Bluttat in Florida:Die unbeantworteten Fragen von Orlando

  • Noch sind Motiv, Verbindung des Täters zu Islamisten und die Rolle seiner Sexualität unklar.
  • Auch die Rolle der Ehefrau wird untersucht.
  • Bislang ist auch nicht absehbar, welche politischen Konsquenzen der Massenmord haben wird.

Von Johannes Kuhn, Orlando

Der US-Präsident war in der Stadt und hat mit Angehörigen, Überlebenden und Helfern getrauert - doch ein Schlussstrich ist das noch lange nicht. Weiterhin kommen ständig neue Besucher zu der improvisierten Gedenkstätte in der Stadtmitte von Orlando. Die Umgebung des Pulse-Nachtklubs ist immer noch abgeriegelt. Die Ermittler versuchen, die fehlenden Teile des Puzzles zusammenzufügen.

Welche Fragen über das größte Schusswaffen-Massaker in der modernen Geschichte der USA noch unklar sind: ein Überblick.

Was war das Motiv?

Die Indizien zu den Beweggründen des 29-jährigen Omar Mateen ergeben bislang kein klares Bild. Durch Aussagen seiner Exfrau weiß man, dass Mateen zu Gewalttätigkeit neigte.

Er selbst rief in der Tatnacht bei der Polizei an und widmete die Bluttat dem Anführer des "Islamischen Staats", einem Senatsbericht zufolge postete er während der Verhandlungen mit der Polizei ähnliche Aussagen auf Facebook.

Zeugen aus der Horrornacht erzählen, dass der Täter sagte, er wolle mit dem Anschlag das Ende der US-Bomben auf "sein Land" erreichen. Mit "seinem Land" meint Mateen offensichtlich Afghanistan, er selbst war allerdings US-Bürger und wurde in New York als Kind afghanischer Einwanderer geboren.

Schon die Wahl des Tatorts legt Homophobie als Motiv nahe. Sein Vater sagte aus, dass Mateen sich über küssende Homosexuelle echauffiert hatte. Dagegen spricht jedoch, dass der Killer bereits lange Zeit vor dem Massaker Kontakt zu Homosexuellen suchte. Über Gay-Dating-Apps chattete er mit Männern, hin und wieder war er Gast im Pulse. Das FBI ermittelt in alle Richtungen.

Hatte der Täter Kontakt zu Islamisten?

Mateen konnten bislang keine direkten Kontakte zu Islamisten nachgewiesen werden und auch sein Verhalten spricht nicht für eine detaillierte Kenntnis der unterschiedlichen Strömungen: So erzählte er 2013 Arbeitskollegen, Kontakte zu al-Qaida zu pflegen. Im nächsten Atemzug bezeichnete er sich als Mitglied der schiitischen Hisbollah, die der sunnitischen al-Qaida feindlich gegenübersteht. Die Mitarbeiter verständigten das FBI, Ermittlungen verliefen ergebnislos.

In seinen Telefonaten in der Tatnacht brachte er weitere Namen ins Spiel: Er schwor nicht nur Abu al-Baghdadi vom "Islamischen Staat" die Treue, sondern bezeichnete die Zarnajew-Brüder, die für den Anschlag auf den Boston-Marathon verantwortlich waren, als seine "Homeboys".

Eine weitere Verbindung ist ungeklärt: 2014 tauchte Mateen in Verbindung mit dem Islamisten Mohammad Abu-Salha, dem ersten amerikanischen Selbstmordattentäter in Syrien, auf dem FBI-Radar auf. Beide beteten in derselben Moschee in Fort Pierce, Florida. Ob sie sich kannten, ist noch nicht bekannt. Das FBI stellte die Ermittlungen damals ein. Aus Ermittlerkreisen hieß es zuletzt, dass Mateen in den Wochen vor dem Anschlag islamistische Propaganda-Videos konsumiert habe.

Warum suchte der Täter Kontakt zu Homosexuellen?

Omar Mateen soll seit Jahren Gast im Pulse gewesen sein. Mehrere regelmäßige Besucher berichten, dass er häufig alleine dort saß, trank, manchmal mit anderen Gästen sprach und tanzte. Ein Gast erzählte, dass er offen Männer angebaggert habe. Der Täter war zudem bei den Schwulen-Dating-Apps "Jack'd", "Grindr" und "Adam4Adam" angemeldet und chattete hier mit mehreren Männern, unter anderem auch Gästen des Pulse; mit einigen davon offenbar über einen längeren Zeitraum.

Mateen war zwei Mal verheiratet und hat ein Kind. Sein Vater erklärte, sein Sohn sei nicht homosexuell gewesen. Ein ehemaliger Mitarbeiter erklärte, Mateen habe sich häufig homophob geäußert. Ein anonymer Klassenkollege aus der Polizeiakademie erzählte mehreren Medien, dass Mateen ihn um ein Date gebeten habe.

Ob Mateen homosexuell war, wie sehr er diese Neigung unterdrückte oder ob er den Kontakt zu Schwulen suchte, weil er sie auskundschaften wollte, ist deshalb noch nicht ganz klar. Der Täter ließ sich von seiner Ehefrau einmal zum Pulse fahren mit dem direkten Ziel, den Ort auszuspähen. Wenige Tage zuvor sendete er zudem eine Facebook-Freundschaftsanfrage an einen Mann, der für seine guten LGBT-Ausgehtipps bekannt ist.

Wie war die Rolle der Ehefrau des Täters?

Das FBI klärt derzeit die Rolle von Noor Salman, der Frau von Omar Mateen. Sie hat zugegeben, dass der Täter ihr von seinen Absichten erzählt hatte, einen dschihadistischen Anschlag zu verüben. Er soll davon seit Monaten, wenn nicht Jahren geredet haben. Über konkrete Pläne, dass der Nachtclub Pulse das Ziel sei, will sie allerdings nicht informiert gewesen sein. Salman war jedoch mehrmals dabei, als Mateen mögliche Ziele, darunter das Pulse, auskundschaftete. Außerdem begleitete sie ihren Ehemann zu einem Waffengeschäft, um Munition zu kaufen. Auch hier streitet sie offenbar ab, den Zweck gekannt zu haben. Am Tag vor dem Attentat will sie ihren Mann allerdings gebeten haben, keine Gewalttat zu verüben. Die Polizei rief sie nicht. CNN berichtet außerdem, dass sie während des Anschlags SMS mit ihrem Mann ausgetauscht haben soll.

Hatte der Täter noch andere Ziele im Visier?

Die Ermittler glauben, dass Mateen auch andere Orte als mögliche Ziele für einen Anschlag in Erwägung zog. Mehrere Beobachtungstrips soll er nicht nur zum Nachtclub Pulse, sondern auch zum Disney-Springs-Einkaufszentrum während der "Gay Days 2016" gemacht haben. Außerdem besuchte er am 26. April Disney World, womöglich, um die Lage dort zu erkunden.

Kamen Opfer durch Polizeikugeln ums Leben?

Zwar ist der Ablauf der Tatnacht inzwischen fast minutengenau bekannt, doch die Polizei untersucht noch, ob bei dem ersten Feuergefecht zwischen den eintreffenden Beamten und dem Täter Besucher der Diskothek durch "friendly fire" ums Leben kamen. "Das ist alles Teil des Tathergangs und wir werden es herausfinden", sagte der zuständige Sheriff Jerry Demings. Strafrechtliche Folgen sind nicht zu erwarten, es handelte sich um eine unübersichtliche Gefahrensituation in einem dunklen Raum.

Was sind die politischen Folgen?

Amerikas stark polarisierte Politik lässt zwei Interpretationen zu - je nach politischer Färbung. Für die Demokraten steht fest, dass die zu laxen Waffengesetze und Homophobie verantwortlich für die Tat sind. Die Republikaner dagegen geben die Schuld dem "radikalen Islam".

Da sich die USA gerade im Wahlkampf befinden, ist das Thema Teil des politischen Schlagabtauschs. Der republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump fordert weiterhin einen Einreisestopp für Muslime und die Überwachung von Moscheen auf amerikanischem Boden. Die Demokratin Hillary Clinton dagegen plädiert wie US-Präsident Obama für ein Verkauftsverbot von Sturmgewehren.

Ein solches Verkaufsverbot steht zwar nicht zur Debatte, doch die Demokraten im Senat haben eine Abstimmung über zwei Vorschläge erreicht: Bessere Überprüfungen von Käufern, die ihre Waffen auf Verkaufsmessen erstehen, und das Verbot von Waffenverkäufen an Menschen, die auf der Terror- oder Flugverbotsliste geführt werden. Letzteres will auch Donald Trump mit der Waffenlobby NRA besprechen. Angesichts des Wahlkampfs und der harten Haltung vieler Republikaner ist es jedoch fraglich, ob die Gesetze beide Kammern des Kongresses passieren.

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