Süddeutsche Zeitung

Birma:In den Tempeln der zerstörten Hoffnung

Vom friedlichen Aufstand der Mönche sind nur noch Blutspuren zu sehen. Das Militär zeigt sich stärker als je zuvor. Was den Birmanen bleibt, sind allein Angst und Wut. Eine Reportage

Stefan Klein

Ein Name, den wir nicht nennen können. Eine Person, die wir nicht beschreiben dürfen. Eine Identität, die wir geheim halten müssen. So ist das in Birma. Unser Kontaktmann ist Chef einer kleinen, privaten Zeitung in Rangun, und als solcher, denkt man, müsste er eigentlich aufregende Tage hinter sich haben.

Stimmt, sagt unser Mann, wir nennen ihn Maung Pa, einer seiner Reporter sei von Soldaten verprügelt und ein anderer von der Polizei verschleppt worden. Er kam zurück, nach fünf Tagen. Mit Prellungen und blauen Flecken. Es muss einer schon sehr viel Leidenschaft mitbringen für den Job, wenn er in Birma Journalist wird.

Das Summen in der Seele namens Glück Als die Mönche im September auf die Straße gingen und damit begannen, das Regime herauszufordern, wusste Maung Pa, dass er keine Zeile darüber würde veröffentlichen können. Dennoch schickte er seine Reporter los, und auch ihn selber hielt es nicht am Schreibtisch. Das erste Gefühl, das Maung Pa in diesen Tagen hatte, war dieses Summen in der Seele, das man Glück nennt.

Er sah die Mönche in ihren safranfarbenen Tüchern und dachte: Es kommt etwas in Bewegung. Es war kein Übermut in ihm, kein Gedanke, dass dies den Sturz der Militärjunta bedeuten könnte. Aber vielleicht war es ja der Anfang eines Weges, und allein das machte ihn froh.

Es kam der Augenblick, als die Mönche in der University Avenue Aung San Suu Kyi, der seit Jahren in ihrem Haus eingesperrten Oppositionsführerin, gegenüberstanden, und als Maung Pa am nächsten Tag das Foto davon in einer Singapurer Zeitung sah, da freute er sich noch mehr. "Das ist ein großer Moment", dachte er, und das war fast schon mehr als der Anfang eines Weges.

Und doch ist alles schon wieder verpufft. Der Weg hat sich als die altgewohnte, lähmende, frustrierende Sackgasse entpuppt. Das Foto eines Toten, halb im Wasser liegend: Der kahl geschorene Kopf trägt Spuren von Verletzungen, der Körper ist mit blutunterlaufenen Stellen übersät. Das Tuch hat der Schlamm zu einem grauen Strang zusammengekleistert, aber man sieht noch, dass es ursprünglich mal safranfarben war.

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Ein unvorstellbarer Frevel

Mönche sind in Birma hoch verehrte, hoch angesehene Mitglieder der Gesellschaft. Wer Buddhist ist im Land, und das ist die große Mehrheit, der ist meistens irgendwann in seinem Leben mal im Kloster gewesen - und sei es nur für ein paar Tage oder Monate.

Ein Frevel wie der, den das Foto bezeugt, war bislang eigentlich unvorstellbar. Auch in der Straße, die zum Ostaufgang der Shwedagon Pagode führt, sieht man keine Mönche, keine Nonnen. Ein Zentrum des buddhistischen Lebens am Fuße des berühmten Heiligtums: Von hier sind sie losgezogen mit ihren Bettelschalen, aber das, was ihnen gespendet wurde an Essen, war zuletzt immer weniger geworden.

Birma ist ein verarmtes, ein verelendetes Land, viele können sich selber kaum ernähren. Eine kritische Grenze war längst erreicht, und mit der drastischen Benzinpreiserhöhung am 15. August und dem anschließenden Preisauftrieb für nahezu alle anderen Güter war sie überschritten. Statt zum Betteln sammelten sich die hungrigen Mönche zum Protest. Doch in einem Land wie Birma tut man das nicht ungestraft.

Die Klöster an der Straße zum Ostaufgang der Shwedagon-Pagode sind fast alle leer. Wir gehen in eines hinein und sehen einen älteren Mönch im Schneidersitz, lesend. Er schaut kurz auf, zwei Blicke begegnen sich, und es ist klar, dass keine Fragen gestellt und keine Antworten gegeben werden. Die Zeiten sind nicht danach.

Bei dem Überfall auf das Kloster Ngwe Kyar Yan sollen Menschen versucht haben, den Mönchen in ihrer Not zu Hilfe zu kommen, nur: Was können unbewaffnete Bürger schon ausrichten gegen Bajonette und Gewehre? Die Gewehre: In Birma geben sie seit mehr als vier Jahrzehnten den Ausschlag. Sie haben beinahe vergessen lassen, dass es in der langen Geschichte des Landes auch Blütezeiten gab.

Als die Briten 1885 in der Königsstadt Mandalay den letzten Monarchen Thibaw abservierten, da tat der weiße Elefant, das Symbol der Königswürde, was einem weißen Elefanten in so einer Situation angemessen ist - er gab seinen Geist auf. Ohne viel Federlesens ließen die britischen Eroberer ihn abtransportieren, einen Kadaver, nicht mehr. Die Menschen sahen es mit Entsetzen, für sie war der Elefant ein heiliges Tier gewesen.

Es begann die Kolonialzeit, es kam die Unabhängigkeit, die Demokratie, und von weißen Elefanten war kaum je wieder die Rede. Doch jetzt, unter den Männern mit den Gewehren, gibt es wieder welche. Anders als dem Volk geht es den Generälen hervorragend, und seit sie sich mitten im Land eine funkelnagelneue Hauptstadt namens Naypyidaw aus dem Boden gestampft haben, müssen sie nicht mehr in der lauten, heruntergekommenen alten Hauptstadt Rangun ausharren.

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Ein Kung Fu kämpfender Mönch auf der Flucht

Massenproteste können einen General schon mal frösteln lassen, wenn er nur ein paar Häuser weit entfernt wohnt - von Naypyidaw dagegen lassen sich solche Dinge in aller Gelassenheit regeln. Natürlich spielt auch die Frage eine Rolle, ob der Heldenmut der Protestierer der Resignation gewichen ist oder ob er nur eine Pause eingelegt hat.

In einem verschwiegenen Haus in Rangun suchen wir eine Antwort auf die Frage. Der junge Mann ist Anfang zwanzig, er hat einen kahl geschorenen Kopf, er trägt eine weniger safran- als erdfarbene Robe und einen Namen, den wir nicht nennen können. Er soll Myo Win heißen. Er ist lebhaft, erzählt viel und lacht gerne. Als er von der Konfrontation mit den Polizisten und Soldaten erzählt, sagt Myo Win, der keine Beule, keine Prellung am Leib hat, er habe glücklicherweise "ein paar Kenntnisse in der Kunst des Kung Fu" - und lacht und kann sich gar nicht einkriegen.

Das klingt wie ein großer Spaß, aber es war bitterer Ernst. Myo Win war einer der Organisatoren der Mönchsrebellion in Rangun, und jetzt ist er ein Mönch auf der Flucht. Seitdem das Militär mit Gewalt zu reagieren begann, ist er nicht mehr in seinem Kloster gewesen. Er schätzt, dass in Rangun 15 Mönche umgekommen und mehr als 2000 verhaftet worden sind. Zu denen möchte er nicht gehören.

Er ist mal hier, mal da, er sagt: "Morgen weiß ich, wo ich esse, übermorgen noch nicht." Er hat noch ein ganzes Leben vor sich, aber es ist ihm klar, dass es nicht mehr viel wert wäre, wenn er den Sicherheitskräften in die Hände fiele. Irgendwie werde es weitergehen, sagt er vage, die Sache sei noch nicht zu Ende. Das hört sich an, als hätte die Demokratie in Birma abermals eine Schlacht verloren. Ob Myo Win sie je erleben wird, die Demokratie? Da denkt er einen Moment nach und sagt dann: "Sie haben die Waffen, wir haben keine."

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Süddeutsche Zeitung 2007 - Themen des Jahres, ab 8. Dezember im Handel, 5 Euro
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