Süddeutsche Zeitung

Berlin:Wie die Polizei gegen kriminelle Clans vorgeht

Sie sollen Banken überfallen haben, aber auch für einen spektakulären Kunstraub im Berliner Bode-Museum verantwortlich sein: Ermittler haben 77 Immobilien der deutsch-arabischen Großfamilie R. vorläufig beschlagnahmt.

Von Hans Leyendecker

Bankräuber sind eigentlich nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Ihre Überfälle zeugen oft von naivem Dilettantismus. Die Räuber werden meist geschnappt, und die Strafen sind hoch. Lohnender als der Einbruch in eine Bank kann die Pflege einträglicher Geschäftsbeziehungen zu einem Geldinstitut sein.

Die Räuber, die am 19. Oktober 2014 eine Sparkasse in Berlin-Mariendorf heimsuchten, öffneten Hunderte Schließfächer und erbeuteten Bargeld, Schmuck und Gold im Wert von 9,8 Millionen Euro. Dann wollten sie mit Sprengstoff die Spuren verwischen und legten neue Spuren, die sie schließlich überführten.

Die Männer wurden zu hohen Haftstrafen verurteilt. Weil ein Großteil des gestohlenen Geldes aber verschwunden blieb, interessierten sich die Ermittler für die Familienverhältnisse. Es fiel auf, dass der Bruder eines der Täter zwar offiziell von Hartz IV lebte, aber plötzlich ein Immobilien-Hai geworden war. In Berlin und auch im Umland kaufte er Wohnungen und Grundstücke. Weil beide Brüder zur deutsch-arabischen Großfamilie R. gehören, die man ohne Vorurteil als kriminalitätsbelastet bezeichnen kann, forschte die Polizei in einem Grundbuchamt in Berlin nach. Sie stieß auf ein kleines Immobilien-Imperium.

Die Ermittler sind sich sicher, dass der Reichtum mit schmutzigen Geschäften zusammenhängt. So sollen drei andere Angehörige der Familie im vergangenen Jahr in den berühmten Raub im Bode-Museum verwickelt gewesen sein. Die 100 Kilogramm schwere Goldmünze "Big Maple Leaf" im Wert von 3,75 Millionen Euro war gestohlen und offenbar zu Barren geschmolzen worden. Drei Mitglieder der Familie R. gelten als Beschuldigte.

Ein Angehöriger des Clans hat sogar eine Kleingartenkolonie gekauft

Die kriminellen Geschichten, die mit Mitgliedern der Großfamilie verbunden werden, lösten eine der spektakulärsten Aktionen der jüngeren Polizeigeschichte aus: Die Berliner Staatsanwaltschaft beschlagnahmte in diesen Tagen vorläufig 77 Immobilien in Berlin und Umgebung, die mit Geld aus Straftaten finanziert worden sein sollen. Ermittlungen gegen 16 Beschuldigte laufen.

Spektakulär ist der Zugriff, weil er einer Großfamilie gilt, die von Politikern, Kriminalisten und Medien meist nur als Clan bezeichnet wird.

Der Begriff ist umstritten. Gesetzestreue Familienmitglieder, die es auch gibt, könnten leicht geächtet werden. Aber weil in Berlin, im Ruhrgebiet, in Niedersachsen und in Bremen zahlreiche ähnlich strukturierte Großfamilien bekannt sind, in denen Kriminelle offenbar den Ton angeben, geht der Begriff Clan eigentlich in Ordnung.

Man könnte das alles auch als Mafia bezeichnen, weil sich der Mafioso in aller Regel unabhängig von den bürgerlichen Gesetzen gibt und auf eigene Machtmittel vertraut. Die Mafia ist kein Geheimbund, sondern die Definition eines Zustands. Etliche solcher Clans in der Bundesrepublik Deutschland nennen sich nicht Mafia, agieren aber so. Sie leben in einer Art Parallelgesellschaft. Die Ursprünge des Clans R. liegen nach Erkenntnissen der Ermittler in einer Wohnung in der Siegfriedstrasse im Berliner Bezirk Lichtenberg. Einige der vielen Familienangehörigen sind zum Beispiel aufgefallen, als sie einen Tresor, der sich nicht öffnen ließ, aus einer Wohnung geworfen haben. Oder, als sie mit Maschinenpistolen in einer Bar auftauchten und auf die Whisky-Flaschen zielten. Wie im Film. Hartz IV gilt in diesen Kreisen nur als Grundversorgung. Einige Frauen haben es ziemlich weit gebracht. Sie sind Medizinisch-Technische Assistentinnen geworden. Einigen Männern in der Familie R. gehören Lokale. Sie können nicht schreiben und lesen. Fragen der Behörden wehren sie damit ab, dass sie Analphabeten seien. Bei der Steuer verfängt dieser Hinweis meist nicht. Wie man diesen Clans, die in Berlin sogar Straßen unter sich aufgeteilt haben sollen, zu Leibe rücken kann, ist ein altes Thema der Verbrechensbekämpfung. Experten diskutieren schon lange darüber. Viele von ihnen beklagen, dass die Polizei in diesem Bereich zu wenig getan und zu oft weggesehen habe. Auch der Berliner Polizei ist das immer wieder vorgeworfen worden. Aber eine Familie ist keine kriminelle Vereinigung. Es mag eine Familienbande sein - und das vielleicht im doppelten Wortsinn.

Die Wahrheit ist: Saubere Polizeiarbeit ist viel schwieriger als "Tatort"-Zuschauer meinen. In den vergangenen Monaten fiel allerdings auf, dass die Polizei in Berlin massiv auftrat. Es gab Razzien, deren einziges Ziel es offenbar war, zu demonstrieren, dass die Polizei aufmerksam ist. Viel Lärm, ein bisschen heiße Luft, aber Einsätze, die durchaus Eindruck machten.

"Wie werden die Gerichte damit umgehen?", fragt sich der Experte

Der Berliner Fall ist rechtlich interessant. In Deutschland gibt es seit einem Jahr ein neues Gesetz zur Abschöpfung krimineller Gewinne. Es ermöglicht eine vorläufige Sicherstellung und die Einziehung von Vermögen unklarer Herkunft. Ob Geld oder Immobilien dauerhaft entzogen werden, entscheidet am Ende ein Gericht.

Aber die Ermittler müssen nicht mehr nachweisen, dass ein konkretes Vermögen aus einer konkreten Straftat herrührt. In Deutschland hat sich in der Vergangenheit Verbrechen oft gelohnt. Jahrzehntelang wurde nur diskutiert, wie illegales Geld abgeschöpft werden könnte, aber nicht gehandelt. Für die Ermittler war es äußerst schwierig, schmutziges von sauberem Geld zu unterscheiden. Die SPD hatte vor 24 Jahren einen aus Sicht der Praktiker hervorragenden Gesetzentwurf vorgelegt. Es ging damals um die sogenannte Beweislastumkehr. Verdächtige müssten belegen, dass sie ihr Vermögen legal erworben haben. Das war die Idee. Aber der Entwurf blieb ein Entwurf. Es fehlte am ernsthaften politischen Willen, energisch gegen die organisierte Kriminalität zu kämpfen, und dann konzentrierte sich der Blick auf den Kampf gegen den islamistischen Terrorismus.

Die beschlagnahmten Immobilien des Clans R. in Berlin sind aus Sicht des Anwalts Kai Peters "eine Art Testballon". Peters ist ein Spezialist für Vermögensabschöpfung und schreibt gerade ein Buch dazu. "Wie werden die Gerichte damit umgehen?", fragt er sich. Was ist Theorie und wie wird die Praxis sein? Reicht das, was die Berliner Strafverfolger im Fall R. den Richtern eines Tages vorlegen werden? Es gibt noch viele Fragen. Rätselhaft ist auch, warum ein Angehöriger des Clans eine Kleingartenkolonie gekauft hat. Eine schnelle Million kann man damit jedenfalls nicht machen.

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Quelle:
SZ vom 21.07.2018
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