Biologe über Eichhörnchen-"Stalker":"Man muss damit rechnen, dass mal ein Tier ausrastet"

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Dieser "Stalker" ist eher süß als unheimlich: In Bottrop wurde eine Frau von einem Eichhörnchen verfolgt. (Foto: Polizei Recklinghausen/dpa)

In Bottrop verfolgt ein Eichhörnchen eine Frau, in München greifen Krähen Menschen an. Biologe Bernhard Kegel über verschiedene Tierpersönlichkeiten - und Stadtvögel, die extra laut singen.

Von Anna Fischhaber

In Bottrop hat ein Eichhörnchen einen Polizeieinsatz ausgelöst - es hatte eine Frau verfolgt. Überrascht Sie das?

Bernhard Kegel: So etwas habe ich von einem Eichhörnchen noch nie gehört. Anderseits leben Menschen und Tiere heute in unseren Großstädten so eng zusammen, dass Zwischenfälle programmiert sind. Man muss damit rechnen, dass mal ein Tier ausrastet. Man kennt solche Geschichten ja auch von Krähen.

Sie meinen von Krähen, die Menschen angreifen?

Genau. Krähen sind von Natur aus aggressiver und wehrhafter, sie attackieren mitunter auch Spaziergänger. Aber man sollte Eichhörnchen und ihre Krallen nicht unterschätzen, sie klettern damit Baumrinden hoch.

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Warum leben inzwischen so viele Tiere in unseren Städten?

In der westlichen Welt haben die Städte einen Zustand erreicht, der sie für Tiere interessant macht. Großstädte haben sich ins Land ausgedehnt und mit ihm verzahnt. In Berlin gibt es heute Moore, Seen, Wälder. Dort leben Tiere. Außerdem haben die Bomben im Zweiten Weltkrieg Freiflächen in den Stadtzentren geschaffen, die oft nicht mehr bebaut wurden. In Berlin haben wir heute viel Brache und mehr Parks als früher.

Welche Tiere leben denn in unseren Zentren?

Wie überall ist das Gros der Tiere in der Stadt eher unscheinbar und wird kaum wahrgenommen. In Großstädten wie Berlin oder München geht man von bis zu 30 000 Tierarten aus. Wenn man über Stadttiere redet, meint man aber immer die gleichen: Wildschwein, Reh, Waschbär. Allerdings leben die eher in der Peripherie, in den Gartenstädten. Wirklich im Zentrum leben in Europa eigentlich nur der Fuchs und einige Vogelarten. In London kann man in den Morgenstunden inzwischen mehr Füchse im Zentrum sehen als auf dem Land.

Wie hat sich das Verhalten der Tiere durch das Stadtleben verändert?

Eigentlich könnte man denken, ihre Fluchtdistanz habe sich verringert. Aber das muss nicht sein. Das hat mich bei meinen Recherchen am meisten überrascht: In der Forschung geht man inzwischen davon aus, dass nur solche Tiere in die Städte einwandern, die sowieso keine Angst haben. Es gibt also unterschiedliche Tierpersönlichkeiten. So wie nicht jeder Mensch ein abenteuerlustiger Kolumbus ist, zieht es auch nicht jeden Fuchs in die Großstadt.

Tiere, die in der Stadt leben, haben sich doch sicher auch Tricks angeeignet?

Viele Stadtvögel singen lauter und vorwiegend nachts, um den Stadtlärm zu übertönen. Krähen sitzen gerne auf Ampeln und werfen ihre Nüsse vor Autos, damit sie sie nicht mehr selbst knacken müssen. In Spatzennestern in New Mexiko hat man Zigarettenstummel gefunden. Sie bauen dort normalerweise stark riechende Blätter ein, um Parasiten abzuschrecken. Nun haben sie Nikotin für sich entdeckt. Ob sie ihrer Brut so einen Dienst erweisen, ist eine andere Frage.

Mutieren manche Tierarten mit der Zeit durch das Stadtleben?

Größere Tiere nicht, dazu ist der Austausch mit den Artgenossen auf dem Land zu intensiv. Allerdings gibt es Mückenarten, die nur in U-Bahntunneln leben, in London, in New York, in Chicago. Sie fliegen nie raus und sie haben ein anderes Beutespektrum als die Mücken an der Oberfläche: Sie ernähren sich vorwiegend von Ratten- und Mäuseblut.

Wie hat sich das Verhältnis zwischen Mensch und Tier verändert?

Tiere in der Stadt sind eine Chance. Weil Natur sich direkt vor unserer Haustier abspielt, interessieren sich die Leute dafür. Beispiel England: Hier ist die Fuchsjagd eine Tradition, aber der Widerstand wächst. Vor ein paar Jahren wurde der Fuchs zum beliebtesten Raubtier gewählt. Er hat einen Imagewandel durchlebt, einfach weil Mensch und Fuchs sich öfter begegnen. Anderseits gibt es natürlich auch gesundheitliche Gefahren, wie Tollwut oder den Fuchsbandwurm.

Viele Stadtbewohner haben Angst vor Stadttieren. Zu Recht?

Ich sehe dazu keinen Grund. Wir haben in Deutschland ja keine Kojoten wie in Amerika. Es wurden zwar erste Wölfe in der Nähe von deutschen Städten gesichtet, aber ich befürchte nicht, dass sie einwandern. Krähenangriffe halte ich eher für die Ausnahme. Mit Abstand das gefährlichste Tier in Städten ist nach wie vor der Hund. Wenn er ein Wildtier wäre, würden alle sofort nach einem Jäger schreien.

Wie soll ich einem Wildtier in der Stadt begegnen?

Viele wissen nicht, wie sie sich verhalten sollen, weil die Nähe ungewohnt ist. Sie füttern die Tiere, weil sie sie niedlich finden. Aber die Tiere verlieren so ihre Scheu und Unfälle häufen sich. Falsch ist auch, die Flucht zu ergreifen. Amerikaner wissen inzwischen, dass man bei einer Begegnung mit einem Kojoten Dominanz zeigen sollte. Auch unseren Umgang mit Biomüll müssen wir überdenken. In den USA gibt es längst bärensichere Kästen für Gartenbesitzer. Vor allem aber sind die Tiere in der Stadt ein Grund zu Freude. Ich finde die Wildnis vor unserer Haustür toll.

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