Wichtigtuerei ist Jürgen Stock erfreulich fremd. Kein dröhnendes "Guten Tag", keine stolzgeschwellte Brust; statt dessen ein fester Händedruck und ein freundlicher Blick in die Augen. Als der 55-Jährige im Grimaldi-Forum von Monaco hallo sagt, gibt der Kriminalbeamte nicht den kommenden Chef, sondern wirkt wie einer von Hunderten Polizisten, die hier der jährlichen Interpol-Vollversammlung lauschen. Dass der Vize-Präsident des Bundeskriminalamts am Freitag zum obersten Polizisten der Welt gewählt wird - man würde es nicht mal erahnen.
Dabei ist seine Wahl zum Generalsekretär von Interpol alles andere als selbstverständlich. In der 90-jährigen Geschichte der weltweit größten Polizeiorganisation ist das kein Deutscher vor ihm geworden. Entsprechend stolz sind sie beim Bundeskriminalamt, dass einer der Ihren künftig an der Spitze stehen wird.
Und stolz ist auch der Bundesinnenminister, der angereist ist, um Stocks Wahl noch einmal dankend zu begleiten. Interpol ist mit 190 Mitgliedsstaaten nach den UN der größte internationale Zusammenschluss. Viel Respekt hat Stock deshalb vor der Aufgabe. Und weiß genau, dass er "sehr vom guten Ruf des BKA in der Welt profitiert" hat.
Das mit dem guten Ruf ist freilich so eine Sache. Zu Stocks traurigsten Erfahrungen gehört, dass ausgerechnet in Deutschland die Mordserie des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) so lange unentdeckt blieb und deshalb nicht gestoppt werden konnte. Doch Stock, im BKA bisher zuständig für die internationalen Kontakte, schwieg darüber nicht, sondern sprach die Katastrophe auf internationalen Konferenzen an. Er legte Pannen offen, analysierte eigene Fehler und dürfte gerade dadurch den Ruf des BKA gerettet haben. Offenheit schützt das Renommee mehr als kleinreden und vertuschen.
Über Erfolge mag er wenig reden
Angefangen hat Stock 1978 als Streifenpolizist und als Drogenfahnder. Er sicherte Spuren, er befragte Zeugen, nahm Beschuldigte fest und lernte das Handwerk nicht über die Theorie, sondern auf der Straße. 1996 wechselte er ins BKA und wurde 2004 Vize-Präsident der Behörde - selbst er spricht von einer Bilderbuchkarriere.
Über Erfolge mag er wenig reden. Mehr im Gedächtnis bleiben ungeklärte Fälle, sie haben sich eingebrannt wie Narben. So gehörte Stock zum Ermittlerteam, als 1986 in einer Villa in Bad Nauheim neun junge Menschen starben. Bis heute ist unklar, wer dafür die Schuld trägt.
Als Interpol-Chef wird sich Stock mit dem internationalen Terrorismus, organisierter Kriminalität und Cyber-Verbrechen herumschlagen. Das heißt nicht, dass er als Ermittler durch die Welt reist und Täter festnimmt. Interpol ermittelt nicht selbst, es vernetzt, liefert Daten, koordiniert über Grenzen hinweg - und muss dabei zwischen den Polizeien der Welt Vertrauen schaffen. Vielleicht ist das ja der Grund dafür, warum Stock vor seiner Wahl am Freitag in Monaco so leise und so verbindlich auftritt.