Berlinale-Eröffnung:Glitzern ist auch Licht

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Nicht ganz so überschwänglich wie der Vorgänger: Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek. (Foto: Annegret Hilse/Reuters)

Einen Tag nach den Morden von Hanau soll sich die Filmwelt auf dem roten Teppich der Berlinale selbst feiern. Sie schafft das überraschend würdevoll.

Von Philipp Bovermann, Berlin

Wenn etwas leuchtet, dann ist da niemals nur das Leuchten, sondern auch die Dunkelheit, in die das Licht fällt. Der Tag vor der Eröffnung der 70. Berlinale ist besonders dunkel. Es ist der Tag, an dem in Hanau ein offenbar rechtsextremer Angreifer neun Menschen erschoss, dann seine Mutter und sich selbst. Und dann eine Galafeier, roter Teppich, Blitzlichtgewitter, eine künstliche Traumwelt, betrunken von sich selbst? Das scheint an diesem Donnerstagabend so gar nicht zu passen.

Aber man kann die Welt nicht anhalten, wenn etwas Schreckliches passiert. Und die Berlinale, diesen riesigen, einmal im Jahr in Berlin explodierenden Filmzirkus kann man erst recht nicht anhalten. Also rollt ein erstes Auto an den roten Teppich vor dem Berlinale Palast, in dem die Eröffnungsfeier stattfindet. Heraus steigen die beiden Menschen, die nun dafür sorgen müssen, dass dieser Abend würdevoll über die Bühne geht: Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian lächeln verhalten, winken, lassen sich fotografieren, Arm in Arm.

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Die beiden neuen Festivalleiter gewöhnen sich zögerlich an den Glitzer und Glamour auf dem roten Teppich. Sigourney Weaver ist der Star des Abends - und ein buntes Kleid.

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Die beiden sind erst seit diesem Jahr das neue Führungsduo von Deutschlands größtem Filmfestival, von dem ihr Vorgänger Dieter Kosslick einmal sagte, es sei "wie Bayreuth, nur ohne Hügel". Sie hatten sich diesen Abend sicher anders vorgestellt. Aber Krisen zu meistern und das Kino zu verteidigen, es strahlen zu lassen in all seinen bisweilen abgedrehten Begleiterscheinungen, komme, was wolle, das ist jetzt ihr Job.

Sam Riley und Alexandra Maria Lara sind da und sehen umwerfend aus

Dann hält noch ein Auto, dann noch eins, und noch eins. Wer sich wann die paar Meter vom Grand Hyatt Hotel zum Teppich fahren lassen darf, damit das Sponsorenlogo auf dem Auto zu sehen ist, regelt ein genau getakteter Ablauf. Plötzlich steht die neue Festivalleitung nicht mehr allein da herum, mit sich selbst und all der Verantwortung. Schauspieler, Regisseure, Produzenten und andere Filmschaffende bevölkern nun den roten Teppich.

Fotografen brüllen, damit man sich für sie Positur wirft, Fans brüllen, wollen ein Selfie oder ganz altmodisch ein Autogramm. Über die Musikanlage singt Nadia Todua "I free my mind, set my feet in motion", die Schauspielerin Aylin Tezel ist da, in einem Kleid, das bei jeder Bewegung in tausend Farbtönen glitzert, Sam Riley und Alexandra Maria Lara sind da und sehen umwerfend aus, er in einem schlichten schwarzen Anzug, sie in einem schwarzen Kleid, ganz leicht durchsichtig, weich fallend und ebenfalls mit glitzernden Steinen besetzt.

Hunderte andere sind da, manche mit bekannten, andere mit weniger bekannten Namen, alle lassen sich fotografieren, machen Fotos von sich, wie sie fotografiert werden. Heizstrahler pumpen Wärme in die kalte Nacht, damit niemand Mantel tragen muss. Verschwendung, klar. Aber spielt das an einem Tag wie diesem wirklich eine Rolle? So jedenfalls zieht die Glitzerkarawane in den hell erleuchteten Berlinale Palast, ins Kino. In jene Art von Raum also, der ebenfalls viel mit Dunkelheit und Licht zu tun hat.

"Das Kino ist es, was uns zusammenbringt"

Drinnen findet vor der Projektion von "My Salinger Year", des Eröffnungsfilms, die Gala statt. In der Ära Kosslick hat Anke Engelke die Veranstaltung moderiert, häufig mit müden Pointen, die man ihr aber nie so richtig krummnehmen konnte, weil sie die Gags mit einer gesunden, stämmigen Chuzpe rausballerte. Weil sie wunderbar schlagfertig durch die Reihen ging und zum Beispiel mal eben James Franco halb anmaulte, halb anflirtete. Sie passte zu ihrem Chef und seiner drolligen, zotteligen, knuddeligen Art. Nun ist auch sie weg.

Samuel Finzi moderiert also. Er macht Witze darüber, dass man ihm den Job gegeben hat, obwohl er ein Mann ist. Er macht Witze über seinen Migrationshintergrund und dass er Selbstzweifel wegen der Moderation gehabt habe. Er spielt einen Besessenen, wie im Film "M - Eine Stadt sucht einen Mörder", laut plärrend: "Das hab ich nicht, dieses Verfluchte in mir, die Qual, den Ehrgeiz". Kurz wirkt es, als könne der Abend doch noch kippen und der Boden zurückkehren, in Fallgeschwindigkeit. Aus dem Publikum ruft jemand "Schweigeminute für Hanau!" dazwischen.

Die war auch angekündigt, und kurz darauf, nachdem der arme Samuel Finzi noch seine kleine Einlage fertigmachen durfte, kommt sie endlich. Rissenbeek spricht anschließend von der Härte des Schocks, den Hanau bedeutet hat; Chatrian redet über das, worüber er am liebsten redet: das Kino. Er gilt als echter Kenner der Filmgeschichte, als Liebhaber des asiatischen Kinos und abseitiger, experimenteller Erzählformen - weshalb mancher fürchtete, dass auf der Berlinale bald nur noch schwer vermittelbare Kost läuft und es dahin ist mit Glanz, Glitzer, Traumfabrik. "Das Kino ist es, was uns zusammenbringt", sagt er auf Englisch. "Wenn ich auf die Geschichte dieses Festivals zurückblicke, sehe ich, dass Filme und Berühmtheiten ("celebrities") etwas in die Stadt gebracht haben, das lebensnotwendig für sie ist."

Träume seien wichtig, wenn die Zeiten hart sind. Berlin kennt harte Zeiten, kennt die Mauer. "Deshalb bedeutet dieses Filmfestival den Berlinern wahrscheinlich so viel", auch ihm, als Ausländer, sagt er. Carlo Chatrian ist Italiener. Seine Stimme zittert leicht. "Schaut euch diese Stadt an, diese siebzig Jahre, als etwas Wertvolles." Sie können so schnell vorbei, soll das wohl heißen.

Die Berlinale und das neue Führungsduo sind am Ende dieses Abends beieinander angekommen. Die Ära Kosslick ist vorbei, auf dem Festivalplakat finden sich keine knuddeligen Bären mehr, die Reihe "kulinarisches Kino" ist abgeschafft. Eine ernstere Ära hat für die Berlinale begonnen. Man würde den knuddeligen Bären möglicherweise mehr nachtrauern, wenn die politische Lage in der Welt um die Berlinale herum nicht so ernst wäre.

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