Illegale Autorennen:Im Ausnahmefall Mord

Tödliches Autorennen in der Berlin City - Urteil erwartet

Fahrzeugteile liegen auf der Tauentzienstraße in Berlin nach einem illegalen Autorennen. Nun wurde der Fall als Mord eingestuft.

(Foto: Britta Pedersen/dpa)

Können rücksichtslose Raser, die einen tödlichen Unfall verursachen, wegen Mordes bestraft werden? Ja, hat nun der Bundesgerichtshof entschieden.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Seit Jahren arbeitet sich die Justiz an dieser rechtlich vertrackten und emotional aufgeladenen Frage ab: Können rücksichtslose Raser, die einen tödlichen Unfall verursachen, wegen Mordes bestraft werden? Also mit lebenslanger Haft, der härtesten Strafe, die das Strafgesetzbuch zu bieten hat? Der Bundesgerichtshof hat darauf nun eine rechtskräftige Antwort gegeben - sie lautet Ja. Im selben Atemzug hat der vierte BGH-Strafsenat unter Vorsitz von Beate Sost-Scheible aber deutlich gemacht: Der Mordparagraf, der eigentlich nicht für den Straßenverkehr gemacht ist, kommt hier nur in seltenen und extremen Ausnahmefällen in Betracht.

Wie schwierig das Ringen um die richtige juristische Antwort war, zeigt der Umstand, dass der BGH bereits zum zweiten Mal über diesen Fall zu entscheiden hatte. Die Angeklagten, zwei junge Männer im Alter von damals 24 und 26 Jahren, sind als "Ku'dammraser" zu trauriger Berühmtheit gekommen. Im Frühjahr 2016 waren sie mit PS-starken Autos durchs nächtliche Berlin gejagt: ein spontan verabredetes Rennen, bei dem der Sieg über alles ging.

Als sie bei Rot über eine Kreuzung jagten - der eine mit fast 150, der andere mit mehr als 160 Stundenkilometern -, prallte einer von ihnen mit ungeheurer Wucht quer auf den Wagen eines Familienvaters, der noch am Unfallort starb. Der Fahrer selbst kam leicht verletzt davon, aber der Unfallort glich einem Trümmerfeld. Das Landgericht Berlin verhängte im Februar 2017 ein Urteil, das damals als Warnsignal an die Raserszene gewertet wurde: lebenslange Haft wegen Mordes. Und zwar gegen beide Beteiligte.

Doch schon im ersten Revisionsverfahren rückte die Frage in den Mittelpunkt, ob das eigentlich aufgeht. Kann ein Mensch, der weder sich selbst verletzen noch sein geliebtes Auto beschädigen will, mit dem Vorsatz auf der Straße unterwegs sein, einen anderen Menschen zu töten? Oder fliegen solche Leute in dem wahnhaften Glauben über die Straße, ihnen könne nichts passieren - und leben ihren Geschwindigkeitsrausch aus, koste es, was es wolle? Der BGH sah im ersten Durchgang vor gut zwei Jahren einen Vorsatz nicht als erwiesen, schloss aber auch nicht generell aus, dass Raser als Mörder bestraft werden könnten. In der Neuauflage des Prozesses hielt das Landgericht Berlin denn auch an seiner Auffassung fest und verurteilte die Männer erneut wegen Mordes.

Im zweiten Revisionsurteil hat der BGH nun dieses Urteil bestätigt - allerdings nur gegen den Fahrer, der die Kollision verursachte. Ob sein Mitraser auch Mittäter war - ob es also so etwas wie einen gemeinsamen Tatentschluss gab -, das wird das Landgericht Berlin nun im dritten Durchgang klären müssen.

Kein "klassisches Tötungsdelikt"

Die Senatsvorsitzende Sost-Scheible bemühte sich, deutlich zu machen, dass es auch nach diesem Urteil keineswegs eine allgemeine Regel gebe, solche tödlichen Rennen als Mord einzustufen. Schon deshalb, weil es hier eben nicht um ein "klassisches Tötungsdelikt" gehe, wo der eine den anderen erschieße. Zentral sei die Frage nach dem Vorsatz. Dass der Fahrer mit einem Unfall rechnen müsse, weil er - wie die Ku'dammraser - in unglaublichem Tempo auf eine Kreuzung zurase, sei dafür noch nicht ausreichend. "Der Täter muss sich mit dem Tod eines anderen abfinden. Es muss ihm zumindest gleichgültig sein", erläuterte Sost-Scheible. Eine sehr feine Trennlinie: Hätte der Täter auf den guten Ausgang seiner aberwitzigen Fahr vertraut, dann wäre ihm lediglich fahrlässige Tötung vorzuwerfen.

Dass der BGH hier letztlich doch zum Vorsatz gelangte, hat nach den Worten der Vorsitzenden vor allem mit zwei Erkenntnissen zu tun, die das Landgericht gewonnen hat. Zum einen war dies der bedingungslose Siegeswille des Angeklagten. Er musste sein Risiko aufs Äußerste steigern, um das Rennen zu gewinnen - und nahm dabei auch den Tod eines anderen Verkehrsteilnehmers in Kauf. Zweitens: Er fühlte sich in dem hochmodern ausgestatteten Wagen sicher wie in einem Panzer, was sich daran zeigte, dass er auch bei früheren Rennen nie angeschnallt gewesen sei. Dass er sich bei einem Aufprall auf ein querendes Fahrzeug selbst gefährden könnte, war ihm gar nicht in den Sinn gekommen.

Dass Raser - sei es bei illegalen Rennen, sei es bei der Flucht vor der Polizei - wegen Mordes verurteilt werden, wird aber laut BGH wohl eher die Ausnahme bleiben. Höhere Strafen gegen Raser zu verhängen, ist inzwischen aber auch ohne den Rückgriff auf den Mordparagrafen möglich. 2017 wurden die Vorschriften gegen illegale Autorennen verschärft; wer bei einem illegalen Rennen den Tod eines Menschen verursacht, kann seither mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft werden - davor waren es fünf. Inzwischen geht die Polizei zudem mit mehr Nachdruck gegen illegale Rennen vor.

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