Brand in London:"Gegen so einen Brand ist die beste Feuerwehr der Welt machtlos"

Flames and smoke billow as firefighters deal with a serious fire in the Grenfell Tower apartment block at Latimer Road in West London

"Es herrschen Temperaturen von 700 bis 800 Grad Celsius": Die Feuerwehr konnte bei dem Brand in London wenig ausrichten.

(Foto: Toby Melville/Reuters)

Der Leiter der Frankfurter Feuerwehr erklärt, was den Brand in London so verheerend machte - und warum etwas Vergleichbares in Deutschland nicht vorstellbar ist.

Interview von Felicitas Kock

Mindestens siebzehn Menschen sind beim Brand eines Hochhauses im Londoner Westen ums Leben gekommen. Da noch zahlreiche Bewohner vermisst werden, rechnen die Einsatzkräfte mit vielen weiteren Toten. Überlebende berichten, dass sich das Feuer binnen Minuten über das ganze Gebäude ausbreitete. Reinhard Ries ist der Direktor der Branddirektion Frankfurt am Main. Er erklärt, warum es eine Feuersbrunst in einem Hochhaus wie in London hierzulande nicht geben wird - und wie man sich richtig verhält, wenn es brennt.

SZ: Wie kann sich so ein riesiges Feuer überhaupt so schnell entwickeln?

Reinhard Ries: Wir können von hier aus nur Vermutungen anstellen. Aber wir haben den Grundriss des Gebäudes gesehen und die Bilder analysiert. Daraus lässt sich ziemlich eindeutig erkennen, dass sich das Feuer über die Fassade ausgebreitet hat. Der Brand ist nach bisherigen Informationen in einem der unteren Stockwerke ausgebrochen, wo Gewerberäume liegen und nachts keine Menschen sind - dann fällt das erst mal niemandem auf. Sobald das Feuer die Fassade erreichte, breitete es sich blitzschnell aus.

Die Feuerwehr war in London wenige Minuten nach dem ersten Notruf am Brandort. Es wirkte aber, als hätten die Einsatzkräfte nur wenig ausrichten können.

Gegen so einen Brand ist die beste Feuerwehr der Welt machtlos. In Frankfurt hat im Jahr 2012 ein mehrstöckiges Gebäude gebrannt. Da stand die Fassade innerhalb von fünf Minuten in Vollbrand, es herrschen Temperaturen von 700 bis 800 Grad Celsius. Die Bilder aus London erzählen eine ähnliche Geschichte. Da kann man als Feuerwehr nicht mehr viel ausrichten, sondern muss versuchen, im Bereich des Möglichen Menschen zu retten.

Es heißt, die Einsatzkräfte hätten nur bis zum 13. Stock evakuiert. Versucht man nicht erst, ganz nach oben zu kommen?

Ich denke, den Kollegen in London war klar, dass sie keine Sekunde zu verlieren haben und dass sie schnell die Leute nach draußen bringen müssen, die sie rausholen können. Wahrscheinlich sind ihnen auf der engen Treppe so viele Menschen entgegengelaufen, dass sie gar nicht weiter gekommen sind. Bei einem normalen Wohnungsbrand in einem Hochhaus ist das anders. Da fahren die Einsatzkräfte mit dem Feuerwehraufzug bis unter die Etage, in der es brennt. Dann gehen sie über das Treppenhaus das letzte Stockwerk nach oben und evakuieren zunächst in der Brandetage. Dann die Etagen darüber, weil das Feuer sich natürlich nach oben ausbreitet, nicht nach unten.

So war das auch bei dem Brand in einem Karlsruher Hochhaus am Dienstag?

Genau. Schrecklicherweise sind auch hier zwei Menschen ums Leben gekommen und mehrere haben Rauchgasvergiftungen erlitten. Aber wäre die Fassade beschaffen gewesen wie in London, hätte alles viel schimmer ausgesehen.

Was unterscheidet die beiden Fassaden?

In Deutschland gelten für Hochhäuser - also Häuser deren oberster Fußboden höher liegt als 22 Meter - besondere Regeln. Die Fassaden dürfen nicht aus brennbarem Material bestehen. Das ist teuer, aber diese Vorgabe gibt es hierzulande schon seit den Achtzigerjahren und wir Feuerwehrchefs kämpfen sehr dafür, dass sie weiter bestehen bleibt.

Wie sieht das sonst im Ausland aus?

Die meisten anderen Länder haben sich davon lange verabschiedet. Die haben immer über uns gelacht und über unsere strengen, kostspieligen Regeln. Ich glaube, jetzt lachen sie nicht mehr. Im Rest Europas, in Asien, in Russland, überall auf der Welt entstehen immer neue Wolkenkratzer, deren Außenwände lichterloh in Flammen aufgehen, sobald sie einmal Feuer gefangen haben. Sie erinnern sich vielleicht an den Hochhausbrand in Dubai an Silvester? Auch hier war die Fassade schuld.

Was macht so eine Fassade besonders anfällig für Feuer?

Wir wissen mittlerweile, dass auf der Außenwand des Londoner Hochhauses eine brennbare Wärmedämmung angebracht war. Darauf waren Metallpaneele befestigt, wahrscheinlich mit Dübeln und Schrauben, so dass dazwischen ein Abstand blieb, in dem Luft zirkulieren konnte. Sowas funktioniert, sobald es sich entzündet, wie ein Kaminofen.

Und in Deutschland wäre so etwas nicht denkbar?

Bei Hochhäusern wohl kaum, sofern die seit den Achtzigern geltenden Vorschriften eingehalten wurden. Das liegt nicht nur an den Fassaden. Hierzulande sind bei Hochhäusern auch feuersichere Treppenhäuser Vorschrift, ab einer bestimmten Höhe sogar ein zweites Treppenhaus sowie ein Feuerwehraufzug mit eigener Belüftung und eigenem Notstrom. Ab 60 Metern ist in jedem Raum eine Sprinkleranlage Pflicht. Und die Gebäude müssen regelmäßig besichtigt werden. All sowas gibt es in anderen Ländern nicht.

Welche Regeln gelten denn für niedrigere Gebäude?

Wir Feuerwehren finden das nicht gut, aber: Bei Häusern, die nicht die Hochhausgrenze erreichen, wird auch in Deutschland fleißig brennbares Fassadenmaterial verbaut. Eine starke Wärmedämmung wird politisch sehr unterstützt. Deswegen haben das jetzt alle. Es gibt natürlich auch Dämmmaterial, das nicht brennt, aber das ist eben teurer und das will sich kaum einer leisten. Diese Haltung führt dann auch hierzulande zu Bränden, bei denen wir Feuerwehren regelmäßig an die Belastungsgrenze geraten.

Was macht man, wenn man merkt, dass es irgendwo im Haus brennt?

Als erstes schauen Sie, ob Sie irgendwie rauskommen. Wenn das nicht geht oder Sie sich nicht sicher sind, rufen Sie sofort die Feuerwehr. Sie geben durch, wo Sie sich mit wie vielen Menschen aufhalten, dann beginnen die eintreffenden Einsatzkräfte mit der Rettung oder entscheiden, ob sie drin bleiben müssen. Wenn Sie drin bleiben müssen, ist das noch lange kein Weltuntergang. So eine Wohnungstür hält Rauch und Feuer schon eine Weile ab. Sie können gegen Rauch zusätzlich ein nasses Handtuch unten an die Tür legen. Innerhalb der Wohnung sollten Sie sich nicht verstecken. Bleiben Sie wenn möglich am Fenster, sodass die Feuerwehr Sie wahrnimmt. Wenn von draußen kein Rauch durchs Fenster dringt, öffnen Sie es und machen sich immer wieder bemerkbar. All das gilt für einen normalen Wohnungsbrand. Wenn die Sache dermaßen aus dem Ruder läuft wie in London, versuchen Sie, bloß irgendwie aus dem Ding rauszukommen.

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