Berlinale:Schwarz auf Rot

Bei der Eröffnung der 68. Berliner Filmfestspiele stellt sich vor allem eine Frage: Knapp geschnittene Kleider, posieren für die Fotografen - geht das überhaupt noch in Zeiten von Sexismusdebatten?

Von Verena Mayer

Die Schauspielerin Anna Brüggemann kommt in schwarzem Rollkragenpulli und Sneakers auf den roten Teppich. Das wäre in Berlin, wo man schon mit Krawatte als overdressed gilt, nicht weiter verwunderlich. Doch an diesem Donnerstagabend auf dem Potsdamer Platz ist es ein Statement. Denn Brüggemann ist es leid, dass es bei solchen Veranstaltungen immer um das Aussehen von weiblichen Stars geht. Ihre Figur, und darum, was sie tragen. Die 36-Jährige, die seit ihrer Jugend in Dutzenden Filmen mitgespielt hat, findet, dass sie und ihre Kolleginnen sich nicht länger zu Püppchen machen sollten. Vor einiger Zeit hat sie die Kampagne #NobodysDoll gestartet: für niemanden die Puppe sein.

Auf den ersten Blick ist bei der Eröffnung der Berlinale alles wie immer. Scheinwerfer, Fotografen, Hunderte Fans mit hochgereckten Handys. Die Stars aus der deutschen Filmbranche kommen an, Senta Berger, Elyas M'Barek, Christiane Paul, Sandra Hüller, Daniel Brühl, Andrea Sawatzki, Ulrich Matthes, Corinna Harfouch. Und doch ist in diesem Jahr alles anders. Denn seit die Vorwürfe gegen den Regisseur Dieter Wedel bekannt wurden, ist klar, dass auch die deutsche Filmwirtschaft ein Problem mit Sexismus und Machtmissbrauch hat und eine Debatte darüber führen sollte.

Mehr als 20 000 Menschen hatten einen schwarzen Teppich gefordert - vergeblich

Das zeigt sich schon auf dem roten Teppich. Der sollte, wenn es nach der Schauspielerin Claudia Eisinger geht, eigentlich gar nicht da sein. Eisinger hatte vor der Veranstaltung eine Petition gestartet, dass diesmal ein schwarzer Teppich ausgerollt werden solle, mehr als 20 000 Leute haben den Online-Aufruf unterschrieben. Um an die Opfer sexueller Übergriffe zu erinnern, aber auch deswegen, weil der rote Teppich wie kaum ein anderes Symbol für die Filmindustrie steht, für das Scheinwerferlicht und den Glamour - der rote Stoff, aus dem die Träume sind. Doch genau dieses Symbol habe seine Unschuld nun verloren. Leute wie die Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken können auf dem roten Teppich nur mehr "das ewig gleiche Schauspiel einer grotesk überholten Geschlechterordnung" erkennen.

Der Teppich in Berlin ist trotz alldem zwar rot wie immer - die Farbe Schwarz überwiegt bei der Eröffnung der 68. Berliner Filmfestspiele dennoch. Wie schon bei der Verleihung der Golden Globes im Januar, als die weiblichen Berühmtheiten kollektiv in Schwarz erschienen, sieht man viele dunkle Roben, den souveränsten Auftritt legt Tilda Swinton im schwarzen Frack hin. Nicht zu vergessen die schwarzen Pullis und Mottoshirts der Unterstützerinnen von #NobodysDoll. Wobei die Botschaft nicht bei allen angekommen zu sein scheint. "Mantel runter!", brüllen die Fotografen einer der jungen Frauen zu.

Drinnen im Saal versucht die Moderatorin Anke Engelke, für das schwierige Thema Sexismus einen leichten Tonfall zu finden. "Frauen und Männer zusammen in einem Raum, na, wir trauen uns was", sagt sie. Und dass es darauf ankomme, wie man sich verhält und nicht "was für einen Stoff man trägt oder über welchen Stoff man geht". Damit hat sie zwar die Kleider- und Teppichfragen abgehakt, die Diskussionen über tiefergehende Fragen aber beginnen erst. Zum Beispiel darüber, wie man in Zukunft mit Übergriffen und Machtmissbrauch umgehen will.

Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) wird dabei in einer für eine Galaveranstaltung unüblichen Art verbindlich: Es werde eine Anlaufstelle für Missbrauchsopfer in den darstellenden Künsten geben, sagt sie, möglichst branchenübergreifend, am Geld solle es nicht scheitern. "Die Zeit des Schweigens muss vorbei sein." Und sie erinnert an die Person, die dem Platz am Berlinale-Palast den Namen gab: Marlene Dietrich. Eine Frau, die gegen alle Geschlechterrollen ihrer Zeit im Hosenanzug Karriere machte. Umso bitterer sei es daher, dass Frauen im Filmgeschäft bis heute in eine Rolle gedrängt würden, die sie nicht spielen wollen, sagt Grütters. Und dass "wir mehr über Männer reden, die nur einen Bademantel anhaben, als über Frauen, die Hosen anhaben".

Auch später bei der Party gibt es bei Linsen-Mangold-Suppe und Eismeerforelle kaum ein anderes Thema. Egal, mit welcher Frau man bei einem Glas Wein zusammensteht, man bekommt sofort Geschichten von Grapschereien zu hören, von Frauen, die mit Männern nicht gerne alleine in einem Raum sind. Der Regisseur Tom Tykwer, Präsident der Berlinale-Jury, sagt, er finde die Debatte wichtig, es gehe aber jetzt darum, nicht mit dem Finger auf Einzelne zu zeigen. Sondern ganz allgemein "um Arbeitsethos" und darum, "vertikale Arbeitskonstrukte" zu hinterfragen. Die Schauspielerin Inka Friedrich, die ganz in Schwarz gekommen ist und gerne über einen schwarzen Teppich gelaufen wäre, glaubt, dass der Machtmissbrauch in der Filmbranche auch mit einem antiquierten, aber noch immer weit verbreiteten Ideal von Kunst zu tun habe. Dass man sich quälen und gequält werden müsse, um gute Kunst zu machen. "Dass da immer einer oben steht und schindet."

Und da sind natürlich diese Zahlen, an denen man in der Branche nicht mehr vorbeikommt, wenn es um das Verhältnis der Geschlechter geht. Einer Studie zufolge, die von der Schauspielerin Maria Furtwängler initiiert wurde, kommen in deutschen Film- und Fernsehproduktionen auf eine Frau mindestens zwei Männer, in der Altersgruppe ab 50 Jahren sind es sogar drei. Da trifft es sich gut, dass man den Eröffnungsfilm "Isle of Dogs" von Wes Anderson nicht auf das Verhältnis von Männern und Frauen untersuchen kann, es ist nämlich ein Animationsfilm über Hunde.

Festivalleiter Dieter Kosslick will dem Thema Gleichstellung sowie der "Me too"-Debatte dennoch Priorität auf der Berlinale einräumen. Er selbst war Anfang der Achtzigerjahre, als er noch für den Ersten Bürgermeister in Hamburg arbeitete, Pressesprecher der Leitstelle zur Gleichstellung der Frau. Kosslick kann sich noch gut an den Shitstorm erinnern, der losbrach, als er damals die Angestellten der Hamburger Behörden veranlasste, ihre Briefe nicht mehr mit "Sehr geehrte Herren" zu beginnen, sondern mit "Sehr geehrte Damen und Herren". Nun, in seinem letzten Dienstjahr als Berlinale-Chef, muss er offenbar dort anknüpfen, wo er angefangen hat. Bei der Eröffnung trägt Kosslick einen schwarzen Schal.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: