Brasilien:Dein Chauffeur, die Mafia

Brasilien: Ein junges Paar auf einem Moped in Rio.

Ein junges Paar auf einem Moped in Rio.

(Foto: AFP)

Bewohner einer Favela in Rio de Janeiro können sich neuerdings via App mit einem neuen Fahrdienst befördern lassen. Doch dahinter stecken wohl Milizen. Deren Verhalten ist brutal.

Von Christoph Gurk

Rio das Pedras ist ein Armenviertel im Südwesten von Rio de Janeiro. Tausende kleine Häuschen, die sich an grüne Hügel schmiegen, unverputzte Ziegel und Wellblechdächer, und immerhin: Rio das Pedras hat einige asphaltierte Straßen und eine Kanalisation.

Es gibt bessere, aber auch schlimmere Viertel in der Stadt, aber leider gibt es in Rio das Pedras so gut wie keine Verbindung zum öffentlichen Nahverkehr. Dazu kommt: Taxifahrer scheuen die Gegend, und der sonst in Brasilien extrem populäre Fahrdienst Uber blockiert Anfragen aus der Gegend oft ganz. Das Unternehmen setzt in Brasilien einen selbstlernenden Algorithmus ein, der angeblich in Echtzeit Gefahrenzonen erkennen kann. Sicherheit geht vor. Den Nachteil haben die Bewohner von Rios Armenvierteln.

Weil es an Alternativen mangelte, behalfen sich die Bewohner von Rio das Pedras lange mit einer Whatsapp-Gruppe. Mitglieder konnten angeben, wo sie hinwollten. Fahrer kleiner Motorradtaxis oder Autos konnten sich dann melden und einen Preis anbieten. Das war alles natürlich etwas unübersichtlich und auch unpraktisch, doch dann startete im März RP Driver, ein Fahrdienst für die Bewohner von Rio das Pedras, mit eigener App, erhältlich für alle Handys mit Android-Betriebssystem. Alles scheint ganz einfach zu sein: Anwendung auf das Mobiltelefon laden, dann registrieren, mit Name, E-Mail, Telefonnummer. Danach kann man laut Unternehmen auf einer Karte die verschiedenen Fahrer sehen, den nächsten direkt anschreiben und nach der Fahrt auch noch bewerten.

Es scheint, als wolle sich RP Driver unliebsamer Konkurrenz entledigen

Über 5000 Mal wurde RP Driver im Google Play Store schon heruntergeladen, eine Erfolgsgeschichte aus der Favela, könnte man nun sagen, allein: Die Behörden in Rio sind nicht begeistert. Denn eine Lizenz hat RP Driver nicht. Und noch dazu vermutet die Polizei, dass hinter der Anwendung niemand Geringerer steckt als eine milícia, eine Miliz also. Die Einwohner von Rio de Janeiro bezeichnen so jene mafiösen Kommandos ehemaliger Polizisten, Soldaten und Wachleute. Einst gebildet, um die Drogenbanden aus den Vierteln zu vertreiben, blieben die Milizen nach getaner Arbeit einfach da, um von nun an selbst die illegalen Geschäfte zu übernehmen. Von Ladenbesitzern kassieren sie Schutzgelder, von Lieferunternehmen Wegzoll, und wer als Fahrer in ihrem Viertel arbeiten will, muss ebenfalls einen Teil seiner Einkünfte abdrücken.

Dass eine Miliz auch an den neuen, digitalen Fahrdiensten mitverdienen will, ist insofern nicht überraschend. Die technische Umsetzung verblüfft aber sogar Experten. "Wenn das so weitergeht, dann machen die bald eine Universität mit Kursen in krimineller Geschäftsführung auf", sagte José Claudio Souza Alves, Soziologieprofessor an der staatlichen Universität Rural do Rio de Janeiro, der brasilianischen Zeitung Folha de São Paulo.

Doch trotz aller technischer Raffinesse scheint das Geschäftsgebaren der Betreiber von RP Driver durchaus handfest bis sogar brutal zu sein. Bewohner von Rio das Pedras berichten, dass Fahrer anderer Dienste seit dem Start immer wieder bedroht werden, wenn sie Passagiere in dem Viertel absetzen oder abholen. Es scheint so, als wolle sich RP Driver unliebsamer Konkurrenz entledigen. Tragischerweise geht dies am Ende wieder auf Kosten der Kunden aus dem Viertel: Sie haben nun zwar eine eigene Fahrdienstapp, eine Wahl aber, welchen Dienst sie am Ende nutzen wollen, haben sie nicht mehr.

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