Bilanz:„Gemeindeschwester plus“ bei Einsamkeit kaum Männer erreicht

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Das Projekt „Gemeindeschwester plus“ hilft seit 2015 gegen Einsamkeit im hohen Alter - bislang jedoch vor allem Frauen ohne Migrationshintergrund. Das soll sich künftig ändern.

Direkt aus dem dpa-Newskanal: Dieser Text wurde automatisch von der Deutschen Presse-Agentur (dpa) übernommen und von der SZ-Redaktion nicht bearbeitet.

Mainz (dpa/lrs) - Mehr Teilhabe, mehr Wertschätzung, weniger Scham: Das rheinland-pfälzische Projekt „Gemeindeschwester plus“ hat nach Ansicht von Sozialminister Alexander Schweitzer (SPD) seine Ziele erfüllt, aber trotz aller Erfolge auch noch Potenzial für Verbesserungen. „Hochbetagte fühlen sich dadurch mehr gesehen, sind weniger einsam und bewegen sich auch mehr“, sagte der SPD-Politiker am Montag in Mainz bei der Vorstellung eines zweiten Evaluationsberichts zu dem 2015 gestarteten Projekt.

Das Projekt unterstützt Menschen über 80 im Alltag, indem unter anderem Pflege-, Hilfs- und Sozialangebote vermittelt und Hausbesuche abgestattet werden oder ganz praktische Haushaltshilfe geleistet wird. Ziel ist es, dass ältere Menschen möglichst lange in ihrem eigenen Zuhause leben können. Für die aktuelle Auswertung des Projektes befragte das Institut für angewandte Versorgungsforschung (inav) von Juni 2021 bis August 2022 teilnehmende Pflegekräfte, ältere Menschen selbst und andere Projektbeteiligte.

Schweitzer berichtete, jeder Fünfte nehme die Angebote wegen Einsamkeit in Anspruch. Rund 77 Prozent der Befragten gaben an, dank des Projekts weniger einsam zu sein. Mehr als die Hälfte habe mit der Hilfe der Fachkräfte den Kontakt zur eigenen Familie verbessert.

Es seien bereits viele Menschen erreicht worden, künftig solle das noch bei mehr Männern und Menschen mit Migrationshintergrund gelingen, sagte Schweitzer. Dafür solle das Programm erweitert werden - laut Schweitzer braucht es dafür nicht nur Kaffeetreffs am Nachmittag, sondern es könne auch über einen Stammtisch am Abend nachgedacht werden. Gleichzeitig werde verstärkt nach mehrsprachigen Pflege-Fachkräften gesucht - etwa mit polnischen, russischen, ukrainischen und türkischen Sprachkenntnissen.

Dieser Einschätzung schloss sich Sonja Koch vom Bündnis der Krankenkassen an, die an dem Projekt beteiligt sind. „Wir sehen die Ziele in weiten Teilen erreicht“, sagte Koch, die bei der AOK Rheinland-Pfalz/Saarland den Geschäftsbereich Pflege und Demografie leitet. Das sei gelungen, obwohl die Arbeit in Pandemiezeiten deutlich erschwert gewesen sei. Auch sie hält ein erweitertes Angebot für sinnvoll, denkbar sei etwa „Kochen für Männer“. Kernelement des Projektes werde aber weiterhin der Hausbesuch bleiben.

Aus der Praxis berichtete Petra Studt, Gemeindeschwester in Mainz, dass Betroffene nicht zwingend aus Armut in eine isolierte und abgeschottete Position geraten seien. Es reiche bereits eine Wohnung im fünften Stock ohne Fahrstuhl und schon stelle sich die Frage, wie ältere Menschen ohne Hilfe an Lebensmittel, zum Hausarzt oder an Medikamente kommen könnten. Es gebe keine allgemeine Lösung. „In jeder Wohnung, in jedem Haus gibt es andere Probleme.“

Studt ist täglich unterwegs in der Mainzer Alt-, Neu- und Oberstadt. Dort gibt es nach ihren Angaben etwa 3800 Menschen über 80 Jahren, davon erreiche das Projekt 325. Sie treffe oft auf Menschen, die sich nicht mehr wertgeschätzt fühlten. Sie sollten das Gefühl zurückerlangen, dass sie „nicht nur alt, sondern auch Mensch“ seien.

Ein Grund für die Vereinsamung ist laut Studt die Scham vieler älterer Menschen. „Sie schämen sich, dass sie nicht mehr so aussehen wie früher, dass sie nicht mehr so funktionieren.“ Es falle ihnen schwer, im Familienkreis nach Hilfe zu fragen. Daher setze sie sich für ein vielfältiges kulturelles und soziales Angebot ein, um mehr Senioren und Seniorinnen abzuholen.

Derzeit arbeiten laut Minister Schweitzer 60 Fachkräfte für das Projekt „Gemeindeschwester plus“, bis 2026 soll die Zahl auf 90 erhöht werden. Darüber hinaus plant Schweitzer, das Projekt zunächst in einer Förderrichtlinie und dann in einem Landesgesetz zu verankern. „Ich verspreche mir von einer landesgesetzlichen Grundlage, dass signalisiert wird: Das ist etwas, das nicht mehr weggehen wird“, sagte Schweitzer.

Die Auswertung des Projekts kam unter anderem auch zu dem Ergebnis, dass Kooperationen mit Sportvereinen und Hausärzten noch ausbaufähig sind. Schweitzer ist zudem dafür, die Altersgrenze zu lockern, um mehr Bedürftige zu erreichen - damit 69- oder 70-Jährige, die schon Hilfe brauchten, nicht warten müssten. Schweitzer zufolge blicken auch andere Bundesländer auf das Projekt, sehr interessiert sei beispielsweise der Nachbar Nordrhein-Westfalen.

© dpa-infocom, dpa:230319-99-13493/5

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