Bluttat von Lörrach:"Amokläufe sind eindeutig ein männliches Phänomen"

Nur fünf Prozent aller Amokläufer sind wie die Täterin von Lörrach weiblich. Cornelis Stadtland, Facharzt für Psychiatrie, erklärt, warum Frauen nach Kränkungen seltener zu Gewalt neigen.

Lilith Volkert

Drei Menschen sind bei einem Amoklauf am frühen Sonntagabend im baden-württembergischen Lörrach ums Leben gekommen. Die Täterin: eine 41-jährige Rechtsanwältin, die zuerst ihren ehemaligen Lebensgefährten und den gemeinsamen fünfjährigen Sohn umbrachte, bevor sie auf der Flucht einen Krankenpfleger tötete. Cornelis Stadtland, Facharzt für Psychiatrie in der Forensischen Psychiatrie der Ludwigs-Maximilians-Universität München, über männliche und weibliche Amokläufer.

Bluttat von Lörrach: Eine 41-Jährige Frau tötet am Sonntagabend im baden-württembergischen Lörrach drei Menschen, bevor sie selbst durch Schüsse der Polizei stirbt.

Eine 41-Jährige Frau tötet am Sonntagabend im baden-württembergischen Lörrach drei Menschen, bevor sie selbst durch Schüsse der Polizei stirbt.

(Foto: AP)

sueddeutsche.de: Herr Stadtland, sind Amokläufe ein männliches Phänomen?

Cornelis Stadtland: Ja, ganz eindeutig. Nur fünf Prozent aller Täter in diesem Bereich sind weiblich.

sueddeutsche.de: Wie erklären Sie sich das?

Stadtland: Das deckt sich mit der Tatsache, dass Frauen deutlich seltener kriminell werden als Männer. Noch seltener sind weibliche Gewaltdelikte.

sueddeutsche.de: Warum? Sind Männer aggressiver als Frauen?

Stadtland: Nein, aber Frauen gehen mit ihrer Aggression anders um als Männer. Sie äußern sie in der Regel differenzierter und subtiler, etwa durch Intrigen, Mobbing oder die soziale Ausgrenzung anderer. Außerdem richten Frauen ihre Aggressionen oft nach innen, Männer eher nach außen.

sueddeutsche.de: Woran liegt das?

Stadtland: Das hat vor allem biologische Gründe. Männer, die sich körperlich verteidigen konnten, waren in der menschlichen Entwicklung lange genetisch begünstigt. Man muss auch bedenken, dass Frauen bei körperlichen Auseinandersetzungen meistens den Kürzeren ziehen würden.

sueddeutsche.de: Was ist der Auslöser eines Amoklaufs?

Stadtland: Das ist individuell unterschiedlich. In der Regel steht aber immer eine persönliche Kränkung im Mittelpunkt, mit der man nicht angemessen umgehen kann: etwa die Trennung vom Partner oder der Verlust des Arbeitsplatzes.

sueddeutsche.de: Können Frauen mit solchen Kränkungen besser umgehen?

Stadtland: Angesichts der Zahlen muss man sagen: Sie sind vermutlich etwas robuster. Allerdings flüchten sich Frauen auch leichter in selbstverletzendes Verhalten oder werden depressiv.

sueddeutsche.de: Weiß man denn, wer besonders gefährdet ist, zum Amokläufer zu werden?

Stadtland: Ob jemand Amok läuft oder nicht, hängt weniger von Alter oder Gesellschaftsschicht ab, sondern eher von der Persönlichkeitsstruktur. Das heißt nicht, dass ein Amokläufer zwangsläufig eine psychische Störung hat, auch wenn das oft der Fall ist. Insgesamt ist die Datenlage hier aber sehr dünn: Die meisten Amokläufer kommen bei ihrer Tat ums Leben, daher gibt es kaum Untersuchungen dazu.

sueddeutsche.de: Wie geht man in der Wissenschaft mit Amokläufen um?

Stadtland: Das Problem ist, dass es keine exakte wissenschaftliche Definition eines Amoklaufs gibt. Meistens spricht man davon, wenn der Täter nach einem impulsiven Wutausbruch ohne Rücksicht auf das eigene Leben handelt und versucht, ziellos andere Menschen zu töten.

sueddeutsche.de: Wie bei der Frau in Lörrach?

Stadtland: Den Fall kann ich nicht beurteilen. Doch falls sich etwa herausstellen sollte, dass die Täterin neben Ex-Mann und Sohn auch das dritte Opfer gezielt getötet hat, weil sie ihn kannte, würde ich nicht mehr von einem Amoklauf sprechen. Dann wäre es eine Beziehungstat - und die kommen deutlich häufiger vor.

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