Süddeutsche Zeitung

Ehe und Partnerschaft:Liebling, lass uns schrumpfen

Bill und Melinda Gates betonen, in ihrer Beziehung nicht mehr "gemeinsam wachsen" zu können. Wie wäre es mit "gemeinsam schrumpfen"? Eine Stilkritik.

Von Martin Zips

In einer gemeinsamen Presseerklärung haben Bill und Melinda Gates als Grund für ihre Trennung angegeben, sie könnten als Paar nicht mehr "gemeinsam wachsen". Das wirft Fragen auf! Offensichtlich gingen beide Partner davon aus, dass ein Paar selbst nach 27 Ehejahren und drei volljährigen Kindern auch weiterhin einen Anspruch auf gemeinsames Wachstum hat.

"Wachstum" ist ein Begriff, der sowohl im Wirtschaftsteil der Zeitungen ("Nachholeffekte versprechen baldiges Wachstum") wie auch in biblischen Gleichnissen vorkommt (Gleichnis vom Wachsen der Saat: Mk 4, 26-29). Welche Art von Wachstum ist hier gemeint? Ist es ein eher exponentielles Wachstum, welches etwa während Pandemien beobachtet werden kann und auch in vielen Religionen eine Rolle spielt (Gleichnis vom Senfkorn; Vermehrung von Fisch, Brot und Wein)? Oder ist es ein langsames, gerne auch von der Ökonomie, Medizin oder Biologie als "gesund" beschriebenes Wachstum?

Generell stellt sich die Frage, ob der Anspruch in einer etwas in die Jahre gekommenen Beziehung überhaupt noch im "gemeinsamen Wachstum" bestehen kann. Von älteren Paaren ist oft die Erkenntnis zu hören, dass sich der Reichtum einer Beziehung ab einem gewissen Alter vornehmlich in zeitlichen sowie räumlichen Trennungen entfaltet. Die gemeinsame Zukunft wird hier durch individuelle Schrumpfungsmaßnahmen also erst ermöglicht. Das zumindest temporäre Zulassen einer Schrumpfung in der Partnerschaft allerdings gilt gesellschaftlich als verpönt. Anders als eine vornehmlich auf eigenes Wachstum ausgerichtete Existenz (Buchtitel: "Jetzt bin ich mal dran!"). Dabei ist das etwaige Schrumpfen einer Beziehung durch traditionelle Eheschließungsformeln ("in guten wie in schlechten Tagen") durchaus inkludiert.

War oder ist eine Partnerschaft vornehmlich auf "gemeinsames Wachstum" ausgerichtet, wie offenbar bei Bill und Melinda Gates, so erinnert das an die Sprache der Ökonomen, wo etwa von "Wachstumszwang im Kapitalismus" die Rede ist. Da es sich bei Bill Gates (laut Forbes) um den viertreichsten Menschen der Welt handelt, dessen berufliches Leben bei Microsoft lange ausschließlich von Wachstum geprägt war, ist der Satz "Wir glauben nicht mehr, dass wir als Paar in dieser nächsten Lebensphase gemeinsam wachsen können" keine Überraschung.

Gerade in einer Partnerschaft allerdings ist vor der Erwartung eines langjährigen gemeinschaftlichen Wachstums an dieser Stelle unbedingt zu warnen! Die Verbundenen könnten sich damit einen Druck auferlegen, dem sie über die Jahre hinweg nicht gewachsen sind. Hingegen dürfte der gemeinsam formulierte Satz "Wir haben das permanente Schrumpfen unserer Beziehung einfach nicht mehr ausgehalten" als Begründung für eine Trennung jedem sofort einleuchten.

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