Betty Ford Center in Kalifornien:Zu Besuch in der Promiklinik

Former First Lady Betty Ford File Photos

First Lady Betty Ford vor ihrer Klinik. Als das Bild 1987 entstand, hatte sie ihre Alkoholsucht schon ein paar Jahre im Griff.

(Foto: Getty Images)

Lindsay Lohan, David Hasselhoff und viele andere Promis sind bereits ins Betty Ford Center gekommen, um ihre Drogensucht zu bekämpfen. Die Oase in der kalifornischen Wüste ist die bekannteste Entzugsklinik der Welt. Einen Whirlpool und eine Terrasse mit Blick auf einen Wasserfall sucht man trotzdem vergeblich. Ein Besuch.

Von Jürgen Schmieder, Rancho Mirage

Wer über das Gelände des Betty Ford Centers spaziert, der sieht ein paar Palmen, ein Volleyball-Spielfeld ohne Netz und hin und wieder einen Patienten, der von einem Haus zum anderen geht. Es ist heiß hier im Südosten Kaliforniens, das Thermometer zeigt mehr als 40 Grad an. Den Insekten scheint das zu gefallen, das monotone Brummen begleitet einen auf dem Weg zur Kantine. Dort gibt es Mittagessen, die Menschen haben Früchte und Salat auf ihren Tellern, sie trinken Orangensaft und Wasser. Es sieht aus wie in der Mensa einer Universität - und irgendwann fragt man sich dann doch: Das also ist die berühmteste Entzugsklinik der Welt?

Wo sind die luxuriösen Einrichtungen für die prominenten Bewohner? Wo ist der Whirlpool? Wo ist die Terrasse mit Blick auf einen Wasserfall? Und überhaupt: Wo ist Lindsay Lohan - die soll doch gerade wieder mal hier sein? Oder der ehemalige Boxer Oscar de la Hoya? Vielleicht Zac Efron? Der Typ da am Tisch, der gerade einen Apfel isst, das könnte ein Promi sein! Vielleicht aber auch nicht.

"Luxus haben wir hier nicht", sagt John Boop, Präsident der Betty Ford Center Foundation. Beim Rundgang sorgt er dafür, dass man nur ja nicht zu lange Ausschau hält nach Berühmtheiten. "Wir haben einen Fitnessraum. Bei gutem Wetter kann man bis zu den Bergen in der Wüste sehen. Und wir haben einen Hund: Der heißt Irish und ist bei den Patienten sehr beliebt." Dann führt er einen weiter in einen Hörsaal, in dem Betty Ford einst den Patienten ein Mal pro Monat von ihrer Sucht und der Behandlung berichtete: 120 herunterklappbare Stühle, Holzpodium, Mikrofon. Gott, ist das normal hier!

Das Center ist ein Teil der Popkultur

Wenn sich ein prominenter Patient in Entzug begibt, dann ist in den bunten Zeitschriften meist das Betty Ford Center als Ort angegeben - es ist ein Teil der Popkultur und wird ständig in Filmen, Fernsehserien und Talkshows erwähnt. Wer jedoch glaubt, dass dort Rockstars neben Schauspielerinnen und Sportlern am Pool fläzen, sich Massagen und eine Pediküre gönnen und danach rauchen, um vom Kokain runterzukommen, der täuscht sich. Solche luxuriösen Kliniken gibt es natürlich: Das Promises etwa liegt direkt am Strand von Malibu und wirkt eher wie ein Sechs-Sterne-Hotel denn wie eine Entzugsklinik, das Passages nicht weit davon entfernt ist ein barocker Palast, in dem die Gäste wie Adlige behandelt werden. In beiden Kliniken gibt es Terrassen mit Ozeanblick.

Das Betty Ford Center ist anders, das ahnt man schon auf der mehr als zwei Stunden dauernden Fahrt von Los Angeles. An der Schnellstraße I-10 steht ein Schild, auf dem steht: "Welcome to the Desert" - Willkommen in der Wüste. Dann gibt es 20 Minuten lang nur Sand und Steine zu sehen, erst danach passiert man wieder ein Dorf, in dem sich nicht nur Füchse und Hasen, sondern auch giftige Schlangen und Spinnen eine gute Nacht wünschen. Hierhin kommt niemand, weil er es will. Hierhin kommt, wer Angst hat zu sterben.

Journalisten werden lediglich geduldet, sie müssen Handys, Fotoapparate und Aufnahmegeräte abgeben. Man darf nicht mit den Bewohnern sprechen und auch nicht über sie. Es gibt keine Information darüber, welcher Promi hier war, wer gerade hier ist und wer womöglich bald kommen wird. Wer eine Berühmtheit sieht, der hat sich zuvor verpflichtet, niemandem zu erzählen, wen er gesehen hat. Das Betty Ford Center ist eine anonyme Oase für jene Hollywood-Persönlichkeiten, die es wirklich ernst meinen mit dem Entzug und nicht nur ein paar Tage ausspannen möchten.

Alle sind gleich, auch die Promis

Mitunter behaupten die Celebrity-Agenten, dass ihr Klient in der Klinik eingecheckt habe - obwohl der sich in Wirklichkeit auf Partys vergnügt. Die Gesetzgebung in Kalifornien verbietet es dem Betty Ford Center, über Patienten zu sprechen. Sie dürfen nicht einmal klarstellen, dass jemand nicht da ist. Freilich gibt es Berühmtheiten, die offen über ihren Entzug sprechen, wie etwa Steven Tyler. Der Aerosmith-Sänger war vor vier Jahren wegen Schmerzmittelsucht hier und dient nun als Telefonjoker für den Arzt Harry Haroutunian: "Er ist ein Freund von mir. Er hat schon öfter zum Hörer gegriffen und Patienten zum Durchhalten überredet."

Haroutunian ist der Arzt, mit dem die Patienten zuerst sprechen, wenn sie nach Rancho Mirage kommen: "Sie sind hier, um zu arbeiten. Hier sind alle gleich. Es gibt keine Sonderbehandlung für Promis, auch wenn das viele Menschen glauben." Das hat mit den Erlebnissen von Betty Ford zu tun. "Als sie sich im Jahr 1978 nach einer Intervention ihrer Familie in eine Entzugsklinik begab, wurde ihr ein Zimmer zugewiesen, in dem sich bereits drei Frauen befanden", sagt Haroutunian. Ford habe sich beschwert, dass ihr als ehemaliger First Lady ein Einzelzimmer zustehe. Die Doktoren hätten daraufhin erklärt, dass dies nur möglich sei, wenn die anderen Frauen nach Hause geschickt würden. Das wollte Betty Ford nicht und absolvierte ihren Entzug in einem Vier-Bett-Zimmer: "Diese Geschichte hilft, wenn ein Prominenter hierher kommt und glaubt, er müsse in einem Einzelzimmer residieren oder wie ein Star behandelt werden. Wir sagen dann: Wenn es die First Lady ertragen hat, dann schaffst du das auch!"

In Erinnerung an den Entzug der Gründerin gibt es in jedem der fünf Wohngebäude auf dem Campus - zwei für Frauen, zwei für Männer, eines für die zu entgiftenden Neuankömmlinge - ein Vier-Bett-Zimmer, alle anderen Räume werden von jeweils zwei Patienten bewohnt. "Es werden niemals zwei Stars zusammengelegt", sagt Haroutunian. Die Zimmer sind spartanisch eingerichtet, es gibt keinen Fernseher, kein Telefon und keinen Computer. Die Bewohner können zu festgelegten Zeiten das öffentliche Telefon im Flur benutzen. Nach der Entgiftung dürfen Patienten auch in kleinen Häusern auf dem Campus wohnen und sich selbst versorgen - in den 15 Gebäuden sind jeweils sechs Menschen untergebracht.

Rollenklischees? Braucht hier niemand

Prominente Patienten dürfen während ihres Aufenthalts keinesfalls auffallen. Aber, und das ist wohl der große Unterschied zu vielen anderen Einrichtungen: Für eine kurze Zeit lang müssen sie auch keine Promis sein. Genau dies ist das Erfolgsrezept; die Klinik ist auch deshalb beliebt, weil die Menschen hier drinnen ein paar Wochen lang nicht ihr eigenes Rollenklischee erfüllen müssen.

Am 4. Oktober 1982 wurde die Einrichtung von Betty Ford eröffnet, der Gattin von Gerald Ford, dem 38. Präsidenten der Vereinigten Staaten. Nach ihrem erfolgreichen Entzug berichtete sie Freunden von ihren Erfahrungen. Diese Erzählungen waren derart beeindruckend, dass sie zunächst gebeten wurde, Vorträge zu halten und Seminare zu leiten. Wenig später eröffnete sie gemeinsam mit dem Arzt James West die Einrichtung neben dem Eisenhower Medical Center. Aufgrund ihres offenen Umgangs mit Fehlern und Krankheiten - sie hatte sich 1974 wegen Brustkrebs behandeln lassen und ihre Erlebnisse veröffentlicht - trauten sich schnell auch andere Prominente, mit ihren Problemen und Süchten nach Rancho Mirage zu kommen. Zu den ersten Patienten gehörten Johnny Cash, Ozzy Osbourne und Elizabeth Taylor. So kam die Klinik zu ihrem Ruhm, denn es sprach sich herum: Wenn Ozzy das kann, dann kannst du das auch! Der Rocksänger sagt über seine Zeit: "Meine Frau Sharon sagte mir, dass es einen Ort gebe, an dem sie einen lehren, verantwortungsbewusst zu trinken. Ich sagte: ,Oh, was ist das für ein Ort? Eine Bar?' Sie stellte mir das Betty Ford Center vor - und alles, was ich sagen kann ist, dass ich mich sehr, sehr glücklich schätzen kann, noch am Leben zu sein." Eine bessere Werbung gibt es nicht.

Alkoholismus und Drogenabhängigkeit galten in den Achtzigerjahren als Männerkrankheiten und wurden dementsprechend behandelt. Ford wusste aus eigener Erfahrung, dass sehr wohl auch Frauen betroffen sind - und dass sich die Krankheit auf die ganze Familie auswirken kann.

Um fünf Uhr stehen die Bewohner auf

Aus diesem Grund gibt es ein Programm für die Angehörigen - und ein Haus, in dem die Kinder von Süchtigen vier Tage lang kostenlos behandelt werden. "Wir machen ihnen klar, dass ihre Eltern krank sind und dass das nicht ihre Schuld ist", sagt Boop. Er deutet auf eine Wand mit mehr als 500 bemalten Kacheln. Die Kinder sollen ihre Sorgen und Wünsche auf einer kleinen Keramiktafel festhalten. Es sind kleine Zeugnisse davon, was die Angehörigen von Süchtigen durchmachen. Auf einer Tafel steht: "Do Hugs not Drugs". Auf einer anderen ist neben dem Logo des Footballvereins Oakland Raiders eine Person zu sehen, die einen Ball fallen lässt. Ein Kind hat auf seine Tafel nur ein schwarzes Kreuz gemalt.

Mehr als 100.000 Patienten sind mittlerweile in Rancho Mirage behandelt worden. Bis 2005 war Ford die Vorsitzende des Aufsichtsrats, bis zu ihrem Tod am 8. Juli 2011 im Alter von 93 Jahren kam sie oft hierher, um mit Patienten und Ärzten zu sprechen. Das Betty Ford Center veröffentlicht keine Erfolgsquoten, Patienten werden nicht als geheilt bezeichnet, sondern als lediglich auf dem Weg der Besserung. Statt einer Goldmedaille gibt es eine aus Bronze. "Alkoholismus und Drogensucht sind Krankheiten, bei denen ein Rückfall jederzeit möglich ist", sagt Boop. Das würden die wiederholten Aufenthalte von Patienten wie Lindsay Lohan zeigen, die sich kürzlich im Betty Ford Center und der Cliffside Clinic in Malibu behandeln ließ.

Sicher, man darf zwar keinen Promi sehen bei diesem Besuch, so sehr man sich auch anstrengt, einen zu entdecken. Aber man merkt den Verantwortlichen an, dass sie schon recht stolz darauf sind, dass auch Hollywood-Stars nach Rancho Mirage pilgern und dem strengen Programm vertrauen. Um fünf Uhr morgens stehen die Bewohner auf und beginnen mit dem speziell für sie entwickelten Tagesablauf, der auf dem Zwölf-Schritte-Programm der Anonymen Alkoholiker basiert. Haroutunian darf (natürlich) nicht über Erlebnisse mit prominenten Patienten sprechen, er berichtet lediglich, dass es gerade während des Entgiftungsprozesses mitunter zu dramatischen Szenen komme: "Wer hierher kommt, für den geht es um Leben und Tod." Man muss sich selbst vorstellen, was Robert Downey Jr., David Hasselhoff oder Anna Nicole Smith hier erlebt haben.

Das Center hat einen guten Ruf

Mehr als 250 Mitarbeiter kümmern sich um die derzeit etwa 110 Patienten, die mindestens 30 und bis zu 90 Tage bleiben und dafür bis zu 66.750 US-Dollar bezahlen. Sie werden entgiftet, sie nehmen an Gruppensitzungen teil, sie müssen dafür sorgen, neben ihrem Kopf auch den Körper wieder fit zu bekommen. Vor allem aber sollen sie zur Ruhe kommen und sich eine Zeit lang nicht um die Welt da draußen kümmern. Im Hauptgebäude gibt es einen kleinen Raum, den Betty Ford entworfen hat und durch dessen Glasscheibe man auf einen kleinen Bach blicken kann. Ruhig ist es hier, man fühlt sich schon nach ein paar Sekunden geborgen und allein mit sich und seinen Gedanken. "Wenn der Secret Service nicht wusste, wo sie war, dann haben sie zuerst hier nachgesehen. Sie saß auf dem Teppich und betete oder meditierte", sagt Boop, "heute kommen die Patienten hierher, um in Ruhe über sich nachzudenken oder Einzelsitzungen zu absolvieren."

Das Betty Ford Center hat einen guten Ruf, nicht nur bei Menschen, die einen Besuch dringend nötig haben. Das zeigt auch die aktuelle Debatte um hochpreisige Entzugskliniken in den Vereinigten Staaten - Luxusresorts mit Ozeanblick würden die Menschen nur ärmer, nicht gesünder machen, für einen Süchtigen sei ein Aufenthalt so sinnvoll wie der Besuch einer Bar in West Hollywood. Explizit ausgenommen von dieser Kritik in den amerikanischen Medien: das Betty Ford Center.

Wer Rancho Mirage verlässt, ist nicht selten ein anderer als zuvor. Er muss jedoch zurück in eine Welt, die immer noch die gleiche ist. Viele Patienten fahren zurück nach Los Angeles, in die Stadt der Verrückten - und schon nach wenigen Metern gibt es die erste Erinnerung daran: Sie überqueren eine Straße, die nach Frank Sinatra benannt ist. Der Entertainer ("The Voice") war berühmt für seine Stimme. Und für die Fähigkeit, locker eine Flasche Whiskey pro Tag zu trinken.

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