Breivik behauptet in Nothilfe gehandelt zu haben. Sein Verteidiger selbst sieht diese Maximalforderung jedoch offenbar nur als Formalie an. Beinahe vergisst er, sie zu erwähnen. "Plädieren Sie nicht mehr auf Freispruch", muss Richterin Artzen den Anwalt fragen. "Doch, doch", antwortet Lippestad. Er weiß, dass diese Forderung völlig utopisch ist. Und Breivik selbst weiß es wohl auch.

Nach dem Plädoyer der Verteidigung sollen noch einmal Opfer und Hinterbliebene zu Wort kommen. Das endgültige Schlusswort bleibt dem Angeklagten überlassen. "Ausnahmetaten brauchen keine Ausnahmegesetze", heißt es in einer Analyse dieses mustergültigen Prozesses. Der Ablauf folge den Regeln des Rechtsstaats wie in jedem anderen Prozess. Doch gezwungen werden, zuzuhören, können die Prozessbeobachter nicht. Opfervertreter haben bereits angekündigt, den Saal während Breiviks Erklärung demonstrativ zu verlassen.

Staatsanwaltschaft: Im Zweifel für die Unzurechnungsfähigkeit

Staatsanwältin Engh und ihr Kollege Svein Holden hatten am Donnerstagnachmittag darauf plädiert, den 33-jährigen Angeklagten in einer psychiatrischen Einrichtung unterzubringen. Holden ließ sich zwei Stunden Zeit, um den Zuhörern im vollbesetzten Gerichtssaal darzulegen, wie die Anklagevertreter zu diesem Schluss gekommen seien. Man sei sich nicht sicher, sagte Holden, dass Breivik tatsächlich psychotisch sei, aber an seiner geistigen Gesundheit blieben zu viele Zweifel. Im Zweifel für die Unzurechnungsfähigkeit.

Breivik selbst hatte von Beginn auf daran gepocht, bei klaren Sinnen zu sein, hatte in einer provokanten Äußerung gar darauf gedrungen, die Todesstrafe wieder einzuführen. In den Augen des Islamhassers wäre eine Hinrichtung wohl die Krönung seiner Tempelritter-Fantasien über die Rettung Norwegens und Europas, die langersehnte Würdigung als Märtyrer. Für den Angeklagten wäre es nach eigener Aussage die schlimmere Strafe, wenn er als psychotisch eingestuft und in die Psychiatrie eingewiesen würde.

Mit ihrer Forderung stellte sich die Staatsanwaltschaft nicht nur gegen das Plädoyer der Verteidung, sondern auch gegen die Mehrheitsmeinung in Norwegen - etwa drei Viertel sprachen sich in einer Umfrage von Donnerstag dafür aus, Breivik für zurechnungsfähig zu erklären. Doch das in den Medien zum Teil scharf kritisierte Plädoyer ruft auch andere Bedenken wach: Die liberale dänische Tageszeitung Politiken kommentierte am Freitag: "Für Norwegen kann es zu einem unglückseligen Trauma werden, wenn das Gericht dem Plädoyer der Staatsanwaltschaft folgt. Denn die Psychose-Diagnose wird Reflexionen zu den wichtigen Themen überschatten, die dieses Verfahren ans Licht gebracht hat: Rechtsextremismus, gewaltgeprägte Computerspiele, soziale Isolation, die moderne Rolle des Mannes, Verlassenheit in der Kindheit."

Das Urteil des Gerichts wird für den 20. Juli oder für den 22. August erwartet.

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