Zwei Polizisten gehen in eine Wohnung in Berlin-Lichtenberg und bringen einen Mann, der nur mit Unterwäsche bekleidet ist, zu Boden. Während er auf dem Bauch liegt, drehen sie seine Arme auf den Rücken und legen ihm Handschellen an. Wenn man das Video aus der Wohnung der syrischen Familie Hamawi sieht, das Ende vergangener Woche an die Öffentlichkeit gelangte, könnte man meinen, es gehe um einen Polizeieinsatz wegen organisierter Kriminalität. Der Mann in Handschellen ist allerdings nur dreimal schwarzgefahren und sollte eine Geldstrafe bezahlen. Und der Einsatz läuft weiter aus dem Ruder. Ein Polizist ruft die Sätze: "Ihr seid hier in unserem Land, ihr habt euch nach unseren Gesetzen zu verhalten." Und: "Das ist mein Land, und du bist hier Gast."
Das Auftreten der Beamten hat eine Diskussion um Rassismus bei der Berliner Polizei ausgelöst. Inzwischen ermittelt der Staatsschutz des Landeskriminalamtes wegen fremdenfeindlicher Beleidigung, der Beamte wurde in den Innendienst versetzt. Weitere dienstrechtliche Konsequenzen sollen folgen, teilte die Berliner Polizei mit. "Wir stehen gegen jegliche Form diskriminierenden und menschenverachtenden Verhaltens."
Noch ist nicht klar, was in Lichtenberg genau geschah. Das Video zeigt nur einige Minuten eines Einsatzes, der mindestens eine halbe Stunde dauerte. Die Hamawis wollen dazu wegen der laufenden Ermittlungen nicht viel sagen. Sie möchten aber zumindest klarstellen, dass sie keine Verbrecher sind. Am Samstag sind die beiden in ein Wahlkreisbüro der Berliner Linkspartei gekommen, um ihre Geschichte zu erzählen. Ihre vollen Namen wollen sie nicht nennen, weil sie Nachteile bei der Ausländerbehörde befürchten. Nur so viel: Sie sind aus Syrien geflüchtet und haben drei Kinder. Die waren auch in der Wohnung, als die Polizei kam, und hätten geweint und geschrien, erzählt Frau Hamawi. Doch die Polizisten hätten darauf keine Rücksicht genommen, einer der Beamten sei im Gegenteil immer lauter geworden. Auf dem Video ist zu hören, wie er Frau Hamawi mit den Worten "Halt die Fresse" anschreit und sagt, er werde sie ins Gefängnis bringen. Sie und ihr Sohn waren es dann auch, die die Szene unbemerkt mit dem Handy filmten.
Frau Hamawi sagt, sie sei überrascht gewesen, dass die Polizei wegen einer Geldstrafe wegen Schwarzfahrens zu ihnen nach Hause komme. Sie hätten die Strafe nicht ignoriert, sondern zuvor versucht, mit den Behörden eine Ratenzahlung zu vereinbaren. Als die Polizei dann kam, habe man die Strafe, insgesamt 750 Euro, auch bezahlt. Der Polizei zufolge soll der Mann Widerstand geleistet haben, daher seien ihm Handfesseln angelegt worden. Die Ehefrau habe daraufhin versucht, ihren Mann zu befreien. Die Polizeibeamten haben ihrerseits die Hamawis wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, tätlichen Angriffs und versuchter Gefangenenbefreiung angezeigt.
Die Linkspartei kündigt an, das Ehepaar werde seinen Fall bei der neu eingerichteten Berliner Ombudsstelle für Antidiskriminierung vortragen. Diese prüft, ob das neue Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) greift, das es Bürgerinnen und Bürgern ermöglicht, gegen Ungleichbehandlung durch Behörden und Institutionen vorzugehen. 700 Beschwerden seien bei der Ombudsstelle 2021 eingegangen, ein Viertel davon betreffe Vorfälle bei der Berliner Polizei, sagt Elif Eralp, Sprecherin für Antidiskriminierung der Linksfraktion Berlin.
Der Vorfall soll am Montag auch Thema im Innenausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses sein. Und er hat dazu geführt, dass neue Forderungen nach Bodycams laut wurden, also kleinen Kameras, die Polizeibeamte während ihrer Einsätze am Körper tragen und in bestimmten Situationen selbst auslösen können. Das Filmen ist aus datenschutzrechtlichen Gründen umstritten, seit 2021 haben in Berlin im Rahmen eines Pilotprojekts einige Einheiten bei Polizei und Feuerwehr solche Kameras bekommen. Die Gewerkschaft der Berliner Polizei (GdP) fordert nun, dass die Polizei großflächiger mit Bodycams ausgestattet wird. Damit ließen sich nicht nur Übergriffe auf Einsatzkräfte dokumentieren, sie würden ganz generell "Sicherheit und Transparenz" herstellen, so ein Sprecher der GdP.