Sprache:Boost aus der Tube

Lesezeit: 2 min

Auch ein Booster: Ein waghalsiges Fahrgeschäft im englischen Brighton. (Foto: Andy Barker/Mauritius Images / Loop Images)

Einst war der Boost die Superkraft am Vorabend, dann wurde er in die Zahnpasta gepresst. Im Jahre 2021 ist Boostern vor allem: eine Verzweiflungstat. Die Geschichte eines Niedergangs.

Von Oliver Klasen

In den unschuldigen und zugleich actiongeladenen Achtzigerjahren, da war ein Boost etwas Besonderes, geschaffen ausschließlich für jene Situationen, in denen die Lage richtig brenzlig war, jedenfalls hat man das dienstagabends um 19.10 Uhr auf dem Sofa der Eltern immer so wahrgenommen. David Hasselhoff alias Knight Rider verfügte natürlich nicht über einen normalen Boost, sondern über einen "Turbo Boost", mit dessen Hilfe sein schwarzer Trans Am namens K.I.T.T. über jedwedes Hindernis hinwegspringen konnte, und er setzte ihn nicht inflationär ein, einmal pro Folge allenfalls. (Es gab in der Serie auch noch den Super Pursuit Mode, den Surveillance Mode, den Silent Mode, Seilwinde und Schleudersitz, aber das führt jetzt zu weit.)

Irgendwann in den Jahren danach, niemand hat es genau mitbekommen, muss der Boost dann die Sphäre des Außeralltäglichen verlassen haben. Mit einem Boost in die Luft katapultiert zu werden, das war nun nicht mehr Helden vorbehalten, auch die Jungs aus der Vorstadt konnten sich dieses Erlebnis kaufen, einmal im Jahr, wenn die Schausteller ihre Fahrgeschäfte auf der Festwiese aufgestellt hatten. Immerhin, es mussten mutige Vorstadtjungs sein, denn so ein Booster, Dutzende Meter hoch und mit zwei Kabinen, die sich um die eigene Achse drehen, ist weit schwindelerregender als die meisten anderen Geräte auf der Kirmes.

Schließlich, es ist noch gar nicht lange her, hielt der Boost Einzug ins Badezimmer, und das ist jetzt nicht so aufregend, wie es zunächst klingt. Die Zahnpasta-Industrie, jene Branche, die immerfort an Innovationen arbeitet, die eigentlich niemand braucht, hat den Boost in die Tube gepresst. Gleich zwei Produkte sind derzeit erhältlich: Der "Mineral Boost", der die Aufnahme von Mineralstoffen in den Zahnschmelz begünstigen soll, und der "Gum Boost", der sich positiv auf die Gesundheit des Zahnfleisches auswirken soll. Sicher beides gut. Wem das nicht reicht: Auch Vitamin C gibt es längst in Boost-Form. Und selbst im Genre der drittklassigen Live-Coach-Literatur hat der Boost Einzug gehalten. Auf den Seiten eines großen Versandhändlers kann man ein Buch bestellen mit dem Titel: "Boost - Denken wie Elon Musk und Co: Wissenschaftlich erprobte Strategien für gigantische Fortschritte in Beruf und Privatleben". Geschrieben von einem Raketenwissenschaftler. Nun ja.

Wenig überraschend also, dass der Boost im Jahr 2021 eine Verzweiflungstat ist. Jens Spahn, der Gesundheitsminister, ruft per Twitter zum Boostern auf (der Boost hat jetzt auch ein passendes Verb), denn brenzlig ist die Situation natürlich auch jetzt wieder. Aber erst 2,2 Prozent der Menschen in Deutschland haben den Booster in Anspruch genommen, bei Weitem also nicht genug, um die große Seuche zu besiegen. Booster-Impfung, so hatte man gehofft, das klinge viel besser als Drittimpfung, das klinge so, als habe man die Sache noch selbst in der Hand, als könne man über alle Probleme, die der Winter mit sich bringt, einfach drüberspringen. Vielleicht sollte man die Booster-Impfungen mit dem Boost-Effekt auf der Kirmes verbinden. Die Spritze kopfüber sozusagen. Für gigantische Fortschritte.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: