Bild vs. Gysi:Rote Flecken und der Wahlkampf

Die Bild-Zeitung und Gregor Gysi liegen im Streit: Das Springer-Blatt hat auf seiner Titelseite Bilder vom Gehirn des PDS-Politikers im Computer-Tomographen veröffentlicht. Der will davon nichts gewusst haben - und nun klagen.

Von Hans Leyendecker

Der Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, definiert Aneurysma als "Ausweitung eines arteriellen Blutgefäßes infolge angeborener oder erworbener Wandveränderungen". Also kein leichter Stoff für Nichtmediziner. Erstaunlich, dass ausgerechnet Bild auf Seite eins über die Feinheiten dieser "lebensgefährlichen Blutgefäßausbuchtung" informierte.

Bild vs. Gysi: Gysi will gegen die Bild-Zeitung "die notwendigen rechtlichen Schritte einleiten".

Gysi will gegen die Bild-Zeitung "die notwendigen rechtlichen Schritte einleiten".

(Foto: Foto: dpa)

Unter der Überschrift "Gysi zeigt sein Gehirn" publizierte das Blatt am gestrigen Dienstag die Krankengeschichte des PDS-Politikers: "Nach drei Herzinfarkten und einer Hirn-OP zieht er mit Oskar Lafontaine in den Wahlkampf. Ist er dafür fit genug? Gysi sagt Ja und zeigt als erster deutscher Politiker den Wählern sein Gehirn." Daneben ein Foto: "Gysis Gehirn im Computer-Tomographen. Die roten Flecken zeigen Blutströme."

"Eine Positiv-Geschichte", sagt Bild-Chefredakteur Kai Diekmann. Gysi sieht das anders. Er teilte mit, dass es sich bei der Veröffentlichung der Fotos "um eine Einmischung in die unmittelbare Privatsphäre" handele, "die nicht hinnehmbar" sei. Er werde "die notwendigen rechtlichen Schritte einleiten".

Ein in vielerlei Hinsicht bizarrer Fall: Dass die Krankengeschichte eines Politikers nebst Anlagen aus der Krankenakte in einem Boulevardblatt ausgebreitet wird, ist für Deutschland ein Novum. "In den USA ist das in Wahlkämpfen völlig normal", sagt Diekmann.

Den Krankheits-Fall des roten Gysi hat das Blatt in den vergangenen Monaten mit den üblichen Geschichten und dem normalen Tremolo abgearbeitet: "Große Sorge um Gregor Gysi", titelte Bild im vorigen Jahr. "Wie schlimm steht es um den 56-Jährigen?"

Rote Flecken und der Wahlkampf

Oder im August 2004: "Was ist bloß mit Gregor Gysi los? Schon zum dritten Mal in diesem Jahr musste der PDS-Politiker ins Krankenhaus. Das Herz!" Einfühlsam wie eine Nanny begleitete Bild jeden Herzabsacker.

Nach Darstellung Diekmanns hat das Blatt am Donnerstag voriger Woche mit dem PDS-Politiker über dessen Gesundheitszustand und den Wahlkampf gesprochen.

Weil das Interview nicht sehr sexy war und auch Fotos her sollten, wurde am Sonntag ein Termin mit Gysis Arzt, dem Berliner Neurochirurgen Professor Siegfried Vogel, verabredet - der dann "für Bild exklusiv die Krankenakte" öffnete. Zuvor, so Diekmann, habe Vogel beim Patienten die Erlaubnis eingeholt. Was sonst?

Der Mediziner Vogel war am Dienstag nicht erreichbar - er operierte bis 20 Uhr. Gysi erklärte: "Tatsächlich hat die Bild-Zeitung die Fotos ohne meine Genehmigung gebracht und ich hätte den Abdruck solcher Fotos auch niemals genehmigt."

Es scheint eine jener Geschichten im Zwischenreich der Eitlen und der Jongleure vom Boulevard zu sein. Gysi wollte klarmachen, dass er fit für den Wahlkampf sei - und Bild brauchte Fotos und eine originelle Schlagzeile.

Dann war Gysi wohl überascht, dass sein Gehirn titelfähig war. Das eigentliche Presse-Opfer scheint der Professor zu sein, der nach Rücksprache mit Gysi die Krankenakte gezeigt hat. Der Operateur hat gewöhnlich Wichtigeres zu tun.

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