Süddeutsche Zeitung

Verhandlung am Bundesgerichtshof:Todesfahrt nach Freigang

  • Um die Verantwortung von Justizvollzugsbeamten für Häftlinge im offenen Vollzug ging es am Mittwoch vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe.
  • Im vorliegenden Fall hatte ein Mann, der wegen notorischen Fahrens ohne Füherschein verurteilt war, einen tödlichen Autounfall verursacht.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Es war eine Entscheidung, wie sie in Gefängnissen tausendfach zu treffen ist. Zwei Bedienstete im rheinland-pfälzischen Strafvollzug hatten einem Gefangenen, der wegen notorischen Fahrens ohne Führerschein verurteilt war, in den offenen Vollzug aufgenommen - eine Freiheit, die er für eine illegale Autofahrt mit tödlichen Folgen genutzt hatte. Das Landgericht Limburg hatte die beiden Angestellten überraschend zu einer Bewährungsstrafe wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. In der Revisionsverhandlung an diesem Mittwoch vor dem Bundesgerichtshof sah es so aus, als könnte es doch noch gut für den Mann und die Frau ausgehen: Sogar die Bundesanwaltschaft forderte ihren Freispruch.

Der Gefangene hatte damals, Anfang 2015, bereits eine lange Liste von fast zwei Dutzend einschlägiger Vorstrafen - Fahren ohne Fahrerlaubnis, gelegentlich in Verbindung mit anderen Delikten. Insgesamt 14 Jahre Haft hatte er bis zu seinem 44. Lebensjahr angesammelt. Trotzdem gab man ihm eine günstige Prognose und lockerte den Vollzug: Er ging außerhalb des Gefängnisses zur Arbeit, auch "Ausgänge" wurden ihm gewährt.

Was niemand ahnte: Sein Auto mit falschem Nummernschild parkte nicht weit vom Gefängnis, und er nutzte es, sobald er draußen war. Am 28. Januar 2015 geriet er in eine Polizeikontrolle, raste den hinterherjagenden Polizisten davon und prallte nach einer aberwitzigen Geisterfahrt auf ein anderes Auto, in dem eine 21-Jährige ums Leben kam.

Der Verteidiger warf die Frage nach der Verantwortung der Polizisten auf

Der Mann ist deshalb längst wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Vor dem BGH ging es allein um die Frage: Konnten die Vollzugsbediensteten bei der Gewährung von Haftlockerungen die fatale Todesfahrt vorhersehen - mit der Folge, dass sie sich der fahrlässigen Tötung schuldig gemacht haben?

Die Vertreterin der Bundesanwaltschaft sah dafür selbst angesichts der langen Vorstrafenliste keinen Anhaltspunkt: "Ein solches Verhalten hatte es vorher nicht gegeben." Verteidiger Mark Zöller ging sogar so weit, die Frage nach einer Verantwortung der Polizisten aufzuwerfen, die bei der Verfolgung des Geisterfahrers seiner Ansicht nach "jede erdenkliche Dienstvorschrift außer Acht gelassen haben. Das war ein völlig verpfuschter Polizeieinsatz". In jedem Fall dürfe man das Risiko einer solchen Lockerung, die im Gesetz ausdrücklich vorgesehen und laut Bundesverfassungsgericht immer zu prüfen sei, nicht auf die JVA-Angestellten abwälzen. "Das Risiko muss die Gesellschaft tragen."

Der BGH wird sein Urteil am 26. November verkünden.

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SZ vom 26.09.2019/olkl
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