BGH-Urteil zu Sterbehilfe:Sterbewunsch einer Todkranken muss beachtet werden

  • Der Bundesgerichtshof gibt zwei Klägern recht, die sich für den Sterbewunsch ihrer todkranken Angehörigen eingesetzt haben.
  • Grundlage für die Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist ein Gesetz von 2009: Darin ist geregelt, dass nicht nur schriftliche Patientenverfügungen bindend sind, sondern auch mündliche Äußerungen von Betroffenen.
  • Zuvor hatte das Landgericht Chemnitz die Klage abgewiesen. Die Chemnitzer Richter waren allerdings von falschen rechtlichen Voraussetzungen ausgegangen.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Die Frau war gerade einmal 46 Jahre alt, als das Leben, wie sie es bisher geführt hatte, mit einem Schlag zu Ende war. Gehirnblutung, Wachkoma, künstliche Ernährung über eine Magensonde: Sie habe keine Chance auf Genesung, stellten die Ärzte fest, jegliche Kontaktaufnahme mit ihr war unmöglich.

Für Ehemann und Tochter - beide waren zu Betreuern bestellt - begann in jenem September 2009 der Kampf darum, die todkranke Frau sterben zu lassen. Beim Landgericht Chemnitz sind sie gescheitert - doch nun haben sie beim Bundesgerichtshof (BGH) recht bekommen. (Az: XII ZB 202/13)

Der Beschluss des zwölften BGH-Zivilsenats unter Vorsitz von Hans-Joachim Dose ist eine eindrucksvolle Bekräftigung dessen, was der Gesetzgeber im Jahr 2009 geregelt hat. Keine drei Wochen, bevor die Frau ins Koma fiel. Der Wille des Patienten ist allein maßgeblich für den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen - "unabhängig von der Form, in der er geäußert worden ist".

Das galt zwar schon vor 2009. Der BGH hatte beispielsweise 2005 entschieden, Zwangsbehandlungen gegen den Willen des Betroffenen seien rechtswidrig, auch wenn sie lebenserhaltend seien.

Auch frühere mündliche Äußerungen sind bindend

Das Gesetz von 2009 indes regelt die Details. Danach sind nicht nur schriftliche Patientenverfügungen bindend, sondern auch frühere mündliche Äußerungen des Betroffenen, wenn sie denn mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt sind. Und falls sich der Arzt und der bestellte Betreuer über diesen Willen einig sind, müssen sie nicht einmal ein Gericht einschalten.

Im konkreten Fall indes war es Sache der Chemnitzer Richter, den Willen der Komapatientin herauszufinden. Die Aussagen von Mann und Tochter, Mutter, Schwester, Freundin: Sie gingen alle in dieselbe Richtung - keine lebenserhaltende Maßnahmen.

Mehrmals habe die Frau gesagt, sie wolle "für immer einschlafen", falls sie im Koma liege. Und zwar in Situationen, in denen man sehr ernsthaft über solche Situationen nachdenkt: Einmal war die Nichte ihrer Freundin schwer krank geworden, ein andermal war es ihr Vater, der nach kurzzeitigem Koma starb. Kurz vor ihrer Erkrankung lag bereits das Formular für die Patientenverfügung auf dem Tisch.

Urteil mit falschen rechlichen Voraussetzungen

Dem Landgericht reichte das nicht. Man habe nicht den Eindruck, "dass der derzeitige Zustand von der Betroffenen selbst als leidvoll oder quälend empfunden werde", heißt es in dem damaligen Urteil. Allerdings waren die Chemnitzer Richter von falschen rechtlichen Voraussetzungen ausgegangen.

An die Ermittlung des Willens, so meinten sie, seien "erhöhte Anforderungen" zu stellen, falls der Tod noch nicht unmittelbar bevorstehe. Soll heißen: Je weiter das Sterben entfernt ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass der Patient nicht sterben will.

Diese etwas gewagte These war insofern überraschend, als im Gesetz das genaue Gegenteil steht: Für die Beachtung des Patientenwillens kommt es gerade nicht darauf an, in welchem Stadium eine Krankheit ist. Der Betroffene darf eine Behandlung selbst dann ablehnen, wenn eine Chance auf Heilung besteht.

Der BGH stellte denn auch klar, dass ein eindeutig festgestellter Wille des Betroffenen nicht auf dem Umweg über dessen "mutmaßlichen" Willen korrigiert werden kann - in den ohnehin meist die eigenen Wertvorstellungen des Betreuers oder des Gerichts einfließen dürften.

Landgericht muss Chemnitzer Fall erneut prüfen

Bleibt die Frage, wie das Gericht die Haltung eines Menschen zum eigenen Tod ermittelt, wenn der sich nicht mehr äußern kann. Dafür gelte ein strenger Maßstab, befand der BGH: Wünsche des Patienten zu Fortsetzung oder Abbruch einer Behandlung seien insbesondere dann aussagekräftig, wenn sie "in Ansehung der Erkrankung zeitnah geäußert worden sind, konkrete Bezüge zur aktuellen Behandlungssituation aufweisen und die Zielvorstellungen des Patienten erkennen lassen", heißt es in dem Beschluss.

Der Münchner Rechtsanwalt Wolfgang Putz, einer der bekanntesten Streiter für die Rechte von Patienten am Lebensende, hat gute Erfahrungen mit der Ermittlung des Patientenwillens gemacht. Er bitte die Angehörigen, unabhängig voneinander ihre Erinnerungen zu einschlägigen Äußerungen des Betroffenen zusammenzutragen. "Eine solche Stoffsammlung ist oft sehr viel überzeugender als das Kreuzchen auf einer Patientenverfügung."

Den Chemnitzer Fall muss das dortige Landgericht nun erneut prüfen. Der Bundesgerichtshof hat dem Gericht aber nahelegt, die früheren Äußerungen der Frau zum Behandlungsabbruch ernst zu nehmen.

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