Blinde Passagiere:"Die Überlebenschance ist fast bei null"

Blinder Passagier landet auf Haus in London und stirbt

Auf dem Dach dieses Bürohauses in London wurde der tote Körper des blinden Passagiers gefunden.

(Foto: AFP)
  • Über London ist ein blinder Passagier aus einem Flugzeug gefallen. Die Wahrscheinlichkeit, im Fahrwerkschacht zu überleben, sei sehr gering, sagt Luftfahrtexpertin Laura Frommberg im SZ-Interview.
  • In der Höhe, in der Verkehrsmaschinen fliegen, sei der Luftdruck viel zu niedrig und herrsche eine extreme Kälte. Der menschliche Körper schalte dabei einfach ab.
  • Das Phänomen der blinden Passagiere sei aber ein sehr seltenes.

Von Hannah Beitzer und Thomas Harloff

London wurde immer wieder Schauplatz tragischer Unglücke mit blinden Passagieren. 2012 wurde ein Mann tot im Fahrwerk einer British-Airways-Maschine aus Südafrika gefunden. Nur einen Monat später fiel ein blinder Passagier aus Mosambik aus einem Flugzeug auf eine Straße im Westen Londons. Er hatte sich ebenfalls im Fahrwerk eines Flugzeugs versteckt. Einen ähnlichen Fall gab es nun wieder, ein blinder Passagier fiel aus dem Fahrwerkschacht auf das Dach eines Londonder Bürogebäudes und starb. Ein weiterer Mann aus Südafrika überlebte die elfstündige Tortur beim Flug von Johannesburg in die britische Hauptstadt und wird aktuell mit kritischem Zustand im Krankenhaus behandelt.

Es erscheint wie eine beunruhigende Häufung von Fällen, doch tatsächlich sind blinde Passagiere ein seltenes Phänomen. Wie gefährlich es ist, sich im Fahrwerk eines Flugzeugs zu verstecken, erklärt Laura Frommberg. Die Luftfahrtexpertin ist Gründerin und Chefredakteurin der Website Aerotelegraph und verfolgt das Thema seit vielen Jahren. Im Interview erzählt sie, warum kaum ein blinder Passagier überlebt, wie sie die Sicherheitskontrollen am Flughafen überwinden und was die Fluggesellschaften tun können.

SZ: Frau Frommberg, wie häufig gibt es blinde Passagiere?

Laura Frommberg: Zwischen 1947 und 2012 sind genau 96 Fälle dokumentiert. Nur 24 Prozent der Passagiere haben überlebt. Das waren meist Flüge aus Entwicklungsländern. Früher kamen blinde Passagiere oft aus Kuba, heute vor allem aus afrikanischen Ländern.

Das heißt, die Wahrscheinlichkeit zu überleben ist nicht sehr groß?

Die meisten Menschen sterben dabei. Es ist kaum möglich, das zu überleben. Man wird fast zwangsläufig ohnmächtig. Der Körper schaltet sich einfach aus. So war es auch 2001, als in London ein blinder Passagier an fast derselben Stelle herausgefallen ist wie beim aktuellen Fall.

Gibt es bei den Überlebenschance Unterschiede zwischen früher und heute?

Früher gab es mehr Überlebende, da die Flugzeuge oft tiefer geflogen sind. Heute ist die Überlebenschance fast bei null. Beim zweiten blinden Passagier, der den Flug überlebt hat, vermutet man, dass er Sauerstoff dabei hatte.

Wie kommen blinde Passagiere überhaupt an Bord? Die Kontrollen an Flughäfen sind ja ziemlich streng.

Das passiert meist bei Flügen aus afrikanischen Ländern, wo die Luftfahrtsicherheit nicht besonders gut ist. Im aktuellen Fall kam das Flugzeug aus Johannesburg, und das spricht nicht für die Sicherheit dort. Blinde Passagiere planen ihr Vorhaben meist sehr lange. Sie passen genau den Moment ab, in dem das Flugzeug auf dem Rollfeld möglichst nah am Zaun steht. Über den klettern sie dann und verstecken sich im Fahrwerk. Die Reise ist alles andere als bequem, es ist eng und vor allem unfassbar laut.

Was genau macht die Reise für blinde Passagiere so gefährlich?

Der menschliche Körper kann ungeschützt nicht mit der Höhe umgehen. Ab 18 000 Fuß (etwa 5490 Meter, die Redaktion), treten erste Symptome wie Schwindel oder Sehprobleme auf. Ab 22 000 Fuß (6710 Meter) fällt man in Ohnmacht. Ab ungefähr 30 000 Fuß (10 000 Metern) brauchen die Lungen auf jeden Fall ein Sauerstoffgerät oder Ähnliches. Mit Glück kann man es in 20 000 Fuß vielleicht aushalten. Es gab mal einen blinden Passagier, der hat überlebt, weil ein Flugzeug wegen schlechten Wetters nur in 29 000 Fuß geflogen ist. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass das passiert, ist sehr, sehr gering.

Spielt das Wetter eine Rolle?

In so großer Höhe bekommt man das Wetter gar nicht mit, da der Körper sowieso heruntergefahren ist. Da ist es eiskalt, unter -50 Grad Celsius. Es macht bei diesen Bedingungen keinen Unterschied, ob man nass wird oder nicht. Die meisten blinden Passagiere sterben, weil sie erfrieren - oder eben aus dem Fahrwerk fallen.

Aber warum fiel der Mann in London aus der relativ geringen Höhe von 400 Metern aus dem Flugzeug?

In so geringer Höhe steht die Landung kurz bevor. Die Piloten fahren das Fahrwerk aus, der blinde Passagier hält sich nicht fest, weil er womöglich ohnmächtig ist, und fällt heraus.

Was können die Fluggesellschaften gegen blinde Passagiere tun? Oder passiert das so selten, dass es für sie keine Bedeutung hat?

Ich glaube nicht, dass die Airlines bestimmte Maßnahmen dagegen ergreifen können. Sie könnten höchstens Aufklärung darüber betreiben, wie gefährlich das ist. Den meisten Leuten ist das ja gar nicht bewusst. Allerdings ist es fraglich, ob Flugblattaktionen oder Ähnliches in den Regionen, wo das Phänomen der blinden Passagiere öfter vorkommt, die gewünschte Wirkung erzielen. Das Thema liegt sowieso eher aufseiten der Flughäfen. Hier kommt es einfach darauf an, wie gut er bewacht wird. Aber man muss auch sagen: Oft werden diejenigen, die es versuchen, auch erwischt.

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