Prozess um Säureanschlag:Rätsel um den fehlenden Namen

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Sein Spiegelbild sei ihm immer noch fremd, sagte Bernhard Günther am Montag im Zeugenstand. (Foto: Oliver Berg/dpa)

Ein Säureangriff hat das Gesicht des früheren Innogy-Managers Günthers entstellt. Jenen Mann, der nun in Wuppertal vor Gericht steht, hält Günthers nur für einen Handlanger. Aber wer ist der Drahtzieher?

Von Sabine Maguire, Wuppertal

Im März 2018 kommt Bernhard Günther morgens vom Joggen, als er auf dem Heimweg von zwei Männern angegriffen wird. Einer schubst ihn, er stolpert nach vorne. Dort fällt der damalige Innogy-Finanzvorstand dem zweiten Angreifer in die Arme, dann wird er auf den Boden gedrückt. Einer der beiden Männer kippt ihm eine Flüssigkeit ins Gesicht. Der Energiemanager schleppt sich mit brennenden Schmerzen nach Hause. In der Küche zieht er den Brauseschlauch aus dem Wasserhahn in der Spüle, um sich die Säure abzuwaschen. Dann wählt er den Notruf.

Am Tatort in einem Park in Haan bei Düsseldorf finden Polizeibeamte später ein Schraubglas mit Säureresten und einen darüber gestülpten Handschuh, an dem eine DNA-Spur sichergestellt wird. Einen Treffer in der Datenbank gibt es nicht, die Ermittlungen werden eingestellt - bis eine neue Spur auftaucht: Anonyme Hinweisen führen zu einem der beiden mutmaßlichen Täter, er sitzt nun am Wuppertaler Landgericht auf der Anklagebank.

Der 42-jährige Belgier Nuri T. soll dem Energiemanager die Säure ins Gesicht geschüttet haben, da ist sich die Staatsanwaltschaft sicher, auch wenn der Mann die Tat bestreitet. Man habe, sagt er, seine DNA in einem Puff am Niederrhein geklaut, in dem er Stammgast gewesen sei. Und was ist mit der Wunde am Fuß, die vier Tage nach der Tat in einem belgischen Krankenhaus behandelt worden war? Dort hatte der Angeklagte noch gesagt, dass er in seiner Autowerkstatt in ein Regal gefallen sei. Nun im Prozess spricht er davon, dass ihm ein Katalysator auf den Fuß gefallen sei.

Drahtzieher in RWE-Führungsetage?

Bleibt der Angeklagte bei seiner Version der Geschichte, dürfte die wichtigste Frage für Bernhard Günther, der mittlerweile Finanzvorstand beim finnischen Energieerzeuger Fortum ist, unbeantwortet bleiben: Wer hat den Säureanschlag gegen ihn in Auftrag gegeben? Den Mann, dem er nun im Gerichtssaal gegenübersitzt, hält er nur für einen Handlanger. Den Drahtzieher sieht er woanders, wie er am Montag im Zeugenstand klarmacht: in der Führungsetage von RWE.

Wie er darauf kommt? Dafür schaut Günther weit zurück ins Jahr 2012, auch damals geht er morgens joggen. In einem Waldstück stehen plötzlich zwei Männer neben ihm, sie schlagen ihn zusammen und traktieren ihn mit Ästen. Die Diagnose im Krankenhaus: Fleischwunden und ein gebrochenes Bein. Fortan geht er nicht mehr alleine joggen, er schließt sich einer Laufgruppe an. Die hatte sich sechs Jahre später gerade aufgelöst, bis zum Haus von Bernhard Günther waren es nur noch 200 Meter. Als er kurz darauf im Park angegriffen wird, denkt er sofort: nicht schon wieder!

So erzählt er es nun dem Vorsitzenden Richter, der sich auch zu den möglichen Auftraggebern erkundigt. Hier wird es interessant - auch deshalb, weil offenbar niemand einen Namen hören will. Der Vorsitzende hatte für diesen Fall den Ausschluss der Öffentlichkeit angekündigt. Aber als Günther die Führungsetage von RWE erwähnt, fragen weder die Kammer noch die Staatsanwaltschaft nach einem konkreten Namen. Dabei hatte Günther schon vor Prozessbeginn gesagt, dass er wisse, wo er klingeln müsse. Den Weg dorthin beschreibt er auch: Es gebe nur eine Person, die von beiden Überfällen und seinem beruflichen Ausfall hätte profitieren können. Schon 2012 habe es ein Machtvakuum im Konzern gegeben, so wie auch 2018. Warum keiner nach dem Namen desjenigen fragt, den Bernhard Günther für den Drahtzieher hält? Es bleibt das Rätsel dieses Verhandlungstages.

Ungeschminkt geht er nicht mehr aus dem Haus

Befeuert wurde die Drahtzieher-These offenbar auch durch einen anonymen Hinweis: Ein Anrufer soll von einem "hohen Tier aus der Wirtschaft" gesprochen haben, möglicherweise aus der türkischen Wirtschaft. Letzteres schließt der Energiemanager aus, Kontakte in die Türkei habe es nicht gegeben. Günther selbst hatte nach dem Säureanschlag Privatdetektive beauftragt, sein Arbeitgeber Innogy hatte Belohnungen für Hinweise ausgelobt. Die hatte es auch gegeben: Ermittler hatten den Kölner Marko L. schon im Herbst 2019 als möglichen Täter im Visier, Günther identifizierte den Mann auf Facebook-Fotos als einen der beiden Männer aus dem Park. Allerdings schaltete sich die Beschwerdestelle des Wuppertaler Landgerichts ein: Die Art der Übermittlung der Fotos habe Günthers Wahrnehmung täuschen können. Marko L. wurde aus der Untersuchungshaft entlassen.

Nuri T. wiederum plauderte auf der Anklagebank munter über sein Leben als Stammkunde im Bordell. Bernhard Günther musste daher auch unangenehme Fragen über sich ergehen lassen. Ob er dem Angeklagten Nuri T. schon mal begegnet sei? Ob er in denselben Bordellen verkehre? Der Manager verneinte alle Fragen.

Stattdessen erlaubte er einen Blick in sein Leben, das nach der Tat nicht mehr so ist wie zuvor. Noch immer sei ihm sein Spiegelbild fremd, das Sicherheitsgefühl sei verloren gegangen. Er selbst und seine Frau hätten versucht, das Geschehene mit Psychologen zu verarbeiten. Im Gerichtssaal werden Fotos aus den Tagen und Wochen nach der Tat gezeigt: der Kopf des Schwerverletzten bandagiert, das Gesicht voller Wunden und Schorf. Nach der Transplantation der verätzten Augenlider wurden ihm für eine Woche die Augen zugenäht. Sieben Operationen musste er seither über sich ergehen lassen, weitere sollen folgen. Ungeschminkt geht er nicht mehr aus dem Haus. Seine Mimik sei noch immer gestört - wenn man ihn bitten würden zu lachen, würde dabei nichts Überzeugendes herauskommen, sagt er im Zeugenstand. Der Prozess wird fortgesetzt, am 31. August soll das Urteil verkündet werden.

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