Bosnischer Schauspieler Nazif Mujić:Der Filmpreisträger aus dem Flüchtlingsheim

Bosnischer Schauspieler Nazif Mujić: Nazif Mujić vor seinem Haus in seiner bosnischen Heimat

Nazif Mujić vor seinem Haus in seiner bosnischen Heimat

(Foto: AFP)

Auf der Berlinale hat der bosnische Schrottsammler Nazif Mujić 2013 den Preis als bester Darsteller gewonnen. Die Hauptstadt hat ihm gefallen. Heute lebt er hier mit seiner Familie - im Flüchtlingsheim.

Von Charlotte Theile

"100 Euro. 100 Euro, 100 Euro!" Šemsa Mujić, acht Jahre alt, rosa Leggins, pinker Lippenstift, springt singend um den Besuch herum. Ihre Eltern, Nazif Mujić und seine Frau Senada Alimanović, lächeln müde. Ihrer Tochter das Betteln zu verbieten, kommt ihnen nicht in den Sinn. Später, als Mujić für die Kameras der herbeigeeilten Fernsehjournalisten den Silbernen Bären aus dem Schrank holt, auf den sein Name und die Worte "Bester Darsteller" eingraviert sind, ist seine erste Frage: "Was zahlt ihr mir dafür?" Die Antwort ist immer die Gleiche: Nichts.

Mujić zuckt mit den Schultern, eigentlich weiß er ja, wie das läuft. Alle wollen seine Geschichte, diese anrührende Geschichte von bitterer Armut, bürokratischer Gleichgültigkeit und einem nicht zu bändigenden Willen, seine Familie aus dem Elend zu holen. Doch für diese Geschichte bezahlen, vielleicht sogar so viel, dass er und seine Familie nicht mehr im Elend leben müssen: Das will niemand.

Begonnen hat die Geschichte 2011 mit einer Zeitungsnotiz, die Danis Tanović in die Hände fiel. Tanović ist ein bosnischer Regisseur, der 2002 mit "No Man's Land" so ziemlich alle Preise, die das Filmbusiness zu bieten hat, gewann - unter anderem den Oscar. Die Zeitungsnotiz: Eine Roma-Frau sei fast gestorben, weil sich die Ärzte weigerten, das tote Kind, das sie nach einer verunglückten Schwangerschaft in sich trug, herauszuschaben. Krankenversichert war die Frau nicht. Dass sie die lebensnotwendige Operation dennoch bekam, gelang nur mit ein paar Tricks und der Versicherungskarte einer Verwandten. Tanović suchte nach der Familie. Er fand: Nazif Mujić, Anfang 40, Metallsammler aus der Roma-Siedlung Svatovac, der alles dafür getan hätte, dass seine zehn Jahre jüngere Frau Senada überlebt. Mujić lebte mit ihr und seinen zwei Töchtern, Šemsa und Sandra, in einem baufälligen Haus am Ende einer Schotterpiste. Tag für Tag streifte er auf der Suche nach Altmetall durch die Landschaft, hackte Autos mit einer Axt klein und brachte die Einzelteile mit einem wackligen Kinderwagen zum Schrotthändler.

In "An Episode in the Life of an Iron Picker" ("Aus dem Leben eines Schrottsammlers") lässt Tanović die Familie ihre Geschichte nachspielen - alle, bis auf die Ärzte, spielen sich selbst. Wahrheitskino wird dieses Format genannt. Alltagsdrama. Die Zeitungen schrieben von "Authentizität, Unmittelbarkeit, emotionaler Nähe", die der Film auslöst. Die Berlinale kürte das 17.000 Euro günstige Werk vor einem Jahr mit dem Großen Jurypreis. Und Nazif Mujić erhielt für die Rolle seines Lebens den Preis als bester Darsteller. Seine Hoffnung, dass nun alles besser wird, erfüllte sich allerdings nicht.

Als die Leute im Dorf sehen, dass er wieder Schrott sammelt, lachen sie ihn aus

Die 1350 Euro Schauspielgage sind schnell aufgebraucht. In seinem Dorf in Bosnien aber gehen alle davon aus, dass er nun reich ist. Als sie sehen, dass er wieder Schrott sammelt, die Straße reinigt, versucht, sich mit den dreckigsten, schwersten Arbeiten über Wasser zu halten, lachen sie ihn aus. Fotografieren ihn, stellen Videos auf Youtube. "Seht her, da ist er, der beste Schauspieler des Jahres!"

Nazif Mujić hat immer noch seinen schwarzen Anzug, sorgsam gehütet in der Huber-Land-Exclusive-Hülle, seinen Silbernen Bären und seine Erinnerungen an Berlin, die Stadt, in der es ihm so gut gegangen ist. In der er gefeiert wurde, im Hotel schlief, gutes Essen bekam. Und er denkt an Danis, den Regisseur, nach dem er seinen jüngsten Sohn benannt hat, der nun weiter Filme dreht, Preise gewinnt, um die Welt reist. An Thomas, den Programmdirektor der Berlinale, mit dem er sich so gut verstanden hat.

Armut ist kein Asylgrund

Berlin. Danis. Thomas. Mit diesen Strohhalmen in der Hand reist er nach Deutschland. Seine älteste Tochter Šemsa, ein aufgewecktes, lustiges Mädchen, nimmt er dafür aus der Schule. Er beantragt Asyl, wie so viele andere Roma aus Bosnien, die nun in deutschen Flüchtlingsheimen den Winter verbringen. Sein Antrag wird abgelehnt, wie alle Anträge von bosnischen Roma. Armut ist kein Asylgrund. Am 9. März 2014 muss Mujić wieder in Bosnien sein.

Doch dann, ein paar Tage vor der Berlinale und etwa zwei Monate nachdem Mujić in das ehemalige Altersheim in Berlin Spandau gezogen ist, werden die Medien auf ihn aufmerksam. Was für eine Geschichte! Der Schauspieler des Jahres 2013 lebt mit seinem Bären und seiner Familie in einem knapp 30 Quadratmeter großen Zimmer an der Havel. Bekommt morgens, mittags, abends Salami-Brote zu essen, dazu ein Taschengeld, von dem er Zigaretten, Cola, Chips und Hähnchenschenkel kauft.

Der Berlinale-Programmdirektor wird gefragt, ob er nicht hätte wissen müssen, wie diese Geschichte ausgeht

Er sagt, er erhebt keine Vorwürfe gegen Danis Tanović, und dann blickt er direkt in die Kamera: "Ich möchte nur, dass er weiß, dass es mir noch viel schlechter geht als vor dem Film." Also, in Bosnien. Hier, im Wald vor Berlin, sei es "60 Mal besser." Er würde alles dafür geben, seine bosnische Armut gegen die deutsche Hartz-IV-Armut einzutauschen. Nur wollen das alle hier. In dem Heim leben viele Roma aus Bosnien. Sie alle leiden unter bitterer Armut, sie alle würden "jeden Job machen", Straßen fegen, Toiletten putzen, als Hilfsarbeiter in der Großschlachterei schuften. Es geht aber nicht.

Thomas Hailer, Nazifs Thomas, ist verzweifelt. Der Programm-Manager der Berlinale unterstützt die Initiative Pro-Asyl. Und er weiß, wie sehr Roma in Bosnien unter Ausgrenzung und Armut leiden. Doch die Berlinale könne nicht einfach, wie es einige fordern, einen Hausmeister-Job für Mujić schaffen. Die Berlinale beschäftigt keine Hausmeister, sie ist eine Kulturveranstaltung, mit öffentlichem Geld finanziert. Sie kann sich nicht über einen abgelehnten Asylantrag hinwegsetzen. Vor einigen Tagen haben sie eine Anwältin für Mujić engagiert, der nach einer Rückenverletzung kaum noch arbeiten kann. In der Zeitung steht, Hailer habe eine schwarze Limousine geschickt. Das stimmt, natürlich stimmt das. "Wir haben einen Fahrer geschickt", sagt Hailer seufzend. "Beim nächsten Mal schicken wir ein senfgelbes Taxi, wenn das besser ist." Der Programmdirektor ärgert sich, dass alle auf die Berlinale zeigen, dass er sich fragen lassen muss, ob man nicht hätte wissen müssen, wie diese Geschichte ausgeht. Die Haltung der Berlinale ist klar: Sie haben den Film gesehen, er hat sie sehr berührt. Die Jury hat ihn ausgezeichnet. Was wäre denn besser gewesen? Den Film nicht beachten, damit Mujić keine Ansprüche erhebt?

Regisseur Tanović sagt, er habe für den Film kein Geld bekommen, fast das ganze Team habe auf Lohn verzichtet. Mujić bekam, alles in allem, ein paar tausend Euro. Ob das jetzt viel oder wenig ist: eine Frage der Perspektive. Eines, sagen die anderen Asylbewerber aus dem Altenheim an der Havel, habe Mujić auf jeden Fall geschafft: "Nun wissen viele Menschen, wie schlecht es uns in Bosnien geht." Gut möglich, dass das das Einzige bleibt, was Nazif Mujić erreichen wird.

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