Süddeutsche Zeitung

Berlin:Obdachloser angezündet - sieben Angeklagte vor Gericht

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Im U-Bahnhof Schönleinstraße in Berlin schläft am Heiligabend 2016 ein Obdachloser auf einer Bank. Sein Rucksack dient ihm als Kissen, die Decke hat er über den Kopf gezogen. In der Nacht kommen sieben junge Männer in die Station, der Älteste von ihnen, ein 21-Jähriger, zündet mit einem Feuerzeug ein Taschentuch an und legt es in die Nähe des schlafenden Mannes. Die Gruppe flieht, als die Flammen auf eine Plastiktüte in Kopfnähe des Obdachlosen übergreifen. Die Männer nehmen in Kauf, dass der Mann Feuer fangen und qualvoll verbrennen würde. So steht es in der Anklageschrift. Die mutmaßlichen Täter müssen sich seit heute vor dem Landgericht Berlin verantworten. Sechs von ihnen wird versuchter Mord vorgeworfen, einem unterlassene Hilfeleistung.

Der Obdachlose bleibt unverletzt, weil ein U-Bahn-Fahrer, der das Geschehen beobacht, mit einem Feuerlöscher zu Hilfe eilt. Die Männer hätten das Opfer nicht töten wollen, seinen Tod aber billigend in Kauf genommmen, sagte der Staatsanwalt zu Prozessbeginn. Die mutmaßlichen Täter, alle zwischen 16 und 21 Jahre alt, wirken noch sehr jung, sind in T-Shirt und Sneaker vor Gericht erschienen. Die Staatsanwaltschaft verliest am ersten Prozesstag lediglich die Anklage - und begründet den Mordvorwurf: Das Mordmerkmal der Heimtücke sei erfüllt, weil das Opfer zum Tatzeitpunkt schlief. Außerdem zeichne sich die Tat durch eine besondere Grausamkeit aus, denn das Opfer hätte verbrennen können.

Aufgrund des Alters der Männer prüft eine Jugendkammer die Vorwürfe. Nur für den 21-Jährigen, einen Palästinenser, der in Syrien lebte und mutmaßlich das Taschentuch anzündete, gilt das Erwachsenenstrafrecht. Für Mord und versuchten Mord sieht das Strafgesetz eine lebenslange Freiheitsstrafe vor. Allerdings kann das Gericht den Versuch milder bestrafen als die vollendete Tat. Dann liegt die Strafe nicht unter drei Jahren Gefängnis. Die anderen Angeklagten könnten im Falle eines Schuldspruchs mit einer milderen Strafe nach dem Jugendstrafrecht rechnen.

Alexander Wendt, der Anwalt des Haupttäters, weist den Mordvorwurf zurück: "Das war etwas Leichtsinniges", sagte er bei Gericht. Die U-Bahn sei ohnehin in zwei Minuten gekommen, dann wäre der Brand gelöscht worden.

Der Bahnhof Schönleinstraße an der Grenze der Stadtteile Kreuzberg und Neukölln wird mit Videokameras überwacht, die Tat wurde aufgezeichnet. Die Polizei veröffentlichte Fahndungsbilder der mutmaßlichen Täter, außerdem ein Video, auf dem die Gesuchten zu sehen waren. Die Verdächtigten stellten sich, seitdem sitzen sechs der sieben Männer in Untersuchungshaft. Sie alle sollen zwischen 2014 und 2016 als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sein, fünf von ihnen stammen wahrscheinlich aus Syrien, einer aus Libyen. Sie kamen mehrheitlich als alleinreisende Minderjährige und lebten in Berlin in betreuten Wohngemeinschaften, berichtet der Tagesspiegel.

Der Fall löste bundesweit Entsetzen aus, auch, weil erst kurz zuvor eine weitere Attacke in der Berliner U-Bahn stattgefunden hatte: Ein Mann hatte einer Frau unvermittelt auf der Treppe in den Rücken getreten.

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