Brasilien:Gottes Werk und Teufels Beitrag

Die brasilianische Predigerin Flordelis dos Santos

Geboren in einem Slum in Rio de Janeiro, wurde die Brasilianerin Flordelis dos Santos de Souza reich und berühmt. Nun ist sie zu 50 Jahren Gefängnis verurteilt worden.

(Foto: Ellan Lustosa/dpa)

In Brasilien endet ein aufsehenerregender Gerichtsprozess: Eine Politikerin und Predigerin muss in Haft, weil sie ihre Kinder angestiftet hat, den Vater und Ehemann zu ermorden.

Von Christoph Gurk, Buenos Aires

Der Absturz von Flordelis dos Santos de Souza ist auch deshalb so beispiellos, weil ihr Aufstieg zuvor so steil war. Geboren in einem Slum in Rio de Janeiro, wurde die Brasilianerin zum Oberhaupt eines evangelikalen Kirchenimperiums, zur landesweit bekannten Gospel-Sängerin und erfolgreichen Abgeordneten, reich und berühmt, Mutter von mindestens 50 Kindern, die meisten davon adoptiert. Nun aber muss die 61-Jährige ins Gefängnis, verurteilt zu mehr als 50 Jahren Haft, weil sie ihren Ehemann ermordet haben soll, mit Hilfe mehrerer ihrer Kinder. Am Sonntag wurde das Urteil verlesen, und damit endet auch ein Prozess, der Brasilien über Jahre in Atem gehalten hatte.

Alles beginnt am 16. Juni 2019. In Niteroi, einer Stadt auf der anderen Seite von Rio de Janeiros Guanabara-Bucht, wird im frühen Morgengrauen ein Mann in ein exklusives Privatkrankenhaus eingeliefert: Anderson do Carmo de Souza, 42 Jahre alt, hat mehrere schwere Schussverletzungen, an denen er kurz darauf stirbt. Seine Frau, Flordelis dos Santos de Souza, erklärt, ihr Mann sei Opfer von Einbrechern geworden. "Wir sind ausgegangen, haben die Nacht genossen, es war unglaublich, wunderschön", sagt sie zu Reportern. Kaum zu Hause, habe sie dann aber Schüsse aus der Garage gehört.

Schnell macht der Mord Schlagzeilen. Flordelis dos Santos de Souza ist damals schon landesweit als Flordelis bekannt: Erst wenige Monate zuvor hat sie ihr Amt als Abgeordnete einer rechten Partei angetreten, dazu singt man im ganzen Land in evangelikalen Kirchen ihre Lieder. Ihr Privatleben ist immer wieder Gegenstand von meist schnulzigen TV-Berichten und sie selbst gern gesehener Gast in Talkshows.

Flordelis geht zusammen mit anderen Gläubigen auf die Straße, versucht, Dealer wieder zurückzubringen auf den rechten Weg

Die Brasilianerin stammt aus einem Slum im Norden von Rio de Janeiro. Als sie 15 Jahre alt ist, stirbt ihr Vater bei einem Autounfall. Flordelis und ihre Mutter flüchten sich daraufhin in die Religion, veranstalten Messen bei sich zu Hause, die Mutter predigt, Flordelis singt. Damals, in den 80er- und 90er-Jahren, rutschen viele Armenviertel in Rio de Janeiro in Ganggewalt ab. Flordelis geht zusammen mit anderen Gläubigen auf die Straße, versucht, Dealer wieder zurückzubringen auf den rechten Weg. Dazu nimmt sie Teenager und Kinder auf, die Opfer von Armut und Gewalt geworden sind, immer voller wird das kleine Haus, in dem sie gemeinsam leben, sogar unter dem Küchentisch schlafen Kinder.

Bald kommt das Fernsehen, zahllose Zeitungsberichte folgen, gleichzeitig beginnt Flordelis eine Beziehung mit einem der Jugendlichen in ihrem Haus, ebenjenem Anderson do Carmo de Souza, der später ihr Ehemann werden sollte. 15 Jahre alt ist er, als sie sich kennenlernen, Flordelis schon 31.

In den folgenden Jahren wächst die Familie ebenso wie Flordelis' Ruhm. Ein Plattenlabel wird aufmerksam und produziert Lieder mit ihr. Sie handeln von Flordelis' Leben und ihrem tiefen Glauben an Gott und sie treffen einen Nerv in Brasilien, einem Land, in dem in den letzten Jahrzehnten die soziale Ungleichheit fast ebenso schnell gewachsen ist wie die Zahl der evangelikalen Kirchen, mehr Wirtschaftsimperium als Gotteshaus.

Flordelis soll schon lange geplant haben, ihren Mann zu ermorden, erst mit Gift, dann mit einem Auftragsmörder, schließlich mit Hilfe ihrer Kinder

Flordelis betreibt am Ende selbst mehr als ein halbes Dutzend von ihnen und wird reich damit, dazu beginnt sie die politische Karriere, vom Slum ins Parlament, ein märchenhafter Aufstieg, doch dann kommen der Mord an ihrem Mann und kurz darauf die Zweifel an Flordelis' Version der Tat.

Schnell nimmt die Polizei zwei ihrer Söhne fest, sie gestehen den Mord, und bald gerät auch Flordelis in den Fokus der Ermittlungen. Sie, so der Vorwurf, soll schon lange geplant haben, ihren Mann zu ermorden, erst mit Gift, dann mit einem Auftragsmörder und schließlich mit Hilfe ihrer Kinder. Sie selbst streitet alles ab, spricht davon, dass ihre Gegner den Tod ihres Mannes nutzen würden, um sie, die schwarze Frau aus dem Slum, auszuschalten. Das Gericht sieht es anders: Flordelis habe den Mord geplant, erklärte es am Sonntag bei der Urteilsverkündung, "weil das Opfer die Familienfinanzen kontrollierte und sich weigerte, die Freunde der ehemaligen Abgeordneten bevorzugt zu behandeln".

Mehrere Söhne und eine Tochter waren schon zuvor zu langen Haftstrafen verurteilt worden. Flordelis selbst muss nun 50 Jahre und 28 Tage ins Gefängnis. Die Verteidigung hat angekündigt, in Berufung zu gehen.

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