Chaos in Berliner Bürgerämtern:Für kostenlose Termine zahlen

Bürgeramt

In den Bürgerämtern in Berlin gibt es lange Wartezeiten. Jörn Kamphuis, Martin Becker und Mateus Kratz bieten über eine Plattform spontane Termine an.

(Foto: privat)
  • Auf einen Termin im Bürgeramt müssen Berliner zurzeit bis zu acht Wochen warten.
  • Wer früher einen Termin braucht, muss sich in lange Warteschlangen einreihen, auf verständige Mitarbeiter und spontan frei werdende Termine hoffen.
  • Nun verspricht eine Internetplattform, gegen eine Gebühr einen früheren Termin zu organisieren. Das gefällt den Behörden nicht.

Von Hannah Beitzer, Berlin

Heute haben wir keine Termine mehr - dieses Schild begrüßt die Besucher des Bürgeramts Wedding, jeden Tag. Wie in fast allen Berliner Bürgerämtern kann hier nicht einfach hereinschneien, wer einen neuen Reisepass braucht oder seinen Wohnsitz anmelden will. Das geht nur mit Termin und der muss vorher online vereinbart werden. Ein Blick ins System offenbart: Den neuen Wohnsitz fristgerecht innerhalb von 14 Tagen anzumelden, ist unmöglich. Der nächste freie Termin ist der 22. September.

Pech hat auch, wer kurz vor dem Urlaub merkt, dass der Reisepass abgelaufen ist. Deswegen bilden sich trotz des Keine-Termine-Schilds lange Schlangen vor dem Infoschalter im Wedding. Denn für nachgewiesene Notfälle machen die Bürgerämter schon mal eine Ausnahme, heißt es. Was diese Notfälle sind? Weiß keiner so genau. Und so stehen die Weddinger stundenlang in der Schlange und hoffen auf ihr Glück und einen verständnisvollen Mitarbeiter. "Was soll man machen", sagt eine Frau, die mit ihrem Kind für einen Reisepass gekommen ist, "wird schon klappen."

In Berlin gibt es nur zwei Bürgerämter in denen man noch ohne Termin sein Anliegen  vorbringen kann

Schlange vor einem Bürgeramt in Berlin-Neukölln

(Foto: imago/Olaf Wagner)

Eine private Internetplattform vermittelt frühere Termine

Solchen Menschen wollen Jörn Kamphuis, Martin Becker und Mateus Kratz helfen - so sagen sie es. Andere sagen: Sie machen sich deren Not zunutze. Die drei Internetunternehmer haben eine Plattform online gestellt, die gegen eine Gebühr von 25 Euro einen Bürgeramts-Termin innerhalb von fünf Werktagen verspricht. Wer es eiliger hat, muss 45 Euro für einen Termin innerhalb der nächsten 48 Stunden zahlen. Die Kunden können sogar angeben, in welchem Teil von Berlin das Bürgeramt liegen soll und an welchen Tagen sie Zeit haben.

Das funktioniert, weil die Behörden kurzfristig abgesagte Termine erneut auf die zentrale Plattform stellen. Meist sind sie innerhalb weniger Minuten wieder vergeben. Wer auf einen solchen Termin angewiesen ist, müsste eigentlich rund um die Uhr online bleiben und den Kalender beobachten. Becker hat einen Algorithmus programmiert, der das für den Kunden erledigt. "Auf die Idee bin ich gekommen, weil ich neulich - zweieinhalb Monate vor Beginn meines Urlaubs - einen Reisepass beantragen wollte und der nächste Termin erst in zwei Monaten frei war", erzählt der 31-Jährige. Zusammen mit Kamphuis und Kratz wurde daraus die Plattform.

Alle drei arbeiten eigentlich in einem anderen Start-Up, sie sitzen in einem Großraumbüro am Berliner Ostbahnhof. "Wir fanden es einfach spannend zu sehen, ob das funktioniert", beschreibt Kamphuis, 27 Jahre, die Motivation. Seit Anfang Juni hatten sie etwa 120 Anfragen. Große Gewinne wirft ihr Angebot nicht ab. "Davon leben zu können, ist auch nicht unser Ziel", beteuert Kamphuis, "uns macht es einfach Spaß, Lösungen für Probleme zu entwickeln, anstatt uns darüber zu beschweren."

Schwarzmarkt vor dem Bürgeramt

Den hehren Anspruch nehmen ihnen nicht alle ab. "Skandal an Berliner Bürgerämtern - Internetportal verkauft kostenfreie Bürgeramts-Termine", titelte die Berliner Zeitung. Der Berliner Senat gab auf eine Anfrage der Piratenpartei neulich an, dass er rechtliche Schritte gegen den Handel mit Terminen prüfe. Die drei Start-Up-Unternehmer sind nicht die einzigen, die gegen Geld Termine vermitteln. An einigen Bürgerämtern stehen Händler, die Termine im Internet buchen und sie dann an die Wartenden verkaufen, ein regelrechter Schwarzmarkt sei das, beklagen zum Beispiel die Piraten.

In einem Atemzug mit den Terminhändlern vor den Bürgerämtern genannt zu werden, gefällt den Plattform-Betreibern nicht. "Wir blockieren keine Termine vorab, sondern vermitteln unseren Kunden nur welche, die frei werden", sagt Kamphuis, "Wenn ich sehe, wie viel Zeit und Kreativität wir da rein stecken, dann finde ich den Schwarzmarkt-Vergleich schade." Täglich feilten sie zurzeit an der Plattform, beantworteten E-Mail-Anfragen persönlich, erzählen sie.

Unangenehmes Thema für den Senat

Kamphuis beklagt auch, dass der Senat sie noch nicht kontaktiert hat. "Es ist faszinierend zu sehen, wie sich die Politik mit der Berliner Start-up Szene schmückt. Und da kommen Leute, die den Status Quo verbessern wollen - aber anstatt mit ihnen zu reden, legt man ihnen Steine in den Weg." Die Behörden versuchten, so erzählen es die jungen Unternehmer, sie mit technischen Kniffen aus dem System fernzuhalten. Überprüfen lässt sich das schwer, auf eine Anfrage der SZ reagierte der Senat nicht.

Das Thema ist für die Berliner Politik unangenehm. Klar, Chaos in den Behörden gibt es auch anderswo. In München zum Beispiel kämpft das Kreisverwaltungsreferat seit Wochen mit einer neuen Software, die ausgerechnet vor Beginn der Sommerferien komplett ausfiel. In Berlin ist das Chaos jedoch Dauerzustand. Schuld ist die schlechte Ausstattung der Bürgerämter, die dem immer größeren Zustrom an Neu-Berlinern nicht gewachsen sind.

Es gibt zu wenig Personal

Was aber tun? Martin Delius, Chef der Berliner Piratenfraktion, sieht das Problem weniger bei privaten Angeboten. "Den Bedarf gibt es ja nur, weil es so wenige Termine gibt." Und mehr Termine gebe es eben nur mit mehr Personal. 31 neue Stellen seien schon Ende 2014 bewilligt worden, heißt es von Seiten des Senats. Bis jedoch die Ausschreibungen raus, die Leute gefunden sind und sie auch noch die nötige Ausbildung durchlaufen haben, dauert es eben. Wirklich viel seien 31 Stellen, verteilt auf zwölf Bezirke mit jeweils zwei bis drei Bürgerämtern, ohnehin nicht, sagt Piraten-Politiker Delius. Im kleineren München zum Beispiel hat der Stadtrat im Juni 70 neue Stellen für die Bürgerbüros genehmigt.

Dabei sind es nicht nur die langen Wartezeiten, die die Berliner rasend machen. Es ist der Mangel an öffentlich zugänglichen Informationen. Die Tipps und Tricks, wie man von Bürgerämtern bekommt, was man braucht, sind in Berlin ein ähnlich häufiges Partygespräch wie die steigenden Mieten: In welchem Bürgeramt sind die Mitarbeiter nett, in welchem nicht? Wo sind die Schlangen kurz, wo sind sie lang? Wo gibt es Termine noch ohne Online-Buchung? Und was sind eigentlich die Notfälle, in denen die Bürgerämter eine Ausnahme von der strengen Terminvergabe machen?

Enttäuscht in Neukölln

Nicht zuletzt sorgt die Terminknappheit auch für Stress unter den Bezirken. In den Bürgerämtern in Neukölln zum Beispiel war es bis vor Kurzem möglich, auch ohne vorherige Buchung einen Termin zu bekommen - und zwar ganz egal, ob man in Neukölln wohnt oder nicht. Bei den meisten Fragen ist nämlich jedes Bürgeramt für jeden Berliner zuständig. Also standen in Neukölln bis zu 200 Menschen in der Schlange, die Mitarbeiter kamen kaum hinterher. Seit Kurzem gibt es spontane Termine nur noch für Neuköllner, alle anderen bekommen Terminvorschläge, verrät nun ein Schild am Eingang zum Bürgeramt im Neuköllner Rathaus. Dort ist auch prompt weniger los, nur ein Dutzend Menschen sitzt im Warteraum.

Das wiederum gefällt den anderen Bezirken nicht, die auf Gleichbehandlung aller Berliner pochen und schimpfen, wenn aus Neukölln enttäuschte Bürger zu ihnen kommen. Und die Berliner selbst? Stehen in so einem Fall dann wieder vor einem überforderten Bürgeramts-Mitarbeiter, der sie vertröstet. Kein Wunder, dass manch einer lieber 25 Euro zahlt, um sich den Stress zu ersparen.

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