Brasilien:Verschollen im Dschungel

Brasilien: Der britische Journalist Dom Phillips, hier bei einer Urwald-Tour im November 2019, gilt seit Sonntag als vermisst, ebenso wie sein Begleiter Bruno Araújo Pereira.

Der britische Journalist Dom Phillips, hier bei einer Urwald-Tour im November 2019, gilt seit Sonntag als vermisst, ebenso wie sein Begleiter Bruno Araújo Pereira.

(Foto: Joao Laet/AFP)

Ein britischer Journalist und ein Experte für indigene Gruppen verschwinden unter rätselhaften Umständen tief im Amazonas. Die Sorge ist groß - und dabei geht es weniger um gefährliche Tiere, sondern eher um skrupellose Kriminelle.

Von Christoph Gurk, Buenos Aires

Eigentlich hatten Dom Phillips und Bruno Araújo Pereira an alles gedacht. Als sie am Sonntagmorgen zum letzten Mal gesehen wurden, waren sie in einem neuen Boot unterwegs, vollgetankt und ausgestattet mit einem starken Motor. Dazu hatten die beiden Männer auch noch mehrere Kanister Benzin dabei, mehr als genug für den Weg, der vor ihnen lag, so schreibt es eine lokale Organisation, mit der die beiden Männer zusammengearbeitet hatten.

Phillips und Araújo waren unterwegs im Vale do Javari, tief im brasilianischen Amazonas. Das Indigenen-Gebiet umfasst eine Fläche, die größer ist als die von ganz Österreich. Zehntausende Quadratkilometer fast unberührter Wald, es gibt so gut wie keine Straßen, und es leben auch nur ein paar Tausend Menschen in der Region. Sie gehören indigenen Gemeinschaften an, die teilweise isoliert von der Außenwelt leben oder sogar als "unkontaktiert" gelten: Die Wissenschaft kennt nicht einmal die Namen ihrer Stämme, allein ein paar seltene Luftaufnahmen von Siedlungen zeugen von ihrer Existenz.

Das Vale do Javari ist einer der letzten vom Menschen fast unberührten Flecken dieser Erde, ein Naturjuwel, aber auch kein ungefährlicher Ort, das wussten Dom Phillips und Bruno Araújo. Phillips, ein britischer Journalist, lebt seit Jahren in Brasilien. Er hat für die New York Times geschrieben und zuletzt vor allem für die englische Zeitung The Guardian. Immer wieder ging es dabei auch um den Amazonas, Phillips hatte bereits in der Vergangenheit Reisen tief in das Herz des Vale do Javari unternommen. Diesmal, so der Guardian, war er für ein Buchprojekt unterwegs. Bruno Araújo wiederum gilt als einer der renommiertesten Experten für indigene Völker in Brasilien, mit viel Erfahrung und Kenntnis der Region.

Brasilien: Das Vale do Javari im Grenzgebiet zu Kolumbien und Peru gilt als unberührtes Naturjuwel - und als Route für Drogenschmuggler.

Das Vale do Javari im Grenzgebiet zu Kolumbien und Peru gilt als unberührtes Naturjuwel - und als Route für Drogenschmuggler.

(Foto: Fabiano Maisonnave/AP)

Umso größer ist nun die Sorge um Phillips und Araújo, die bisher nicht zurückgekehrt sind. Seit Sonntagmorgen gelten die beiden als vermisst. Lokale Suchtrupps durchkämmen das Gebiet, mittlerweile haben auch Behörden begonnen zu helfen, mit Booten und nun wohl auch einem Helikopter. All dies sei noch nicht genug, sagt Phillips' brasilianische Frau: "Im Wald zählt jede Sekunde", schreibt sie in einem über Social Media verbreiteten Appell. "Jede Sekunde könnte entscheiden über Leben und Tod."

Die größte Sorge sind dabei nicht die natürlichen Gefahren der Wildnis, gefährliche Tiere, umstürzende Bäume. Es geht vielmehr um vom Menschen gemachtes Leid, um Habgier und Neid. Denn so abgeschieden das Vale do Javari auch sein mag, so sehr ist in den vergangenen Jahren doch auch der Druck durch Jäger und Goldsucher gestiegen, die immer tiefer eindringen in den Wald auf der Suche nach Reichtümern. Dazu kommen Drogenhändler, die das strategisch günstig gelegene Gebiet an der Grenze zu Peru und Kolumbien als Schmuggelroute entdeckt haben.

War die Situation schon zuvor angespannt, hat sie sich unter der Regierung Bolsonaro noch einmal verschärft. Schutzbehörden wurde Budget und Personal zusammengekürzt, Umweltsünder müssen sich kaum noch fürchten vor Verfolgung oder gar Strafen. Viehzüchter brennen Urwaldriesen nieder, um ihre Rinder später auf dem über der Asche gewachsenen Gras weiden zu lassen. Goldsucher fahren mit Booten immer weiter die Flüsse hinauf oder graben mit teils schwerem Gerät den Boden auf und verschmutzen das Grundwasser mit Quecksilber.

Indigene Gruppen kämpfen um ihr Land

Indigene Gruppen wehren sich dagegen mit eigenen Patrouillen, so auch im Vale do Javari. Immer öfter werden sie deswegen bedroht, und auch Bruno Araújo soll schon mehrmals ins Visier von Kriminellen geraten sein. Die Sorge ist nun, dass der Indigenen-Experte und der britische Journalist einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen sein könnten. Sie standen Goldsuchern oder Drogenschmugglern im Weg - also mussten sie verschwinden.

Die brasilianische Presse berichtet umfassend über die Suche nach den beiden Männern, längst ist der Fall aber auch zu einem Politikum geworden. Für Teile der brasilianischen Öffentlichkeit ist das Verschwinden von Phillips und Araújo ein weiterer Beweis für den Verfall von Rechtsstaatlichkeit im Amazonas und das gnadenlose Vorrücken von Kriminellen in dem Gebiet. Laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters wurden am Mittwoch mehrere örtliche Fischer vernommen, die die beiden Vermissten möglicherweise kurz vor ihrem Verschwinden noch gesehen haben. Die meisten seien als Zeugen befragt worden, ein Mann gelte als Verdächtiger; Festnahmen habe es aber nicht gegeben.

Präsident Jair Bolsonaro sprach laut Medienberichten wenig mitfühlend von einem "Abenteuer": "Zwei Personen auf einem Boot, in einer so wilden Region: Das ist nicht zu empfehlen. Da könnte wirklich alles passieren." Sein Gegenkandidat bei den Präsidentschaftswahlen im Oktober, Luiz Inácio Lula da Silva, erklärte seine Anteilnahme. Er kenne Phillips von einem Interview, schrieb der Ex-Präsident und Politiker der linken Arbeiterpartei auf Twitter: "Ich hoffe, sie werden bald gefunden und sind wohlauf."

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