Süddeutsche Zeitung

Böller:Durchgeknallt

Illegale Böller aus dem Ausland sind hochgefährlich, warnen Experten. Sie haben zum Teil eine 50-mal so große Sprengkraft wie geprüfte Knallkörper aus heimischer Produktion. Dennoch boomt der Schmuggel.

Von Korbinian Eisenberger, Berlin

Eine durchschnittliche Silvesternacht in einem deutschen Großstadt-Krankenhaus sieht so aus: 60 Teilverletzungen, etwa abgetrennte Finger oder Fingerglieder. Dazu bis zu zehn zerstörte Hände. So hat es die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie analysiert. Die meisten Verletzten sind junge Männer im Alter bis zu 25 Jahren, danach kommen die 50- bis 60-jährigen Männer. Meist haben sie mit illegalem Feuerwerk hantiert. Die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) sah sich deshalb am Freitag genötigt, noch einmal vor den lauten Böllern zu warnen, die vor allem aus Osteuropa eingeschmuggelt werden. Als besonders gefährlich stuft die BAM jene illegalen Böller ein, die mehr als nur Schwarzpulver enthalten. "Bei einem geprüften Knallkörper, der versehentlich in der Hand angezündet wird, kommt es zu leichten Verbrennungen", sagt Heidrun Fink, Prüfleiterin bei der BAM. "Blitzknallkörper" dagegen, die nicht in Deutschland zertifiziert sind, hätten einen deutlich heftigeren Effekt. Wegen des darin enthaltenen Gemischs, das viel stärker reagiert als Schwarzpulver, könne man "schwere Verletzungen erleiden und durchaus einige Finger verlieren", so Fink. An Silvester vor einem Jahr verloren zwei junge Männer in Schleswig-Holstein und Sachsen durch die Wucht zweier Böller-Explosionen sogar ihr Leben.

Obwohl es strafbar ist, illegale Feuerwerkskörper zu verwenden, müssen Krankenhäuser verdächtige Verletzungen nicht melden. Ob deren Zahl in den vergangenen Jahren zugenommen hat, ist deshalb kaum zu sagen. Messbar sind lediglich die Verkaufszahlen für legales Feuerwerk. 2014 gaben die Deutschen demnach 129 Millionen Euro für das Silvesterfeuerwerk aus, fünf Millionen Euro mehr als ein Jahr zuvor. Für 2015 rechnet der Verband der Pyrotechnischen Industrie mit ähnlichen Verkaufszahlen.

Beliebt sind unzertifizierte Kracher allemal, was man daran erkennt, dass der Schmuggel auf Hochtouren läuft - vor allem an der Grenze zu Polen. Bei der Zollfahndung Berlin-Brandenburg vergeht kaum ein Tag ohne Zugriff, sagt eine Zollsprecherin. Die Schmuggler-Fahrzeuge seien mit Knallern und Raketen vollgestopft, meist ohne die sperrigen Verpackungen - damit mehr rein passt. BAM-Sprecherin Ulrike Rockland führt die hohe Nachfrage nach illegalen Silvesterknallern vor allem darauf zurück, dass deren Effekt oft weitaus stärker ist. Die Stiftung Warentest meldet, Böller aus Polen oder Tschechien hätten eine bis zu 50-mal so große Sprengwirkung wie in Deutschland zugelassenes Feuerwerk. Im europäischen Vergleich ist Deutschland streng. Sechs Gramm Schwarzpulver ist der Höchstwert, den ein Böller mit dem deutschen CE-Prüfzeichen enthalten darf - obwohl die EU-Richtlinie sogar den erheblich stärkeren "Blitzknallsatz" zulassen würde. Dass es aber noch strenger geht, zeigt das EU-Mitglied Irland. Dort sind Feuerwerkskörper landesweit verboten.

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Quelle:
SZ vom 19.12.2015
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