Berlinale:Adieu, roter Teppich!

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Dieter Kosslick begeht seine letzte Amtshandlung Arm in Arm mit Monika Grütters (CDU). (Foto: Getty Images)
  • Der rote Teppich der Berlinale ist in diesem Jahr grüner. Bei seiner Produktion wurde auf Nachhaltigkeit geachtet.
  • Bei der Eröffnungsgala wurde es emotional: Festival-Chef Dieter Kosslick nimmt nach 18 Jahren seinen schwarzen Schlapphut.
  • Die Berlinale ist zu einem der größten Publikumsfestivals der Welt angewachsenen, mit etwa 400 Filmen und mehr als 300 000 Besuchern jedes Jahr.

Von Verena Mayer, Berlin

Der rote Teppich ist diesmal grün. Also eigentlich ist er rot, wie immer, aber auf der diesjährigen Berlinale hat man ihn aus alten Bodenbelägen, Fehlproduktionen und Fischernetzen, die als Müll im Meer trieben, zusammengestoppelt. Die Idee stammt von einer Initiative, die für das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung darauf aufmerksam machen soll, dass Umwelt und Nachhaltigkeit nicht nur Sache der Politik sind. Sondern eben auch der Glamourwelt, die sich am Donnerstagabend auf dem Potsdamer Platz zur Eröffnung der Berliner Filmfestspiele trifft.

Erst kommen die deutschen Filmstars wie Tom Tykwer, Natalia Wörner, Tom Schilling, Heike Makatsch, Wim Wenders, Sibel Kekilli oder Iris Berben, danach die internationalen Größen, Andie MacDowell, Tilda Swinton, Juliette Binoche und Bill Nighy.

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Die Temperaturen sind in diesem Februar milder als sonst, Statements zum Klimawandel gibt aber niemand ab, bis auf Lars Eidinger, der unter seinem schwarzen Anzug ein umweltschutzgrünes Hemd und darunter noch einen baumstammbraunen Rollkragen trägt.

"Mit ihm war es lustig"

Ansonsten sieht der rote Teppich aus wie immer, ein weicher, schmaler Streifen, angestrahlt vom Scheinwerferlicht. Seit der "Me Too"-Debatte ist er etwas in Misskredit geraten, plötzlich wurde er nicht mehr als Bühne wahrgenommen, sondern als Ort, an dem Frauen sich auf dem Präsentierteller zum Objekt machen müssen. Oder wie es Binoche, die diesjährige Jury-Präsidentin, in einem Interview mit der Zeit ausdrückte: "Wenn ich auf dem roten Teppich ein Korsett und hohe Schuhe anziehe, dann läuten bei mir die Alarmglocken. Ich weiß, dass der Kult der Schönheit auch eine Reduktion der Frau bedeutet."

Dass sich solche Fragen bei der Eröffnung der Berlinale nicht stellen, liegt vor allem daran, dass jener Mann im Mittelpunkt steht, der in den vergangenen 18 Jahren unter anderem dafür gesorgt hat, dass die Berühmtheiten überhaupt auf den roten Teppich kommen: Dieter Kosslick, der Festival-Chef, der in diesem Jahr den schwarzen Schlapphut nimmt, der zu seinem Markenzeichen wurde.

Schon beim Einlaufen der Promis gibt es überall Trauerbekundungen. "Wehmut, Wehmut", ruft Regisseur Fatih Akin. Und Filmproduzent Stefan Arndt sagt: "Es gibt die Berlinale, und es gibt die Berlinale mit Dieter Kosslick. Vorher war es langweilig, mit ihm war es lustig."

Ständchen für Kosslick, Freikarten für die AfD

Und erst drinnen bei der Gala. Die Moderatorin Anke Engelke singt Kosslick erst einmal zusammen mit dem Sänger Max Raabe ein Ständchen mit dem Titel "Wir sind nur wegen dir hier", und dann folgen auch schon Standing Ovations. Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) sagt, dass ihn wohl ganz Deutschland um "die Küsschen beneide", die er in all den Jahren auf die Wangen der Stars gehaucht habe, und nennt ihn "Herrn der Bären".

Das ist Kosslick ja auch, mit seinem Gestus des Dauerumarmens wurde er im ruppigen Berlin zu einer Art Maskottchen, von dem sich alle geherzt fühlen durften. Kosslick ist dabei vor allem ein Herr der Adjektive, ein typischer Kosslick-Satz geht so: "Und dann zeigen wir den wunderbaren Film dieser wunderbaren Frau, die so wunderbar mit uns zusammengearbeitet hat."

In den vergangenen Tagen hat er Interview um Interview gegeben, mit der Offenherzigkeit eines Mannes, der nichts mehr zu verlieren hat. Schon Ende Januar bei der Programm-Pressekonferenz sprach der 70-Jährige die AfD direkt an und sagte, er lade jedes Mitglied und jeden Politiker dieser Partei persönlich ins Kino ein, damit sie sich einen Film über das Warschauer Ghetto anschauen können. "Und wenn sie dann noch sagen, das ist ein Fliegenschiss, dann muss ich sagen, sollte vielleicht jemand anderes einschreiten als die Filmemacher."

Ich glaube, ich habe Mundgeruch.

Und Kosslick erzählte seine Anekdoten über die Stars: Wie er einmal mit Madonna über den roten Teppich lief und ein Journalist die Sängerin fragte, wann sie das letzte Mal Sex gehabt habe. (Wann er denn das letzte Mal Sex gehabt habe, konterte Madonna.)

Wie er einem weiblichen Fan weiße Chrysanthemen aus der Hand riss, um sie Meryl Streep zu überreichen, weil er die Blumen vergessen hatte.

Wie Nicole Kidman ihn fragte, wie es ihm gehe, und er sagte: Ich glaube, ich habe Mundgeruch.

Oder wie er für die Rolling Stones, die anlässlich des Konzertfilms von Martin Scorsese zur Berlinale kamen, die Bauarbeiten am Berliner Stadtschloss stoppen lassen musste. Weil die Rock 'n' Roller in der Nähe nächtigten und absolute Ruhe wünschten.

Und einmal stand Kosslick ganz allein auf dem roten Teppich. Das war 2004, als Nicole Kidman, Renée Zellweger und Jude Law angekündigt waren, und wenige Stunden zuvor hieß es plötzlich: Es wird niemand kommen. Damals habe er gelernt, dass man in bestimmten Situationen einfach nicht den Humor verlieren dürfe.

"Ich gehe wirklich glücklich"

Bei Theaterschauspielern, die nach einem langen Berufsleben ihre letzte Vorstellung geben, ist es oft so, dass das Publikum sie nicht abtreten lassen will. Immer und immer wieder werden sie vor den Vorhang geholt, und sie selbst wollen das eigentlich auch ein bisschen. So ist es auch bei Dieter Kosslick.

Mit seinem Schlapphut und dem roten Schal läuft er über den Potsdamer Platz, schüttelt Hände oder besucht die Fans, die vor den Ticketschaltern in Schlafsäcken kampieren - die Berlinale ist in den vergangenen Jahren zu einem der größten Publikumsfestivals der Welt angewachsen, mit etwa 400 Filmen, zahlreichen Sonderreihen und mehr als 300 000 Besuchern jedes Jahr. Kosslick wird gedrückt, umarmt und erzählt von früher. Im Frühjahr, wenn alles vorbei ist, will er nach Ligurien fahren und gut essen, verriet er dem Berliner Tagesspiegel.

Und Dieter Kosslick sagt: "Ich gehe wirklich glücklich, ich gehe nicht frustriert vom Teppich."

© SZ vom 09.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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