Süddeutsche Zeitung

Bohrinsel-Unglück:Wettlauf gegen die Zeit

Noch hat die Ölpest das Mississippi-Delta nicht erreicht. Doch sie scheint unaufhaltsam. Die US-Regierung drängt BP, "härter, schneller und klüger" gegen die drohende Umweltkatastrophe vorzugehen.

Reymer Klüver, Venice

In Venice, dem Hafenstädtchen an der äußersten Spitze des Mississippi-Delta, ist noch nichts zu sehen. Das braune Wasser, aufgepeitscht von unnachgiebig wehenden Südwinden, treibt Schaum ins Uferschilf. Aber die gefürchtete schmierige braune Masse, die die Konsistenz von Mayonnaise haben soll und die draußen auf dem Meer jeden Tag an Umfang zunimmt, hat die Küsten nicht erreicht. Die Ölpest ist noch nicht da.

Noch sind die empfindlichen Sumpfgebiete im Mississippi-Delta südlich von New Orleans und die Laichgebiete der Seekrabben nicht verseucht. Doch ist das wohl nur noch eine Frage der Zeit. Der gigantische Ölteppich, der nach dem Untergang der Bohrinsel Deepwater Horizon immer bedrohlichere Ausmaße annimmt, schien zum Wochenende hin unaufhaltsam auf die ökologisch hoch empfindliche Marsch- und Sumpflandschaft an der Mündung des Mississippi zuzutreiben.

Hoher Wellengang dürfte dazu beitragen, dass zumindest Teile des Ölfilms in die zahllosen Buchten des Deltas getrieben werden. An manchen Stellen wurden bereits Spuren entdeckt - allerdings noch nicht in großem Ausmaß. Zusätzlicher Trost: Die Meteorologen prophezeiten am Freitag, dass die saisonüblichen Südwinde übers Wochenende etwas nachlassen sollten und der Großteil des Ölschaums fürs erste auf dem hohen Meer bleiben würde.

Seit der Explosion auf der Bohrinsel am Dienstag vergangener Woche und ihrem Untergang zwei Tage später sind nach Einschätzung der US-Küstenwache fast fünf Millionen Liter Rohöl in den Golf von Mexiko geströmt. Die Deepwater Horizon hatte ein Ölfeld in 1600 Metern Tiefe angebohrt, rund 65 Kilometer vor der Mündung des Mississippi in den Golf von Mexiko. Ein Notventil, das die Ölquelle im Katastrophenfall abdichten sollte, hat offenkundig nicht funktioniert. Alle Versuche, es zu aktivieren, sind bisher gescheitert.

Louisianas Gouverneur Bobby Jindal erklärte, dass die kommenden Tage entscheidend sein würden. Sollte es nicht gelingen, das Bohrloch abzudichten, dürfte die Ölpest im Golf innerhalb von zwei Monaten Amerikas bisher folgenreichste Umweltkatastrophe noch übertreffen: Beim Untergang des Supertankers Exxon Valdez waren 1989 vor der Küste Alaskas, 40 Millionen Liter Rohöl ins Meer geflossen und hatten die empfindlichen Gewässer auf Jahre hinaus verseucht.

Schon jetzt haben die Ausmaße des Ölteppichs fast die der Fläche Schleswig-Holsteins erreicht. Jeden Tag fließen mehr als 700.000 Liter Rohöl aus. Hunderte von Tierarten sind durch die Katastrophe bedroht. Außer Vögeln und Delphinen vor allem Krabben und Austern, die die Erwerbsgrundlage für Tausende von Fischern in der Region darstellen. Sie sind bis auf weiteres arbeitslos. In Trainingskursen sollen sie nun schleunigst für Aufräum- und Entsorgungsarbeiten ausgebildet werden.

Offenkundig um zu demonstrieren, dass sich die Regierung in Washington angemessen um die Katastrophe kümmert, waren Heimatschutzministerin Janet Napolitano, Innenminister Ken Salazar sowie die Chefin der amerikanischen Umweltbehörde EPA, Lisa Jackson, am Freitag an den Golf geflogen. Salazar sagte, er habe den britischen Ölkonzern BP, der das Loch bohren ließ, aufgefordert, "härter, schneller und klüger daran zu arbeiten", das Bohrloch abzudichten.

In einer offiziellen Erklärung machte Präsident Barack Obama den Unfall zum "Ereignis von nationaler Bedeutung". Damit ist die Grundlage geschaffen, das auch die US-Armee unterstützend eingreifen kann.

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