Süddeutsche Zeitung

Platzverweise gegen Bettler:Kalte Herzen und ein Kniff

  • In mehreren deutschen Großstädten setzen die Behörden verstärkt polizeiliche Mittel gegen Bettler ein - darunter Nürnberg und Frankfurt.
  • Obwohl das stillte Handaufhalten laut einem Urteil des Verfassungsgerichts 1970 nicht kriminalisiert werden darf, fanden Städte immer wieder findige Lösungen, um gegen Obdachlose vorzugehen.
  • Aktuell wird die Debatte von einer neuen Figur vorangetrieben: der "osteuropäischen Bettelbande".

Von Ronen Steinke

Von einem dramatischen Anstieg ist die Rede, 100 Mal im Monat rückt die Polizei derzeit aus, um einer sehr speziellen "Tätergruppe" zu Leibe zu rücken. Allein in einer einzigen Stadt: Bettler beschäftigen derzeit die Polizei in Nürnberg. Es werden Platzverweise ausgesprochen, Münzen aus Pappbechern gefischt und sichergestellt - und zwar, wie der Pressesprecher der mittelfränkischen Polizei, Robert Sandmann, klarstellt: "als Sicherheitsleistung im Vorgriff auf die zu erwartende Geldbuße von 50 Euro zuzüglich Verwaltungsgebühren von 28,50 Euro". Die Polizei in der Stadt schlage "Alarm", schreibt die Bild-Zeitung. Die Zahl der Einsätze habe sich binnen eines Jahres verdoppelt, bestätigt Sandmann. Die Zahl der Bettler, vor allem aus Osteuropa, sei gestiegen. Die Polizei blicke aber auch genauer hin.

So wie in Nürnberg in diesem Sommer die Ordnungsbehörden ausrücken, so hat sich auch bundesweit in vielen Städten eine neue Aufgabe für die Polizei etabliert. Die Grenzen nach Osten sind seit der EU-Osterweiterung durchlässig, das Wohlstandsgefälle ist teils enorm. Dass die Behörden Bettler mit polizeilichen Mitteln verfolgen, ist trotzdem nicht selbstverständlich - zumal es in Nürnberg und anderswo nicht nur um "aggressives" Betteln geht, sondern um jegliches Betteln. Ein Bettler, der sich sitzend "vornüberbeugt", das sei schon eine "Behinderung der Passanten", gegen die man vorgehe, sagt der Nürnberger Polizeisprecher Sandmann. In Stuttgart gehen die Beamten inzwischen mit eigenen Sonderstreifen vor, in Frankfurt am Main heißt es, die Zahl der Bußgeldverfahren habe sich im Vergleich zu früheren Jahren vervierfacht. Um so weit zu gehen, müssen Kommunen von einer kleinen juristischen List Gebrauch machen.

Eigentlich hat das Bundesverfassungsgericht 1970 klargestellt, dass das stille Handaufhalten, also die bloße Konfrontation mit dem Anblick von Armut, nicht kriminalisiert werden darf. Das war eine bewusste Abkehr von früheren Zeiten, denn wer in den Anfangsjahren der Bundesrepublik bettelte, der konnte sich noch nach den alten Kaiserzeit-Paragrafen der "Bettelei" oder "Landstreicherei" strafbar machen.

Damit müsse Schluss sein, entschied Karlsruhe. Die Stadt München war die erste, die darauf 1980 eine findige Erwiderung gab: Dann müsse man Bettler eben als Gewerbetreibende betrachten - die allerdings eine Genehmigung benötigten. Münchens Ordnungsbeamte schrieben Bußgelder und schickten Streifen los. Aus der kleinen List ist inzwischen ein großer Trend erwachsen. Regensburg und Augsburg folgten als Erste, sie erklärten in kommunalen Satzungen fast wortgleich das Betteln zur genehmigungspflichtigen "Sondernutzung" ihrer Flächen - und schlossen deren Genehmigung im selben Atemzug aus. Viele kleinere Gemeinden, die vom Tourismus leben, aber auch Großstädte wie Frankfurt, Bremen oder Erfurt, folgten in den Neunzigerjahren. Nur die Begründungen haben sich mit der Zeit gewandelt.

"Sichere Stadt" und "Saubere Stadt"

1980, als der damalige Münchner CSU-Oberbürgermeister Erich Kiesl erstmals seine Bediensteten anwies, Bettler von ihren Sitzplätzen zu vertreiben, begründete er dies mit der Sorge um das Erscheinungsbild der Innenstadt. Auch Prostituierte mussten damals weichen. In den Neunzigerjahren rückten einige Städte das "subjektive Sicherheitsgefühl" ihrer Bevölkerung in den Fokus. Nürnberg etwa verdrängte unter den Schlagwörtern "Sichere Stadt" und "Saubere Stadt" nicht nur Bettler, sondern auch Punks und andere, die auf öffentlichen Plätzen "lagerten".

Zuletzt, so sagt der Marburger Sozialforscher Titus Simon, der die Situation von Obdachlosen bundesweit untersucht hat, seien die Debatten um kommunale Bettelverbote von einer neuen Figur vorangetrieben worden: der "osteuropäischen Bettelbande". Unter den verwahrlosten, teils versehrten Bettlern in deutschen Innenstädten finden sich etliche Ausländer. Sie sind es nun, auf welche die Stadtpolitiker zuvorderst verweisen. Die Kriminalpolizei kennt Fälle von gewaltsam genötigten, von Hinterleuten misshandelten Bettlern - wobei es laut einem Lagebild des Bundeskriminalamts im jüngsten Berichtsjahr 2017 bundesweit nur zwei Ermittlungsverfahren wegen Ausbeutung bei der Ausübung der Bettelei gab. Die Masse der Einsätze gegen Bettler mache dies nicht aus, sagt der Nürnberger Polizeisprecher Sandmann. Oft könnten die Beamten, die einen Bettler seines Platzes verwiesen, auch gar nicht wissen, was der Hintergrund sei.

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SZ vom 23.08.2019/mane
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