Besuch bei einem Aktenvernichter:Im Schredder

Ein bisschen schreddern, ein bisschen zerreißen: Ein Besuch bei einem Unternehmen, dass Honorarabrechnungen und Steuererklärungen zu "buntem Aktenmaterial" stampft.

Martin Zips

Wer hier weitergehen möchte, der muss erst unterschreiben. Dass er den Anweisungen des Personals unbedingt Folge leistet. Dass er über vieles, was er nun sieht, später nicht spricht. Es muss versichert werden, dass auf den Fotos, die man hier schießt, später kein Briefkopf, kein Etikett und keine Telefonnummer zu lesen sein wird. Diese Branche lebt vom guten Ruf.

Zu Besuch bei einem Aktenvernichter

Im Moco AZ 15 E wird die alte Steuererklärung vielleicht zum Toilettenpapier. Oder zur Tischserviette.

(Foto: Foto: Jan Becker)

Deshalb lässt man im Büro des freundlichen Geschäftsführers im zweiten Stock auch Worte wie "Steuerfahndung", "Zumwinkel" oder "Liechtenstein" am besten erst gar nicht fallen. Denn hier, an einer Stelle des nicht ganz so schönen Münchens, wo sich neben achtspurigen Betonpisten Taube und Ratte gute Nacht sagen, hier herrscht höchste Diskretion.

Die Razzien laufen noch. Steuerfahnder durchsuchen bundesweit Büros und Privathäuser. Aber ist nicht jetzt schon alles zu spät? Hat der deutsche Steuerhinterzieher nicht schon längst alle seine relevanten Unterlagen vernichtet? Und sicher hat er sich bei der Beseitigung seiner Vaduzer Geheimnisse nicht ganz so dilettantisch angestellt wie weiland die Stasi in der dahinsiechenden DDR. Ein bisschen schreddern, ein bisschen zerreißen - damit ist doch noch keine Spur verwischt! Mit Hilfe eines automatischen Verfahrens des Fraunhofer-Instituts für Produktionsanlagen sollen in den nächsten Jahren aus 600 Millionen DDR-Schnipseln wieder 45 Millionen aufschlussreiche Aktenseiten werden.

Hässliche Plastikklumpen

Die Stasi hatte damals noch keinen Moco AZ 15 E. Sonst hätte sich das Fraunhofer-Institut an den Schnipseln sicher die Zähne ausgebissen. Berge von Papier, Aktenordnern und CDs warten vor dem grünen Moco AZ 15E in einer Halle irgendwo am Stadtrand Münchens auf ihr Ende. Von Baggerschaufeln werden sie hinter einer Tür mit dem Schriftzug "Zutritt verboten" auf ein Fließband geschoben. Noch kann der Reporter alte Honorarabrechnungen im Müll erkennen. Und dort! Ein Brief vom Finanzamt! Und das hier könnte eine alte Steuererklärung sein! Aber jetzt sollte er wieder schnell wegschauen. Sonst droht ein Verstoß gegen das Datenschutzgesetz.

Nur noch ein paar Minuten, dann ist alles hier Konfetti, mit dem kein Steuerfahnder mehr was anfangen kann. Und das Konfetti wird zu 450 Kilogramm schweren J11-Ballen gepresst. J11 heißt in der Sprache europäischer Aktenvernichter: "Buntes Aktenmaterial." Daraus wird später Toilettenpapier gemacht. Oder Tischservietten. Oder eine richtig gute Tageszeitung.

Deutsche Daten-Vernichtungsbetriebe tragen so schöne Namen wie "Reißwolf", "Aktenmühle" oder einfach nur "Aktenvernichtung". Egal, wen man von ihnen dieser Tage befragt: Einen echten Steuerhinterzieher, einen Prominenten mit Schweißperlen auf der Stirn und Aktenordnern unter dem Arm will niemand bei sich auf dem Innenhof gesehen haben. Meist hole man "das Material" diskret beim Kunden ab, heißt es. Jeder könne sich darauf verlassen, dass alle Geheimnisse, alle Privatfotos und alle Aktenordner absolut vertraulich beseitigt würden. Der Gesetzgeber schreibe Aktenvernichtung nach bestimmten Fristen ja sogar vor, wird betont. Mehr könne man dazu aber nicht sagen. "Tut mir leid." Und bitte nicht den Namen der Firma nennen. Danke.

Moderne Datenvernichter vernichten heutzutage neben Akten auch Festplatten. Weil der Mensch mehr und mehr ein digitaler wird, gibt es mittlerweile spezielle Computer-Schredder-Maschinen. Eine norddeutsche Firma unterhält sogar einen eigenen Festplatten-Hochofen. Seine Glut macht aus PCs große, hässliche Plastikklumpen. "Akten sind heute elektronisch besser aufbewahrt als in Aktenordnern auf Papier", versichert der Verband Organisations- und Informationssysteme.

Doch wer sich auf dem Hof des Münchner Unternehmens umschaut, stellt fest: Sogar in einer Zeit, da die Welt über die automatische Erfassung von Autokennzeichen, über Online-Überwachung und Datenschutz im Internet diskutiert, bleibt Papier des Menschen liebster Vertrauter. "Es ist schön, mit jemandem schweigen zu können", sagt Kurt Tucholsky. Zum Beispiel mit einem meterhohen Ballen J11 vor einem Moco AZ 15E. Sie sind dieser Tage bei ihrer Arbeit wirklich nicht zu beneiden, die fleißigen deutschen Steuerfahnder.

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