Für Auftritte der US-amerikanischen Violinistin Hilary Hahn zahlen Menschen viel Geld, umso befremdlicher, auf den ersten Blick, folgender Vorfall. "My neighbor", schrieb Hahn auf Twitter, "schlug gestern spätabends wiederholt mit etwas, das wie ein Besenstiel klang, an die Wand", sie habe gerade das Violinkonzert des finnischen Komponisten Einojuhani Rautavaara geübt.
Wer jetzt aber dem Nachbarn oder der Nachbarin intolerante Biestigkeit oder gar ein fehlendes Gespür für Kunst und Schönheit attestieren will, der sei an ein Experiment der Washington Post erinnert. Um herauszufinden, ob der Mensch so etwas besitze wie einen natürlichen Sinn für Schönheit, für Eleganz, für große Kunst, überzeugte die Zeitung 2008 den Starviolinisten Joshua Bell, unerkannt aufzutreten. Verkleidet als gewöhnlicher Straßenmusiker, spielte er also während der morgendlichen Rushhour in einer U-Bahn-Station in Washington, D. C., klassische Meisterwerke. Keiner der Passanten wusste, dass hier einer der weltbesten Geiger stand, mit einem der besten je gebauten Instrumente, einer millionenschweren Violine aus dem 18. Jahrhundert.
In den 43 Minuten Spielzeit kamen 1097 Menschen vorbei. Nur sieben von ihnen hielten an und verweilten eine Minute oder länger, 27 gaben Geld. 32,17 Dollar. Keine Menschentraube, kein Applaus. Er war, schrieb der Pulitzer-Preis-Gewinner Gene Weingarten damals über Bell, "ein Kunstwerk ohne Rahmen".
Bitte also nicht böse sein auf Hahns Nachbarn. Kurz später twitterte sie ohnehin, man habe jetzt feste Uhrzeiten fürs Üben vereinbart, alles gut. Das Kunstwerk ist eingerahmt.
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