Süddeutsche Zeitung

Blitzer:Bitte recht freundlich

Drei Millionen Mal blitzt es jedes Jahr auf Deutschlands Straßen. Der Staat verdient - dafür wird der Verkehr sicherer. Oder? Über die schwierige Frage, wem Radarfallen am meisten nutzen.

Von Christoph Dorner

Das schafft doch keine Behörde: 330 Knöllchen pro Tag. Also hat die zuständige niederösterreichische Bezirkshauptfrau jetzt gerade gefordert, die Blitzer an der Südautobahn zwischen Wiener Neustadt und Grimmenstein bitte abzuschalten. Zeitweise zumindest. Man komme mit dem Schreiben der Bußgeldbescheide einfach nicht hinterher.

Dass Behörden die Abschaltung von Geschwindigkeitsmessern fordern, kommt nicht oft vor. Meist ist es das Volk, das dafür eintritt. Gelegentlich sogar recht rabiat - erst neulich haben Unbekannte in Nordrhein-Westfalen einen Blitzer in Brand gesetzt, der Schaden: 10 000 Euro.

Etwa drei Millionen Mal im Jahr werden Autofahrer auf deutschen Straßen wegen zu hoher Geschwindigkeit geblitzt. Beim bundesweiten Blitzmarathon im April dieses Jahres waren es 72 000 Geschwindigkeitsübertretungen. Und dabei kommt immer wieder ein schwerer Verdacht auf: Geht es wirklich um Verkehrssicherheit oder doch nur ums große Geld?

Bis 1959 überführten Polizisten Verkehrssünder noch mit der Stoppuhr

"Viele Kommunen blitzen nicht da, wo die meisten Unfälle passieren, sondern da, wo am meisten zu holen ist", sagt Michael Haberland, Präsident des Automobilclubs "Mobil in Deutschland". Das ist ja ein beliebter Vorwurf der Autofahrer-Lobby, auch der ADAC kommentiert in diese Richtung. Aber natürlich sind die festinstallierten Blitzer vor allem da, um Unfälle zu vermeiden (einige der erfolgreichsten finden sich auf der Deutschland-Karte). Allein im Münchner Luise-Kiesselbach-Tunnel überwachen seit April auf einer Länge von 1,5 Kilometern 30 Schwarzlichtblitzer den Verkehr. Aus präventiven Gründen - so ein langer Tunnel verführt zum Rasen.

Das meiste Geld hingegen wird mit Blitzersäulen gemacht, die sich Kommunen mieten und an großen Ein- und Ausfallstraßen aufstellen. Den Betrieb solcher Anlagen übernehmen die Hersteller dann meist gegen eine pauschale Beteiligung an den Verwarnungsgebühren.

Aber auch Autofahrer rüsten auf: Längst lassen sie sich über Apps Radarfallen anzeigen, denn sie wittern Abzocke - und tun dabei so, als würde die Straßenverkehrsordnung mit ihren Vorgaben für zulässige Höchstgeschwindigkeiten für sie nicht gelten. Immerhin ist hierzulande nichts bekannt von so einem wie dem amerikanischen "Rotlicht-Rambo". Der Mann steht derzeit in New York vor Gericht, weil er sehr vielen Blitzern die Kabel durchgeschnitten hat - aus Protest gegen die Verkürzung der gelben Ampelphase. Ihm drohen sieben Jahre Haft.

Begonnen hat der Blitzerkrieg, nachdem in den rauschenden Wirtschaftswunderjahren die Zahl der Verkehrstoten in Deutschland gewaltig gestiegen war. Allein im Jahr 1955 starben mehr als 12 000 Menschen auf den Straßen. Damals wurde innerorts ein Tempolimit eingeführt, das Verkehrszentralregister in Flensburg begann damit, jeden zu registrieren, dem sein Führerschein entzogen wurde. Die Polizei wurde zum Blitzen verdonnert. Bis zum Februar 1959 hatte sie Geschwindigkeitsverstöße ganz banal mit Stoppuhren gemessen, doch dann stellten Beamte zwischen Düsseldorf und Ratingen eine sonderbare Apparatur an den Straßenrand. Das Verkehrsradargerät "VRG 2" von Telefunken wurde zum ersten Schrecken deutscher Autofahrer.

Seitdem sind Straßen und Autos erheblich sicherer geworden. Und obwohl der Verkehr rasant zugenommen hat, ging die Zahl der Verkehrstoten seit Mitte der 1970er-Jahre deutlich zurück (2015 waren es 3475). Dass die Blitzer an der Verkehrserziehung der Deutschen einen großen Anteil hatten, ist unter Verkehrsexperten unbestritten. Beliebt sind sie trotzdem nicht, auch wenn niemand gegen mehr Tempokontrollen vor Schulen ernsthaft etwas einzuwenden haben dürfte. Zu viel Maßregelung konterkariert den menschlichen Freiheitsdrang.

Damit die Straßen noch sicherer werden, müsste aber anders geblitzt werden, sagt Karl-Friedrich Voss, Vorstandsmitglied im Bundesverband Niedergelassener Verkehrspsychologen. "Die gängigen Radarkontrollen führen nicht zu einer Verringerung des Unfallrisikos", sagt er. Vielmehr müsste stärker mit mobilen Anlangen sowie nachts und an Wochenenden geblitzt werden - wenn viele Fahranfänger unterwegs sind. Das erhöhe den "Kontrolldruck" erheblich, weil Autofahrer dann stets auf der Hut sein müssten und nicht nur vor den ihnen längst bekannten Blitzersäulen kurz auf die Bremse treten. Oftmals erreiche man auch mit baulichen Veränderungen an Gefahrenstellen mehr als mit einem Blitzer, sagt Voss. Doch schneller und einfacher geht's halt mit Radarfallen. In Hamburg und Stuttgart wurden zuletzt Blitzersäulen aufgestellt, um illegale nächtliche Autorennen zu verhindern. Damit wurden Ende Mai in nur neun Tagen 3600 Tempo-Sünder auf der Theodor-Heuss-Straße erwischt.

Seit dort ein Blitzer steht, fallen in der Hundskurve nicht mehr so viele Lastwagen um

Auch der Blitzer am Autobahn-Dreieck Drammetal leistet Großes. Der 244 000 Euro teure Kasten mit verspiegeltem Zyklopenauge war Anfang des Jahres in der Zufahrt von der Autobahn A 38 auf die A 7 in Richtung Kassel aufgestellt worden. Zuvor waren viele Lastwagen aus der sich scharf zuziehenden "Hundskurve" geflogen. Warnschilder und ein neuer Fahrbahnbelag hatten nichts gebracht. In den ersten zehn Blitzer-Tagen wurden dann 7500 Fahrzeuge mit deutlich zu hoher Geschwindigkeit geblitzt. Ein Autofahrer schoss gar mit Formel-1-verdächtigen 111 Stundenkilometern in die Hundskurve. Die Quittung: ein dreimonatiges Fahrverbot und zwei Punkte in Flensburg. Die Anschaffungskosten für den Blitzer hatte der Landkreis Göttingen jedenfalls bereits nach zwei Monaten wieder drin. Seitdem rasen nicht mehr ganz so viele Fahrzeuglenker in die Radarfalle. An einen stationären Blitzer gewöhnen sich viele eben schneller als an ein Schlagloch.

Das heißt aber nicht, dass man sie akzeptiert: Im vergangen Herbst schritten in Marburg offenbar mehrere Unbekannte zur Selbstjustiz. Ihr Zorn war so gewaltig, dass sie nachts einen Bagger von einer Baustelle stahlen und damit gleich drei Blitzer niederwalzten. Das Schlimmste ist: Die Marburger Polizei besitzt bislang kein einziges Foto von den Übeltätern.

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Quelle:
SZ vom 18.06.2016
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