Boris Becker :Insolvenz? War da was?

Boris Becker

Becker bleibt Becker, egal, wie groß der Schuldenberg ist.

(Foto: dpa)

Von Björn Finke, Gerald Kleffmann und Klaus Ott

Der Tag der Zäsur war ein sonniger Mittwoch. Am 21. Juni 2017 um 11.23 Uhr erklärte Christine Derrett am High Court of Justice in London Boris Franz Becker für pleite. Sie habe von ihm den Eindruck eines "Mannes, der den Kopf in den Sand steckt". Das Insolvenzverfahren trägt die Nummer 0000595.

Für den berühmtesten deutschen Tennisspieler war dieses Votum wie ein Stempel. Geschätzte 150 Millionen Euro an Vermögen weg? 25 Millionen Euro Preisgeld aus einer Karriere, die sechs Grand-Slam-Titel, darunter drei in Wimbledon hervorbrachte - verzehrt von einem Leben, das offenbar aus den Fugen geraten ist? Inzwischen ist das Rätsel Becker eher größer geworden, das zeigen auch die vielen Spekulationen über ihn. 61 Millionen Euro Schulden? Dschungelcamp? Verkauf der Pokale? Nun auch offiziell in Deutschland als insolvent verkündet? Längst nicht alles stimmt offenbar. Eine Annäherung an einen Fall, der sich zuspitzt.

Schulden vs. Vermögen

Becker wohnt seit Langem im Londoner Stadtteil Wimbledon - deshalb konnte ihn ein Gericht dort für insolvent erklären. Ausgelöst wurde der Fall durch die Privatbank Arbuthnot Latham & Co., die gegen Becker wegen eines ausstehenden Kredits vorging. 3,5 Millionen Euro, mit dieser Schuld fing es an. Er sei nicht pleite, verkündete Becker, alles laufe normal weiter. Wirklich? Der frühere Finanzvorstand des Metro-Konzerns, Hans-Dieter Cleven, verlangt die Rückzahlung von mehr als 40 Millionen Schweizer Franken. Gläubiger um Gläubiger reihte sich in London ein. Wie ein Insider der SZ bestätigt, soll die Liste auf bislang 14 angewachsen sein.

Zu Insolvenzverwaltern wurden Mitglieder der britischen Kanzlei Smith & Williamson ernannt. Die versuchen aufzudröseln, wie viel Schulden Beckers wie viel Vermögen gegenüberstehen, um die Gläubiger zu befriedigen. Die meisten sind Banken. Aber auch zwei Deutsche sind darunter, der Düsseldorfer Immobilienmanager Uwe Reppegather und der Kölner PR-Manager Sascha Rinne, zuletzt für Becker im Einsatz; Becker lässt sich nun von der Agentur Celebrity Network in Bühl betreuen. Zudem steht ein Finanzier aus England auf der Liste.

Beckers Berliner Medienanwalt Christian-Oliver Moser erklärte auf Anfrage der SZ, die öffentlich genannten Zahlen zu den angeblichen Außenständen seines Mandanten beruhten auf "einseitigen Angaben von Gläubigern gegenüber der Insolvenzbehörde". Es sei falsch, dass Becker mit mehr als 60 Millionen Euro im Minus stehe. Die Schulden seien "signifikant niedriger". Moser hatte schon vorher geäußert, die Behauptungen der Gläubiger würden einer "näheren rechtlichen Überprüfung größtenteils nicht standhalten".

In Deutschland kooperiert die britische Kanzlei Smith & Williamson mit einem Insolvenzfachmann, der in Beckers Heimat nach Vermögen fahndet. "Erfahre ich zum Beispiel von Honorarzahlungen, lasse ich diese pfänden", kündigt Jan Groß von der Kanzlei Ebner Stolz an. Bei Immobilien will Groß im Grundbuch einen Sperrvermerk eintragen lassen, damit diese nicht verkauft werden können. Die Insolvenz gelte europaweit, sagt Groß. Beckers Anwalt Moser betont, Zahlungen an Becker erfolgten auch "weiterhin an die Unternehmen unseres Mandanten". Es sei, anders als bisher in deutschen Medien berichtet, gerade nicht so, dass solche Gelder direkt an einen Treuhänder überwiesen werden müssten. Der britische Treuhänder kontrolliere aber die Anteile von Beckers Firmen und habe daher "Einfluss auf alle Zahlungen".

Becker vs. Cleven

Seit Langem wartet Cleven auf Geld von Becker. Oder einen Vorschlag, wie die beiden sich außergerichtlich einigen könnten. Solch ein Signal gebe es von Becker "leider gar nicht", sagt Clevens Anwalt Oliver Habke. Cleven, 74, geboren in Würzburg, aufgewachsen in Essen, ansässig in der Schweiz, ist einer der erfolgreichsten Manager aus Deutschland. Er hat den Handelsriesen Metro mitaufgebaut. Und später Gefallen an Becker gefunden, den er jahrelang beriet. Die beiden betrieben zusammen den Sportartikelhersteller Völkl. 2001 teilten sie mit, sie seien nun "Partner bezüglich aller geschäftlichen Projekte von Boris Becker". Sogar eine Becker-Cleven-Stiftung zum Wohle von Kindern folgte. Heute verklagt Cleven Becker in zweiter Instanz beim Obergericht des Kantons Zug auf zehn Millionen Schweizer Franken.

Cleven will erst einen Teil des geforderten Geldes erstreiten, dann den Rest. 41,8 Millionen Franken hat Becker dem Ex-Partner Ende 2014 geschuldet, laut dem Kantonsgericht in Zug. Dort hat Cleven in erster Instanz verloren. Im Kern bemängelten die Richter, dass die Darlehen nie formal gekündigt worden seien und Cleven selbst Becker einmal den 30. Juni 2018 als finale Frist zur Rückzahlung angeboten habe. Nun also die zweite Instanz, und die kann dauern. Mit einem Prozess ist erst im nächsten Jahr zu rechnen. Derweil wachsen Beckers Schulden bei Cleven nach Angaben von dessen Anwalt Habke um drei bis fünf Prozent pro Jahr. Das wären ein bis zwei Millionen Franken. Cleven hat Becker immer wieder zur Seite gestanden, mit Geld und noch mehr Geld, bis irgendwann Schluss war. Becker bestreitet die Forderungen. Seine Schweizer Anwälte wollen auch in zweiter Instanz beantragen, die Klage zurückzuweisen.

Von dem einstigen Partner ist dessen Gönner schwer enttäuscht, was er aber meist für sich behält, abgesehen von einem Interview im Sommer in Bild. Da berichtete er von einem letzten Versuch im März 2015, die Probleme ohne Öffentlichkeit zu lösen. Ansonsten lässt Cleven lieber seine Anwälte machen. Sollte der frühere Metro-Mann seine Forderungen eintreiben können, ob ganz oder teilweise, ob bei Gericht in der Schweiz oder beim Insolvenzverwalter in London, dann soll ein Großteil des Geldes Kindern zugutekommen, über die einstige Cleven-Becker-Stiftung, die seit 2012 nur noch nach Cleven benannt ist. Das Ziel der Stiftung: Kinder zu mehr Bewegung, zu einem "aktiven, gesunden Lebensstil" motivieren. Cleven selbst ist auch recht sportlich. Er fährt Ski, geht auf den Golfplatz. Und spielt Tennis.

Ibiza vs. Insolvenz

Ibiza vs. Insolvenz

Der 21. Juni 2018 könnte Beckers Befreiungstag werden. Vielleicht besitzt er dann nicht mehr viel. Teure Uhren, sein hochpreisiges Auto (Restwert offenbar 17 000 Euro), edles Mobiliar, angeblich auf 220 000 Euro geschätzt, wird er kaum behalten können. Fraglich ist auch, ob er sich die offenbar rund 35 000 Euro Miete in Wimbledon weiter zu leisten vermag. Aber dafür könnte er Mitte 2018 alle Rückstände los sein, die in England registriert sind.

Während das in Deutschland sechs Jahre dauert, erfolgt der Schuldenschnitt in England nach zwölf Monaten. "Das britische Recht ist schuldnerfreundlich", sagt Joachim Schulz. Der 55-Jährige berät mit der Firma Texxcor in Berlin Deutsche, die in Großbritannien pleitegingen. Das Insolvenzgericht in London kennt er bestens. Für Becker sei es Glück, dass er dort lebe. Für die Gläubiger? Pech. "95 Prozent erhalten in der Regel nichts", weiß Schulz. Und Becker? Den nimmt das britische Insolvenzrecht an die Leine. Solange er pleite ist, muss er das jedem sagen, der ihm mehr als 500 Pfund (560 Euro) leihen will.

"Als Erstes geben insolvente Schuldner meist ihre Kreditkarten ab", sagt Ade Daramy, Sprecher des Insolvency Service, der Behörde für Insolvenzen. Von ihrem Einkommen dürfen Pleitiers ein Jahr lang einen angemessenen Betrag für den Lebensunterhalt behalten. Aber was ist angemessen? Bei einst reichen Menschen "mit aufwendigem Lebensstil" könne das viel sein, sagt Daramy. "Ein Schuldner soll seine Ausgaben verringern, allerdings wird nicht erwartet, dass er wie ein Mönch lebt." Andererseits: "Gönnt sich der Schuldner zweimal im Monat ein Champagner-Frühstück, würde der Insolvenzverwalter schon auf Mäßigung dringen."

Den 21. Juni 2018 herbeisehnen, ist das Beckers Strategie? "Er lebt bewusst weiter wie bisher", sagt jemand, der ihn lange kennt. "Er klammert den negativen Bereich komplett aus. Und kann auch mit Freunden brechen." Als sei nichts gewesen. Er twittert weiter Lebensweisheiten, zuletzt diese: "If u got nothing to lose be aware of somebody who has everything to lose", wenn du nichts zu verlieren hast, dann denke an Leute, die alles zu verlieren haben. Er, der leidenschaftliche Zocker, trat als Botschafter eines Poker-Unternehmens auf, in Tschechien, in Österreich. Er reiste mit der Familie nach Ibiza, urlaubte auf einer Yacht. Feierte auf dem Oktoberfest, wo seine Frau Lilly großes Aufsehen erregte, weil sie ein Dirndl im Wert von 27 500 Euro trug. Das aber war nur geliehen; von einer Designerin zwecks PR-Aktion. Viel Aufregung um nichts. Und wer weiß: Vielleicht gelingt Becker ja noch überraschend ein Befreiungsschlag in auswegloser Lage, wie früher, beim Tennis.

Dschungelcamp vs. Tennis

Dschungelcamp vs. Tennis

"Auch wenn nicht jeder seine Auftritte nachvollziehen kann: Aus seiner Sicht macht er das Richtige", sagt Insolvenzfachmann Schulz. "Er bleibt im Gespräch, das ist für Personen in seiner Situation das Wichtigste." Becker genießt immer noch viel Bewunderung. Die Cambridge Union, ein renommierter Debattierklub, ehrte ihn kürzlich. Der Tennisheld stand charmant Rede und Antwort. Was aber ist mit der britischen Version des Dschungelcamps im Sender ITV? Gar nichts, erklärt Anwalt Moser. Becker sei angeboten worden, dort mitmachen. Er habe aber "sofort" und "selbstverständlich" abgelehnt.

Was Becker hilft, sind zwei Jobs. Auf Eurosport hat er als TV-Kommentator bei drei Grand-Slam-Turnieren für gute Quoten gesorgt, 2018 bleibt er auf Sendung. Eurosport bezahle ihn, heißt es; anders als der Deutsche Tennis-Bund (DTB). Dort ist Becker Head of Men's Tennis. Er arbeitet ehrenamtlich. Spekulationen, Becker werde nach dem Insolvenzverfahren vom DTB bezahlt, weist sein Anwalt Moser zurück. "Unser Mandant wollte die Tätigkeit, die für ihn eine Herzensangelegenheit ist, stets ehrenamtlich ausüben." Der Verband übernehme nur die Reisekosten. Das sei mit dem DTB schon lange vor dem Verfahren so besprochen worden. Daran werde sich auch nach Abschluss des Verfahrens nichts ändern.

Diese beiden Jobs sind immens wichtig für Becker. Denn: Er kann im Tennissport, wo er sich trittsicher bewegt, weiter so tun, als sei alles in Ordnung. Und nichts aus den Fugen geraten.

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