Süddeutsche Zeitung

Krankenpfleger gesteht:Missbrauch auf der Intensivstation

Ein Pfleger soll sich in einem Berliner Klinikum an mehreren Kindern vergangen haben - Eltern und Ärzte sind bestürzt. In der Untersuchungshaft hat der Verdächtige versucht, sich umzubringen.

Renate Meinhof

Ein Krankenhaus ist ein Schutzraum, einer, in dem Menschen geholfen wird. Eltern, die ihre Kinder in eine Klinik bringen, müssen dies in dem Vertrauen tun, dass Ärzte und Pfleger ihr Bestes geben, das Kind zu heilen, zu retten.

Im Helios-Klinikum Berlin-Buch wurde dieses Vertrauen gerade aufs Schwerste erschüttert. Am vergangenen Freitag ist der Pfleger Michael N. aus Pankow festgenommen worden. Er arbeitete auf der Intensivstation des Hauses und soll sich dort an Kindern vergangen haben. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm sexuellen Missbrauch und schweren sexuellen Missbrauch in mehreren Fällen vor.

Im Juni letzten Jahres soll Michael N. zweimal einen damals neunjährigen Jungen missbraucht haben. Das Kind, so der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Martin Steltner, habe darüber zunächst nicht geredet, nicht reden können, sich aber schließlich doch seinen Eltern anvertraut, die sofort die Polizei einschalteten.

Als Beamte den Arbeitsplatz und die Wohnung des Mannes durchsuchten, fanden sie auch zwei Mobiltelefone. Auf einem der Apparate waren Videosequenzen gespeichert, auf denen der Missbrauch des Pflegers an einem fünfjährigen, widerstandsunfähigen Kind zu sehen ist. Der Junge stand unter dem Einfluss starker Medikamente. Es ist zu befürchten, dass es aber weit mehr Kinder waren, als bisher bekannt, die Michael N. zum Opfer fielen.

Der Mann "hat seine Taten eingeräumt als etwas, was er da auf der Station gemacht hat", sagt Steltner. Michael N. wurde in die Untersuchungshaftanstalt nach Moabit gebracht. Er sprach von Suizid. Deshalb verlegte man ihn am Samstag in das Haftkrankenhaus Plötzensee. Die Nacht von Sonntag auf Montag verbrachte er in einem Zweibettzimmer. Der Mitgefangene fand Michael N. am Montag früh schwer verletzt in der Nasszelle und holte sofort Hilfe.

Michael N. soll sich mit einem Einwegrasierer die Unterarme und die Leistengegend aufgeschnitten haben. Michael Kanert, Sprecher der Senatsverwaltung für Justiz, bestätigt den Suizidversuch. "Sein Gesundheitszustand ist kritisch." Auch habe der Mann einen Abschiedsbrief hinterlassen.

Drei Schichten, elf Betten, vier Doppelzimmer und eines mit drei Betten: eine hochmoderne Intensivstation-das war die Arbeitswelt des Michael N.. Was die private Welt betrifft, soll er allein gelebt haben. Seit dem 1. Oktober 2009 arbeitete er auf der Station in einem Stab von 50 Mitarbeitern. Auch seine Ausbildung hatte er schon in Buch absolviert. Man kannte ihn. Oder: Man glaubte, ihn zu kennen. "Er war ein sehr geschätzter, sehr kollegialer und hoch motivierter Mitarbeiter", sagt Constanze von der Schulenburg, Sprecherin des Helios-Konzerns. Umso größer sei nun der Schock unter denen, die mit ihm zusammengearbeitet haben. Niemand, der Hinweise auf seine pädophilen Neigungen wahrgenommen hätte. Auch die Kollegen können nun therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen

Wichtiger aber wird sie für die Betroffenen sein. Die Klinikleitung hat eine telefonische Hotline eingerichtet. Vier Psychologen sitzen dort, die mit Eltern ins Gespräch kommen. Menschen, die befürchten müssen, dass auch ihre Kinder zu Opfern geworden sind. Allein am Mittwochvormittag gingen zwanzig Anrufe dort ein. Auch wurden von der Klinikleitung 60 Briefe an Eltern verschickt, deren Jungen als Patienten auf der Station behandelt worden sind, seitdem Michael N. dort tätig war.

Nach allem, was bisher bekannt ist, war der Mann ein Einzeltäter. Es ist ihm offenbar gelungen, sich in unbeobachteten Momenten, an den Kindern zu vergehen. Wie viel Kontrolle ist möglich auf so einer Station, wie viel ist sinnvoll? Wo fängt Misstrauen an? Diese Fragen müssen gestellt werden, weshalb nun die Abläufe und Strukturen in der Klinik von externen Gutachtern überprüft werden, damit das Geschehene bleibt, was es ist: ein bedrückender Einzelfall.

Von der Schulenburg sagt: "Bestürzung und Fassungslosigkeit, dass so etwas passieren konnte, das ist bei uns das vorherrschende Gefühl."

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SZ vom 23.12.2010/olkl
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