Bienen:Honig, frisch gezapft

23 Millionen mal wurde das Werbevideo des Australiers Cedar Anderson bereits angeklickt. Mit einem selbstgebauten Bienenstock bringt er Honig zum Fließen. Traditionalisten schäumen.

Von Martin Anetzberger

In der Bibel wird Kanaan als das "Gelobte Land" beschrieben, wo Milch und Honig fließen - wie im Paradies. Nun, paradiesisch ist es in der Welt bei Weitem nicht immer, aber das mit der fließenden Milch hat der Mensch auf Erden schon längst hinbekommen. Eine hochgezüchtete Kuh steht im Stall, bekommt, vereinfacht gesagt, vier Saugnäpfe über die Zitzen gestülpt. Schalter an, Milch marsch!

Ähnliches hatte Cedar Anderson für Honig im Sinn, als er der Welt vor etwa eineinhalb Jahren seine Erfindung mit dem Namen "Flow Hive" präsentierte. Sein Video, mit dem er per Crowdfunding Geld einsammeln wollte, ging viral (auch SZ.de berichtete damals darüber). Übersetzt heißt "Flow Hive" so viel wie fließender Bienenstock oder Fluss-Bienenstock.

Den Bienen bleibt so Stress erspart, sagt Anderson

Der junge Mann, der aus einer Imkerfamilie stammt, hatte tatsächlich Honig aus dem Bienenstock zum Fließen gebracht. In dem Video sieht man Anderson, wie er einen Metallstab in seinen selbstgebauten Kasten steckt, ihn herumdreht und schon läuft der Honig wie aus einem Zapfhahn in ein bereitgestelltes Glas.

Wie funktioniert das? Anderson hat Platten mit vorgefertigten Waben entwickelt, in die die Bienen ihren Honig füllen und die sie dann versiegeln können. Der Australier hat allerdings einen mechanischen Kniff eingebaut: Dreht er an seinem Metallstab, werden die einzelnen Waben gegeneinander verschoben und öffnen sich. Durch einen Kanal kann der Honig nach außen abfließen. Ohne, dass der Bienenstock geöffnet werden und die Platten mit dem Honig entnommen werden müssen. Ohne, dass die Bienen in eine Stresssituation gebracht werden, wie Anderson sagt - und ohne, dass der Imker sich in einen Schutzanzug zwängen muss, um nicht gestochen zu werden.

Andersons Video kam besser an als das Durchschnitts-Werbevideo, um es bescheiden auszudrücken. Innerhalb weniger Wochen hatte er in Form von Vorbestellungen für seinen "Flow Hive" mehr als zwölf Millionen US-Dollar eingesammelt. Und der Hype scheint ungebrochen. Vor wenigen Tagen tauchte auf der Facebook-Seite des Technikportals The Verge erneut ein Video über Andersons Bienenstock auf, diesmal noch professioneller produziert: Superslomo-Aufnahmen von fliegenden Bienen, eingeblendete Erläuterungen, sehr ästhetische und scharfe Bilder. Es wurde bisher 400 000 Mal geteilt und etwa 23 Millionen Mal angeklickt.

Neben viel Honig und vielen Likes erntet Anderson auch heftige Kritik. Denn was für die einen eine Revolution ist, provoziert Traditionalisten. Die Bienen verlernten so, natürliche Waben zu bauen, heißt es da. Außerdem verliere der Imker den direkten Kontakt zu den faszinierenden Lebewesen, meinen die Bienenfreunde. Andere lassen sich, weniger sachlich, nur über das äußere Erscheinungsbild der Personen aus: "Dem Video nach zu urteilen, dürfen nur Hipster mit Smartwatch und Warby-Parker-Brillengestellen mit Fenstergläsern diesen neumodischen Apparat zur Honig-Herstellung bedienen", schreibt ein User.

Ob Cedar Anderson das juckt? Er könnte zumindest als jener Mann in die jüngere Geschichte eingehen, der nach der Milch auch den Honig zum Fließen gebracht hat.

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