Bestattungen:"Einen geliebten Menschen noch mal tot zu sehen, kann total hilfreich sein"

Bestattungen: Gläubige warten, um Abschied von Benedikt XVI. zu nehmen, der im Petersdom aufgebahrt ist.

Gläubige warten, um Abschied von Benedikt XVI. zu nehmen, der im Petersdom aufgebahrt ist.

(Foto: Grzegorz Galazka/Imago/Zuma Wire)

Tausende haben am Leichnam des emeritierten Papstes Abschied genommen. Bestatterin Sarah Benz erklärt, inwiefern Aufbahrungen beim Trauern helfen und warum sie Hinterbliebenen anbietet, ihre Verstorbenen selbst herzurichten.

Interview von Veronika Wulf

Drei Tage lang war der emeritierte Papst Benedikt XVI. im Petersdom in Rom aufgebahrt. Auch die Fußballlegende Pelé konnte die Welt noch einmal sehen, er lag von Montag an 24 Stunden lang in seinem Heimatstadion in Santos, Brasilien. Sarah Benz ist Bestatterin und Trauerbegleiterin und findet Aufbahrungen wichtig, damit Hinterbliebene Abschied nehmen können.

SZ: Zehntausende Menschen haben Pelé und dem ehemaligen Papst am Leichnam die letzte Ehre erwiesen. Die wenigsten haben sie persönlich gekannt. Ist das Voyeurismus?

Sarah Benz: Vielleicht teilweise, aber so weit würde ich eigentlich nicht gehen. Denn auch wenn die Menschen diese Persönlichkeiten nicht privat gekannt haben, hatten sie dennoch eine Beziehung zu ihnen, sie haben sie gewissermaßen begleitet in ihrem Leben. Insofern spüren viele auch Betroffenheit.

Warum wird bei einzelnen Prominenten die Tradition des Aufbahrens zelebriert?

Die eigentliche Frage ist: Warum haben wir diese Tradition verloren? Oft denken die Leute, man kann das nur machen, wenn man berühmt ist, aber das stimmt nicht. Früher wurde das immer so gemacht. Die Leute sind zu Hause gestorben und lagen dort auch noch eine Weile, wurden angekleidet, es wurden Kerzen angezündet, es gab die Totenwache, und dann wurden sie von zu Hause auf den Friedhof gebracht. Heute sterben ungefähr 80 Prozent der Menschen in Krankenhäusern oder Pflegeeinrichtungen, obwohl die meisten lieber in Hospizen oder daheim sterben würden. Deshalb ist es schwieriger geworden, die Menschen aufzubahren. Man kann Verstorbene aber auch aus einer Einrichtung wieder nach Hause holen oder nach einer Obduktion noch aufbahren, das weiß nur kaum jemand. Vielen Trauernden wird die Aufbahrung - oder wie wir es nennen: Abschiednahme - nicht nur nicht angeboten, sondern auch ausgeredet. Wenn man sich die Webseiten vieler Bestattungsinstitute anschaut, dann kommt das Thema oft gar nicht vor.

Bestattungen: Sarah Benz ist Bestatterin, Notfallseelsorgerin und Trauerbegleiterin in Berlin. Auf ihrem Youtube-Kanal "Sarggeschichten" veröffentlicht sie Videos zum Thema Tod und Trauer.

Sarah Benz ist Bestatterin, Notfallseelsorgerin und Trauerbegleiterin in Berlin. Auf ihrem Youtube-Kanal "Sarggeschichten" veröffentlicht sie Videos zum Thema Tod und Trauer.

(Foto: Katrin Trommler)

Empfehlen Sie diese Art der Abschiednahme?

Einen geliebten Menschen noch mal tot zu sehen, kann total hilfreich sein, um den Tod zu begreifen - wenn die Hinterbliebenen das gerne möchte, sie vorbereitet werden, man den Raum schön herrichtet und sie das in Ruhe machen können. Dann gibt es nicht so eine Leerstelle zwischen der Mutter, die eben noch im Krankenhaus war, und der Urne, von der man glauben soll, dass das jetzt die Mutter ist.

Ab welchem Alter sollten Kinder Verstorbene sehen?

Immer. Da gibt es überhaupt keine Altersgrenze, solange die Kinder da gut herangeführt werden. Ich habe Abschiednahmen mit Zweijährigen gemacht, mit Fünfjährigen, mit Zehnjährigen. Wichtig ist, dass die Eltern oder die Bezugspersonen das auch gerne wollen, denn wenn es Widerstände gibt, überträgt sich das auf die Kinder.

Häufig sehen die Menschen nach dem Tod nicht mehr aus wie sie selbst. Sie wirken wächsern, fahl, fremd. Kann das nicht auch belastend oder sogar traumatisierend sein?

Traumatisierung entsteht nicht dadurch, dass man einen Toten sieht. Sie kann passieren, wenn man überfordert ist und nicht gut begleitet und gezwungen wird. Wenn man den Kindern oder auch Erwachsenen aber vorher beschreibt, was sie erwartet, wie der Raum aussieht, wo der Sarg steht, und ihnen Zeit lässt, alles in ihrem Tempo zu tun, dann ist das für die meisten aus meiner Erfahrung ein wertvolles Erlebnis.

Wie lange nach dem Tod ist eine Aufbahrung überhaupt möglich?

Das ist sehr unterschiedlich und kommt auf die Todesumstände an, auf die Temperatur, auf den Körper. Es kann nach einer Woche noch möglich sein, bei einer gut gekühlten Person auch nach zwei oder im Ausnahmefall sogar nach drei Wochen. Ich würde dazu raten, es so früh wie möglich zu machen. Aber es ist nicht so, dass der Tote sich von einer auf die nächste Sekunde komplett verändert, es sind graduelle, langsame Veränderungen, die man auch beobachten kann - das kann hilfreich sein beim Trauern.

Sie bieten auch an, dass Trauernde beim Waschen, Anziehen und Herrichten eines Verstorbenen helfen. Ist die Vorstellung für viele nicht gruselig?

Da unterschätzen Sie die menschlichen Instinkte. Wenn das ein Mensch ist, der geliebt wurde oder sehr wichtig war, dann haben Zugehörige ganz oft das Bedürfnis, sich ihm noch mal zuzuwenden. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Menschen, die ihre Verstorbenen selber anziehen, kämmen, in den Sarg betten, das tief im Herzen behalten und es ihnen hilft, mit allen Sinnen begreifen zu können: Diese Person lebt nicht mehr. Es ist auch für mich sehr berührend zu sehen, wie behutsam und liebevoll sich manche ihren Toten zuwenden.

Sie führen gemeinsam mit Trauernden auch alternative Bestattungsrituale durch. Bei einer Beerdigung wurde etwa Kaffee statt Erde ins Grab gestreut, weil der Verstorbene so gerne Kaffee trank.

Es muss nicht alternativ sein, aber selbstbestimmte Bestattungen sind wichtig. Die Hoheit darüber, was geschieht, muss immer bei den Zugehörigen sein. Ich bin nur die Assistenz. Früher gab es den Ansatz: Setzen Sie sich mal hin, wir machen das alles, Sie trauern und kommen dann zur Beerdigung. Das habe ich als überhaupt nicht hilfreich erlebt. Denn der Tod ist ja die absolute Ohnmachtserfahrung. Wenn ich aber etwas gestalten kann, dann kann ich mich als selbstwirksam wahrnehmen, als handelnde Person. Und das hilft gegen die Ohnmacht. Ich kann nichts dagegen tun, dass die Person tot ist, aber ich kann sie schön anziehen und in den Sarg legen. Oder die Trauerfeier so gestalten, dass es zu der Person passt.

Warum braucht es dafür neue Rituale?

Für viele Menschen passen die Rituale nicht mehr, die von der Kirche geprägt wurden und die uns so viele Jahre Sicherheit gegeben haben. Dann ist es wichtig, neue Rituale zu schaffen, denn den Übergang zwischen Leben und Tod zu zelebrieren, ist etwas Urmenschliches. Die Herausforderung ist es, etwas zu finden, das zu der toten Person und zu denen, die sich verabschieden, passt. Da ist es total schön, wenn Menschen kreativ werden und dem Kaffeenerd Kaffee ins Grab streuen. Oder jemandem eine Zeitung in den Sarg legen, wenn er morgens immer als Erstes die Tageszeitung gelesen hat. Ich habe auch schon erlebt, dass jemandem eine Taschenlampe dazugelegt wurde, damit er auch etwas sehen kann.

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